Erstellt am: 14. 6. 2015 - 17:48 Uhr

The daily Blumenau. Sunday Edition, 14-06-15.

Den ersten Matchball verwertet. Die Live-Begleitung des EM-Quali-Matches von Österreich in Moskau gegen Russland.

#fußballjournal15

Natürlich kann die EM-Teilnahme dem ÖFB-Team noch entgleiten. Bei Heimniederlagen gegen Moldawien und Liechtenstein wäre alles futsch. Im Normalfall sollte es das aber gewesen sein: zwei Siege gegen Russland, das zählt schon etwas im internationalen Fußball. Und es zählt doppelt, wenn die internationalen Kommentatoren von einem völlig verdienten Sieg zu erzählen haben.

Schluss-Fazit zum Match: ein Sieg, der schon viel früher, in Halbzeit 1 hätte feststehen müssen, als sich Russland als Scherbenhaufen präsentierte, den man nur noch zusammenkehren hätte müssen. Österreich war eigentlich von Beginn an ein, später dann zwei Tore besser.

Der einzige Vorwurf, den sich das Team machen muss: diese Überlegenheit nicht schon in der Phase der Überlegenheit festgemacht zu haben. So musste man sich eine Halbzeit lang plagen, wo man eigentlich locker hätte durchspielen können.

Overall war Capellos Team aber an diesem Abend (wohl auch sonst) einfach kein Gegner auf Augenhöhe. Nach dem Hinspiel hat der russische Fußball in gleicher Weise abgebaut, wie der österreichische Fußball stärker wurde. Deutlicher konnte sich das nicht manifestieren. Und das hat nicht nur mit dem Ausfall des Innenverteidiger-Duos zu tun, sondern auch mit der lahmen Performance von Capello und einiger seiner Haupt-Protagonisten.

Es war nicht mehr als eine völlig normale, keinen Einzelakteur extrem fordernde Leistung der Österreicher nötig, um aus Moskau drei Punkte mitzunehmen. In den seriösen Previews wurde auf die begründet gute Ausgangsposition (eigene Stärken, gegnerische Schwächen) ja schon hingewiesen.

Und hier kommt die wichtigste aus diesem Spiel zu ziehende Lehre: dass man sich beim ÖFB damit anfreunden muss, diese neue Position der Stärke zu nutzbringender Überlegenheit umzusetzen, einen kleinen Bruder des Deutschland-Gens wahr zu machen. Das ist eine bisher im österreichischen Nachkriegs-Fußball noch nie gemachte Erfahrung, ein erst- und einmaliger Zustand.

Aber es reicht für einen wichtigen und großen Sieg

In der Schlussphase wirken die Russen wieder wie gelähmt. Die Angst vorm Versagen - und eine Niederlage wäre eine Katastrophe, Medien und Öffentlichkeit würden Capello wohl töten, der wackelige Verband kommt unter Zugzwang, das Selbstbewusstsein der Spieler wäre für die letzten Partien schwer beschädigt - führt zu Lähmungen. Selbst die Bälle von Einwechsler Kershakov kommen ohne die entsprechende Wucht.

In Minute 87 geht 10 Junuzovic, letztlich man of the match, der beste unter vielen guten - für ihn kommt Absicherer 15 Prödl. Der letzte Wechsel im Spiel.

Und wieder geht ein die Russen betreffendes Klischee in Erfüllung: dass man sich schneller aufgibt als Kicker mit anderen Mentalitäten. Die letzten zehn Minuten zeigten das: Die russischen Kicker hatten nichts mehr zuzusetzen, aus hängenden Köpfen wurden hängende Körper.

Spannend ist es ja, blöd nur, dass das überflüssig ist

Wie sagt man so schön? Das Spiel ist jetzt in der entscheidenden Phase.
Russland wirft alles, was es hat, in die offensive Waagschale.

