Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Die crazyeste Straße Brooklyns"

Martin Brokko New York

Stakkato-Gewichse straight outta Do or Die-Bedstuy

28. 6. 2015 - 14:31

Die crazyeste Straße Brooklyns

Ich rolle mit dem Skateboard über die Fulton Street in Brooklyn. Es ist die Haupstraße Bed-Stuys, sie birst vor Lokalkolorit. Wie diese Fulton Street verstehen? Ich weiß es immer noch nicht.

"Ding" ist so ein Wort, das Lehrer gar nicht gerne im Vokabular ihrer Schüler hören. Nur können die Dinge selbst gar nichts dafür. Denn wie der große Gegenwartstheoretiker Aubrey Graham weiß, sind Dinge das überhaupt Schönste. Und laut Orhan Pamuk auch unschuldig. Martin Brokko berichtet über all diese Dinge aus dem New Yorker Alltag.

Abendverkehr auf der Fulton Street, Ecke Nostrand Avenue.

Martin Brokko

Ich steige aus dem Zug, Nostrand Avenue, A Train-Station. Dank Duke Ellington die jazzigste Linie der Stadt. Skateboard unterm Arm. Die Kugellager an den Achsen sind neu, weil ich die alten wiedermal nicht rostfrei durch den Winter bringe. In dieser Subway-Station gibt es keine Digitalanzeige. Wann kommt die U-Bahn? Nur eine siechende Lacke auf dem U-Bahngleis reflektiert das Frontlicht des einfahrenden Zuges. Es geht zu Fuß an die Oberfläche. Die Brooklyner Luft ist so trocken, dass auf meinem Player nur noch Tropical-Rainstorm-Playlists laufen.

Oben, da wuselt es.

Oben, dort wo man nur noch die Abzugsgitter des Schachts sieht, dort verläuft sie, die Fulton Street. Der Traum eines jeden Schaufensterdekorateurs und Ort, an dem Biggie Smalls im Einzelhandel der 90iger reich wird. In Zeiten von Franchising-Ketten gibt es sie hier noch: die verwaschenen, herrlich unzeitgemäßen Geschäftsauslagen mit nichts als aufgestapeltem Waschmittel oder Klopapier. Greißler-Style, wie ihn nur die Wiener kennen, die alt genug sind, um einst eines dieser schwarzen Autokennzeichen besessen zu haben.

Die Fulton Street. An ihr lehnen jamaikanische Bäckereien und Dollar-Stores. Auf ihr schlendern Menschen, die einzelne Newport-Menthol-Zigaretten in Delis ordern und auf Citybikes wheelie durch die Straßen radeln. Hin und wieder schießt auch einer.

Die Magie des auf dem Skateboard rollenden Menschen: nicht mehr Fußgänger, noch nicht Radfahrer. New York City ist die wohl toleranteste Skateboard-Stadt überhaupt. Polizisten lassen mich auf dem Gehsteig fahren, die alten Crooner rufen mir wohlwollend zu.

Wie jede echte Shoppingstrada gähnt die Fulton Street vor neun Uhr ante Meridiem und nach siebenuhrdreißig post Meridiem angenehm leer. Nur in der Masjid Al Taqwa-Moschee Ecke Bedford Avenue rumpelt in diesen off-peak-shopping-hours alle paar Minuten der A-train von unterhalb der Erde. Unterhalb der gebeugten Knie, die gegen den Teppich pressen; unterhalb der bunt gewebten Takke der Muslime von südlich der Sahara, die hier beten. Nur der Imam kommt aus Kairo.

Mein Freund Waleed nimmt mich diesmal mit. Er hustlet zwölf Stunden im Handyshop auf der Fulton Street. An jedem Wochentag; auch Samstag. Nur Sonntags sperrt er früher zu und geht zum Maghrib, dem Gebet zum Sonnenuntergang.

Waleeds Handyshop auf der Fulton Street.

Martin Brokko

Waleed ist gläubig und will nicht fotografiert werden, also mache ich ein Foto von seinem Shop

Als ich Waleed kennenlerne, zeigt er mir, wie man Schaufensterglas richtig putzt, ganz ohne Streifen. (Kein Tuch, altes Zeitungspapier!)
Er kommt - wie so viele jemenitische Emigranten in den letzten Jahren - aus der gebirgigen Hauptstadt Sanaa. Die meisten eröffnen hier in Brooklyn Bodegas, 24/7 Delicatessen, kurz Delis genannt.

Ich rolle weiter stadteinwärts zu meinem mauretanischen Freund Djibril. Er wohnt auf der Fulton Street und malt. Hier, zwischen Bedford und Franklin Avenue, ein afrikanisches Viertel. Die Bewohner kamen in den 1990igern und 2000ern aus Mali, Senegal und Guinea, sie haben ihre eigenen Cafés, Kleidungsshops.

Djibril und ich sitzen im Café und sippen Tee.

Martin Brokko

Wir sitzen im Café, sippen Tee und schauen auf die Fulton Street. Djibril, zu Deutsch Gabriel, hat eine Intonation drauf, dass ich mit meinem Schulfranzösisch oft ordentliche Verständnisprobleme habe. In Djibrils Französisch wird das R gerollt - "Trrrrrrrrrrrrrès bien!" - Worte gegluckst und das O gerundet. Djibrils Züge sind weich, er sportet gerne weite Hemden. Vor vier Jahren kam er nach Amerika. Davor war er jahrelang Maler und Fotograf in Mauretanien, zeichnete das Girl aus seinen Träumen, stellte im Nationalmuseum aus. Managte mehrere Bands aus der Umgebung: Benin, Mali und Gambia und tourt mit ihnen in Frankreich.

Wir laufen noch ein Stück weiter, zum Platz, an dem die Stadt Biggie kein Denkmal bauen will. Der Nachmittag ist spät, die Sonne tief. Die glückliche geographische Lage Bed-Stuys: alle Straßen zeigen stadteinwärts nach Westen. In keinem New Yorker Viertel braucht die Sonne länger, um sich zu betten.

Djibril schlendert über die Fulton Street.

Martin Brokko

Ich drehe um, rolle ein letztes Mal die Fulton Street entlang. Mein Nachhauseweg ist auch Kanye Wests Route auf "Gotta have it": "Made a left on Nostrand Ave / We in Bed-Stuy."