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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

16. 6. 2015 - 14:22

Ein Grab und die Fahnen Europas

Die Künstlergruppe "Zentrum für Politische Schönheit" hat heute in Berlin das erste Begräbnis ertrunkener Flüchtlinge initiiert. Die Leichen wurden dafür von Sizilien nach Berlin geholt.

Bevor sich die Trauernden und Angehörigen persönlich von der Toten verabschieden können, liest der Imam Stellen aus dem Koran und betet. Seine Grabrede, der Appell an eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik und an ein Miteinander der Konfessionen, wird beinahe vom hundertfachen Klicken und Zoomen der Kameras übertönt. Auf die gut 150 Trauergäste kommen ebensoviele Journalisten aus aller Welt. Von den geladenen Politikern hat sich niemand blicken lassen. War ja auch nicht anders zu erwarten. Die reservierten Stühle für Kanzlerin Merkel, Innenminister De Maizière und andere blieben leer.

Es war sicher keine würdevolle Beerdigung im herkömmlichen Sinn – dafür war das begleitende Mediengetöse zu groß. Es war aber auf alle Fälle eine menschenwürdige. Die Frau, die laut Zentrum für Politische Schönheit-Sprecher Stefan Pelzer in Sizilien in einem Feld als „Unbekannte Tote Nr. 2“ verscharrt wurde, sei nun endlich „angekommen, so wie es sich die Angehörigen gewünscht haben“. Die Identität der Frau im weißen Sarg wollten die Künstler, die sich nicht als politische Aktivisten verstehen, „zum Schutz der Angehörigen“ geheim halten. Ihre Geschichte ist uns aber auch so tausendfach vertraut.

Stefan Pelzer Zentrum für Politische Schönheit

Christian Lehber

Stefan Pelzer, sonst "Eskalationsbeautragter" vom Zentrum für Politische Kultur, fordert heute von allzu forschen Journalisten Mäßigung und Respekt für die Toten und ihre Angehôrigen.]

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Das Boot mit den Flüchtlingen kenterte vor Sizilien.
Die aus Damaskus stammende Frau und ihre jüngste Tochter ertranken. Der Vater und drei andere Kinder überlebten. Die Familie ist mittlerweile in Deutschland. Der Vater hat den islamischen Friedhof im Stadteil Berlin-Gatow ausgesucht, erhielt aber laut Stefan Pelzer von der lokalen Ausländerbehörde keine Genehmigung, am Begräbnis teilzunehmen. Seine zweijährige Tochter wurde nie geborgen. Sie wird heute symbolisch mitbestattet.

Mit der Aktion Die Toten Kommen trägt das Zentrum für Politische Schönheit die schrecklichen Konsequenzen der EU-Flüchtlingspolitik zurück in ihr Herz. Das vermutet das Künstlerkollektiv in Berlin, wo laut Pelzer die "todbringenden Entscheidungen" von einer "mörderischen Bürokratie" getroffen werden. Für die Deutschen sei der tausendfache Tod ein abstraktes Problem, das auf Mittelmeerländer wie Italien oder Griechenland geschoben werde.

Zentrum für Politische Schönheit, #DieTotenKommen

Christian Lehner

Die für die Politiker reservierten Stühle blieben leer.

Die Aktion zeigt auch, wo das öffentliche Interesse in der Regel aufhört, nämlich bei der Todesmeldung in den Medien. Was aber passiert mit den Leichen? Werden die Identitäten der Menschen festgestellt und die Angehörigen informiert? Der Traum von Europa endet für viele Flüchtlinge in einem anonymen Massengrab oder einer Kühlkammer. Zumindest bei dieser Frau und ihrem Kind ist das heute anders. Ein schwacher Trost ist besser als keiner.

Hinter dem Erdhaufen des Grabens wehen die Fahnen Europas. Die Trauernden werfen Blumen auf den Sarg. Auch Fremde sind gekommen, um sich zu verabschieden. Selbst wenn sich die Aktion als Hoax herausstellen sollte, wie einige Beobachter vermuten, zeigt sie die Grenzen des Menschlichen an Europas Grenzen auf.

Das Zentrum für Politische Schönheit hat für die kommenden Tage weitere Beerdigungen angekündigt. Die Orte werden erst kurz vor den Bestattungen bekannt gegeben. Am Sonntag endet die Aktion mit dem Marsch der Entschlossenen vor das Bundeskanzleramt in Berlin-Mitte. Ein Bagger soll dort eine Grabstätte ausheben, wo ebenfalls Menschen bestattet werden sollen.