Erstellt am: 17. 6. 2015 - 18:10 Uhr
Eine neue Welt stricken
Gegen Ende des zweiten Tracks auf der gerade erschienenen "DJ-Kicks" von DJ Koze ist eine Stimme zu hören, sie flüstert Verheißungsvolles: " …touching music with my fingers, touching sound with my living fingers, music touching music…". Die Passage stammt aus dem Stück "Ohara" des geschmacksicheren Techno/House-Produzenten Efdemin, auf seinem Album "Decay" fungiert es als filigranes Intro. Der Hamburger Alleskönner oder immerhin Allesantester Koze hat sich diese Zeilen für seinen DJ-Mix geborgt und lässt sie für ihn sprechen.
Hier ist ein Mix, in dem es zärtlich eiert und verbogen groovt und lebt. Mit echten lebendigen Fingern wollen wir die Musik berühren und die Musik berührt uns. Der verkäufliche DJ-Mix im CD-Format an sich hat seine Blütezeit nun auch schon längere Zeit hinter sich, deshalb ist es nur richtig und schön, dass die renommierte und einst hocheinflussreiche "DJ-Kicks"-Reihe für die Gestaltung ihres Jubiläums-Eintrags mit der Katalognummer 50 einen so strahlkräftigen Nebenderspurdenker wie Koze erwählt hat.
DJ Koze
DJ-Mixes für die Party und den großen Rawumms sind täglich sonder Zahl umsonst zu haben, DJ Koze macht etwas anderes. Auch wenn die Kerngebiete des Koze als DJ vornehmlich Techno und House sein mögen, ist sein Beitrag zur "DJ-Kicks"-Reihe kaum fürs Zentrum des Dancefloors gedacht. Lieber wollen wir ihn hören, während wir in einer mit bunten Tüchern ausgekleideten Lounge auf prächtigen Kissen fläzen und in unseren Schädeln die tollsten Kaleidoskope zum Leben erwachen.
Die erste Hälfte des Mixes ist stark von HipHop geprägt, jedoch sind nicht harte Rap-Attacken oder überbordende Bling-Befeierung zu erleben. Vielmehr greift Koze auf zurückgelehnte, eventuell vernebelte Produktionen aus dem Stall des kalifornischen Labels Stones Throw oder stilistisch Benachbartes zurück: Elastische Tracks aus der Hängematte, in denen der Soul wohnt. Tracks, in denen eher wenig gerappt wird, Stimmen tauchen vielmehr in Form verpitchter Samples oder als in und über die Stücke gelegte gesprochene Parts auf: "This City Was Made From the Original Music", heißt es am Beginn der von Madlib produzierten Nummer "Best of Times" der HipHop-Crew Strong Arm Steady. Wieder ein klares Bekenntnis zur Liebe zur Musik.
Madlib wird mit einer Kollaboration mit dem MC Freddie Gibbs noch einmal zu hören sein: Mit dem Instrumental des Stücks "Shame", das programmatisch für den gesamten Mix verstanden werden darf. Wir hören beschleunigten Soul, mit den herrlichsten Streichern und dem süßlichsten, nach oben getunetem Chorgesang, himmlische Musik im Andenken an den großen Produzenten J Dilla, Musik, wie sie etwa Kanye West in seinen frühen Arbeiten versucht hat hinzubekommen.
Wenn gerappt wird, dann mit unkonventioneller Stimme: Das, ja, legendäre Avant-Rap-Trio cLOUDEAD lullt mit leierndem Quängelsingssang wundersam ein, sein Song "Dead Dogs Two" kommt im Remix der schottischen Nostalgie-Elektroniker Boards of Canada. DJ Koze bemüht jedoch keineswegs eine protzige Obskurantenhuberei und kein aufdringliches Checkertum. Man kann das alles einfach so hören, während der Rotwein zu wirken beginnt, und muss dabei gar nichts wissen.
Der Mix fließt und gleitet, gleichzeitig gibt es Brüche und Twists. Er ist nicht stumpf auf Tempo und Beat gemixt, vielmehr geht es um harmonische Osmose, interessante Überlagerungen, sanfte Wellen. Dazu hat Koze einen Großteil der versammelten Stück editiert und sie behutsam in seine Welt eingepasst.
Wie bei der "DJ-Kicks"-Reihe üblich, hat auch hier der Gestalter einen exklusiven eigenen Track beigesteuert: Das neue Koze-Stück "I Haven't Been Everywhere But It's On My List" eröffnet den Mix und kündet in Partikeln schon davon, was folgen wird. Knappe Stimmschnipsel, Gesänge aus Honig, hundert Violinen, durch den Fleischwolf des Soul gezogen.
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Später hangelt sich Koze siamkatzenhaft über akustisches, ätherisches Songwritertum der englischen Gruppe Broadcast oder cocktail-nachdenkliche Hotelbar-Alleinunterhalter-Melancholie von William Shatner (der) und kommt erst im letzten Viertel des Mixes bei Techno und House an – es bleibt jedoch delikat.
Es gibt Portable mit seinem Jahrhunderthit "Surrender", Berghain-Resident Marcel Fengler oder das Duo Session Victim: Deren Track "Hyuwee" könnte – und das liegt nicht nur daran, dass er hier in der Remix-Version des Meisters vorliegt - nun tatsächlich von Koze selbst stammen. Es klirrt und klimpert wunderlich, es klappert und scheppert, ein bisschen schief und dennoch voller Seele. Eine Heliumstimme ertönt.
Am Ende entlässt uns der selig-entrückte Roboexotika-Song "Superstar" der Gruppe The Gentle People in die Schwerelosigkeit. Darum kann es gehen: Das Ausgangsmaterial nicht komplett kaputtschleifen und zerstören, sondern den Urhebern auch huldigen, ihnen und ihrer Göttinnenmusik die Liebe geben, gleichzeitig feinmaschig einen neuen Gesamtzusammenhang häkeln, der über die Originale hinausweist. Aus diesem Mix singt die Musik des DJ Koze zu uns.