72.: 11 Kershakov kommt für 23 Kombarov, den linken Verteidiger (das ist bereits der dritte Tausch!). Also wird Zhirkov nach links hinten gehen. Kokorin orientiert sich nach linksaußen, zieht aber stark nach innen, wie auch Shatov über rechts, der kurz danach nur knapp verzieht.

75.: 9 Okotie kommt für 21 Janko, auch der zweite Koller-Wechsel ist in Position.

Österreich bleibt in seiner Offensiv-Formation, in einem 4-2-4, stellt sich also keineswegs mit zwei Ketten hinten rein, sondern achtet darauf immer aktionsfähig zu bleiben.

Capello hat nicht den Mut sich von seinem 4-3-3 zu verabschieden: Zwar dürfen die drei Sechser in Halbzeit 2 durchaus mehr, Überzahl im offensiven Zentrum können die Russen aber trotzdem nicht erzielen.

Als Chernov blutet, wird er mit einer Wasser-Flasche, die wie eine Vodka-Bottle aussieht, gelabt.

Die erste gelbe Karte fängt sich Kokorin in Minute 80.
Apropos:

Einschub:
Ein bisher noch nicht deutlich genug erwähnter Faktor: Die gute technische Beschlagenheit und das nicht unendlich hohe Tempo der Russen in Verbindung mit der Tatsache, dass sich Team Österreich da durchaus anpasst (und wohlfühlt), lassen ein Duell mit wenigen spielzerstörenden Fouls und einiges an Standfußball zu. Das ist schön anzusehen und sorgt für längere Ball-Stafetten bzw. die Chance einen Gegner auszuspielen, ohne Gefahr zu laufen, dass der einen umsäbelt.
Diese von Russland ausgehende Spielanlage hilft eher Österreich - die könnten auch anders.

Und dann bettelt Österreich um den Ausgleich

Halbzeit 2 geht los: Marcel Koller hat sein von hässlichen Logos geschändetes Jackett ausgezogen und präsentierte sich in löw'schen Hemden-Weiß.

Einen Wechsel gibt es: 13 Miranchuk kommt für 20 Ivanov, auf der linken defensiven Mittelfeldseite. Vor Glushakov, der die trügerische Nummer 8 trägt, aber oft wie ein Solo-Sechser alter Schule zurückkippt, spielt ja halbrechts Kapitän Shirokov, halblinks in Halbzeit 1 eben Ivanov. unauffällig wie alle seine Kollegen.

Österreich steht gut, die sehr, sehr sicheren Innenverteidiger Dragovic - Hinteregger (die Koller wohl auch deshalb nicht zerreißen wollte) stehen weit auseinander, auch wenn Ilsanker nicht zurückkippt, entsprechend weit vor sind die Außenverteidiger geschoben - insofern ist es auch kein Wunder, dass Shirkov so weit hinten agiert. Daraus folgt: die erste Szene in Halbzeit 2 gehört wieder dem ÖFB-Team - Harnik schießt drüber (50.).

Dann lässt Österreich bereits zum dritten Mal in diesem Spiel etwas zu: Und wieder nimmt der russische Gegner das Angebot an und stabilisiert sich; sogar mit zwei, drei halbwegs gefährlichen Szenen, den besten im gesamten Match bislang.

Wenn Kollers Mannschaft nicht bald ihre Zurückhaltung aufgibt und zeigt, wer der Chef am Platz ist, wird sie sich den Ausgleich einfangen.

Die Konsequenz dieser im Raum stehenden Drohung: Österreich nimmt den Fight an, ab Minute 57 entwickelt sich ein Spiel der Marke offener Schlagabtausch. Die beiden Teams schenken einander abwechselnd im Ansatz gefährliche Angriffe ein, aus denen jederzeit echte Gefahr entstehen könnte - Shatov hat nach Shirokov-Pass die beste dieser Szenen (65.).

