Erstellt am: 16. 6. 2015 - 13:39 Uhr
"Zuerst denken, dann klicken"
Gewinnversprechen, Phishing Mails, gequälte Hunde und angebliche Fahndungsaufrufe – nähme man alles ernst, was einem in sozialen Netzwerken und im Email-Posteingang so begegnet, ließe das die Welt als einen seltsamen Platz erscheinen. Aber was, wenn manches davon doch stimmt? Wenn jemand wirklich Katzen vergiftet in meiner Stadt? Wenn die Enkeltrickbetrüger wirklich ihr Unwesen treiben – dort, wo meine Oma wohnt?
Aufklärung statt Vermutungen
FM4/Rainer Springenschmid
"Mimikama" steht an der Klingel des Neubaus im 3. Bezirk in Wien. Tom Wannenmacher und André Wolf haben sich hier im gemütlichen Dachgeschoß mit Terrasse ihr Büro eingerichtet. Sehr ordentlich wirkt es, nur ein paar Säcke mit Grillkohle stehen im Eck, eine Kiste mit leeren Bierflaschen steht zum Abtransport bereit. Tom grinst verlegen: "Wir haben letzte Woche zum ersten Mal ein Mimikama-Treffen gehabt, wo das gesamte Team aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen gekommen ist." Fast zwanzig Leute also, die alle ehrenamtlich Fakes und Internetbetrügern auf die Schliche kommen wollen. Nur Tom und André machen das hauptberuflich. Und haben offensichtlich viel Spaß an der Sache.
Vor vier Jahren hat Tom aus einer Eingebung heraus die Facebook-Seite "Zuerst Denken, dann Klicken" gestartet. „Ich bin selber Opfer eines Internet-Betrugs geworden", erzählt er. „Nichts Schlimmes, aber ich habe mir gedacht, ich muss meine Freunde warnen.” Das geschah an einem Freitag. „Als ich am Dienstag wieder auf die Seite geschaut habe, hatte die 5.000 Follower. Da hab ich mir gedacht, dass es offensichtlich ein Bedürfnis gibt."
Großer Bedarf
Inzwischen hat die Seite über 540.000 Follower, 1.500 sind im Forum auf ZDDK.eu aktiv, schicken verdächtige Links oder Emails ein, recherchieren selbst oder geben Hinweise. Das Kernteam besteht aus 15 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die sich neben ihren Brotberufen ehrenamtlich mit der Aufklärung von Fakes, Frauds und Hoaxes beschäftigen, sowie einer Anwaltskanzlei in Mainz – und den zwei Festangestellten Tom und André.
„Irgendwann ist der Aufwand einfach zuviel geworden”, erzählt Tom, „und ich habe eine Möglichkeit gesucht, das hauptberuflich zu machen. Von Spenden allein lässt sich Mimikama leider nicht finanzieren, öffentliche Förderungen bekommen wir keine, also schalten wir auf mimkama.at, der Website des Vereins, über einen Promoter Werbung. In der Community hat uns das schon einige Diskussionen beschert, aber irgendwie müssen wir ja auch unsere Miete bezahlen.”
Einer der Hauptsponsoren ist der russische Anti-Viren-Hersteller Kaspersky, zu dem Mimikama auch in der täglichen Arbeit guten Kontakt pflegen. „Über die Jahre baut man sich eben ein Netzwerk an Leuten auf, bei denen man nachfragen kann, wenn man die Hintergründe einer Meldung recherchiert – und die selber auch bei uns nachfragen, wenn sie etwas wissen wollen. Polizei- und sonstige öffentliche Stellen gehören zu unseren ersten Ansprechpartnern”, erzählt Tom. Aber auch Journalisten und die Mainzer Anwaltskanzlei sind häufige Quellen – das Meiste aber recherchieren die Mimikamas selbst im Internet.
FM4/Rainer Springenschmid
Ob ihnen manche, immer wiederkehrende Themen nicht schon auf die Nerven gehen? Nein, meinen André und Tom – es seien ja schließlich immer neue Leute, die die Anfragen stellen, man könne eben nicht davon ausgehen, dass einmal behandelte Hoaxes ein für alle Mal aus der Welt geschafft seien. Die meisten urbanen Mythen, Falschmeldungen oder Kettenbriefe tauchen, wenn die erste Welle abgeebbt ist, im Abstand von ein paar Monaten immer wieder auf. Nur beim Thema Verschwörungstheorien verdreht Tom die Augen und meint, zum Glück gebe es da im Team Spezialisten, die sich mit Chemtrails, Aluhüten und ähnlichem beschäftigen. Und André meint, ihm mache die Zunahme von rechtsextremen und hetzerischen Inhalten Sorge, vor allem, weil solche Inhalte eben immer mehr auch von ganz normalen Bürgern geteilt würden. Aber auch hier versuche man, mit Fakten gegenzusteuern. Insgesamt fällt im mimikama-Umfeld der für Internet-Diskussionen entspannte Tonfall auf. Äußerungen wie "man muss schon ein ziemlicher Idiot sein, wenn man darauf noch hereinfällt" wird ziemlich schnell von anderen Usern widersprochen.
Soziale Ader und Hang zum Besserwissen
„Man braucht schon ein bisschen eine soziale Ader um das zu machen”, erzählt André, ehemaliger Theologiestudent und vor drei Monaten wegen des Mimikama Jobs aus Norddeutschland nach Wien gezogen. Ob man, krame ich in der Klischeekiste, für so eine Arbeit nicht auch ein bisschen ein Besserwisser sein müsse? „Ja!” grinst André, "Naja", relativiert Tom, “wir veröffentlichen ja nur Sachen, die wir wirklich mit Fakten belegen können. Es ist zwar schon mal vorgekommen, dass wir den einen oder anderen Artikel ergänzen mussten, oder einzelne Dinge klarstellen, aber in der Grundaussage sind wir tatsächlich noch nie falsch gelegen.”
FM4/Rainer Springenschmid
Nerds oder Partner?
Auch mit Facebook selbst steht Mimkama in Kontakt, was manchmal ganz praktisch sei, wenn es darum gehe, betrügerische Inhalte schnell zu sperren. „Allerdings bestehen in einigen Dingen doch erhebliche Auffassungsunterschiede”, meint Tom. „Zum Beispiel wurden unsere Konten schon einmal gesperrt, weil wir ein Foto von einem Ellbogen gepostet haben, das Facebook offensichtlich mit einer weiblichen Brust verwechselt hat. Dabei haben wir das fragliche Objekt extra eingekringelt und mit Pfeil und dem Wort 'Ellbogen' versehen”.
Tom hebt seine Facebook-Kaffeetasse und zieht eine Schachtel mit blauen Facebook Sonnenbrillen hervor. „Facebook hat uns letztes Jahr in die Deutschland-Zentrale nach Berlin eingeladen, wir durften dort mit dem Facebook Sicherheits-Team der Europazentrale in Dublin reden per Live-Schalte”, erzählt André. „Die wollten offensichtlich herausfinden, ob sie es mit 14, 15jährigen Nerds zu tun haben oder ob wir ernstzunehmende Partner sind”, grinst Tom. „Nach ca. 45 Sekunden war klar: wir sind Nerds.” „Da gab's dann Schokoriegel, Sonnenbrillen und Kaffeetassen.”
Glaubst du alles was im Netz steht?
Tom Wannenmacher und André Wolf von Mimikama.at sind heute, Dienstag, ab 21 Uhr zu Gast in FM4 Auf Laut.
Glaubst Du alles, was im Netz steht? Wem kann man in den Sozialen Medien überhaupt noch glauben? Wenn Du Fragen hast oder mitdiskutieren möchtest: Ab 21 Uhr unter 0800 226 996 oder +43 1 5036318.
FM4 Auf Laut, immer dienstags ab 21 Uhr auf FM4 und gleich im Anschluss für sieben Tage unter fm4.orf.at/7tage.