Erster Wechsel bei Österreich: 20 Sabitzer für 11 Harnik, ein Tausch am rechten Flügel (65.) Der hat dann recht schnell eine gute Schusschance, die sich in Akinfeevs Beinen verfängt.

Vorgezogenes Halbzeit-Fazit, schon an Minute 35 klar

Es mag aussehen, als wäre bereits alles erledigt, aber: Es ist ein gefährlicher Spielstand. Es steht "nur" 0:1, wiewohl ein 0:2 nicht nur möglich, sondern korrekt gewesen wäre. Und so kann noch etwas passieren, wenn sich Russland noch erholt.

Es ist dasselbe wie nach der schlimmen Flipper-Anfangsphase der Sbornaja: Das ÖFB-Team hält sich nobel zurück, bietet Standfußball und achtet höflich darauf, dass Russland wieder zurückkommen kann. Das ist in Gentleman-Sportarten ohne kompetitiven Charakter okay, im Fußball aber verdammt gefährlich.

Es würde also in jeder Hinsicht noch deutlich mehr gehen: Ein erschreckend inkompetent nominiertes Team ohne jegliches Selbstvertrauen legt dem Gegner eine Chance nach der anderen auf, ohne dass Österreich die Geschenke annimmt. Im Gegenteil: Man legt eine zehnminütige Pause ein, in der Russland sich erholen kann.

Detto die Phase nach der Führung und der 100%igen von Baumgartlinger: Anstatt gegen eine völlig verstörte Mannschaft noch einen draufzusetzen, hält man sich wieder dezent zurück.

Positiv: Die Defensive lässt wenig zu, engt die Räume vor allem im Zentrum gut ein, fängt aber auch die relativ beste Waffe der Russen, ihr passables Flankenspiel, gut ab. Auch der Aufbau kommt gut, wenn auch nur allzu selten im vollen Tempo, das die russische Hintermannschaft vor eklatante Probleme stellt. Das Flügelspiel könnte ausgeprägter sein. Die Effektivität auch.

Letztlich hat Österreich immer ein Tor zu wenig

Nach 20 Minuten können die Russen das, was Österreich schon ein paar mal gelang, wiederholen: ein handballähnliches Powerplay. Team Russland ist also im Spiel: die Horror-Phase der nerverlnden Fehler vorbei. Das Match beginnt von vorne.

Das ist insofern schlecht, weil diese katastrophale Anfangsphase ein Gegentor geradezu herausgefordert hatte - das ÖFB-Team aber kein Kapital draus schlagen konnte: zu nobel war, um diese Geschenke anzunehmen.

Wie es prinzipiell ums russische Team bestellt ist, zeigt der völlig misslungene Freistoßtrick in Minute 25: Man merkt, dass sich Capello etwas überlegt, aber nicht das Personal zur Umsetzung hat. So bleiben Standschüsse wie der von Shatov (28.) die einzige Ausbeute.

Was Capello aber besser zusammenbringt als sein Gegner: Die Außenbahnen werden zunehmend besser gedoppelt. Vor allem links mit Kombarov und Zhirkov läuft einiges.

Das Führungstor gelingt dennoch - verdient - Österreich in Minute 33: Rechtscross von Harnik, Junuzovic' Schussversuch am Fünfer wird geblockt, sein Rebound kommt als kleine Bogenlampe zu Janko, der den Ball per Rückzieher ins kurze Eck zischen lässt.

Zwei Minuten später hätte Baumgartlinger die Chance, als er von Junuzovic (nach einem exzellenten Lauf) durch ein Riesenloch geschickt wird, sein (auch klar zu lauer) Chip landet knapp neben dem Tor. Und wieder könnte es 0:2 stehen, und wieder gibt's eine Ein-Tores-Diskrepanz zwischen Soll und Haben.

Die Anfangsphase: Nervöse Russen schenken sie her

Die Stimmung im sonnigen, aber nicht komplett besetzten Spartak-Stadion ist gut. Auch Arnautovic kommt ein Lächeln aus. Dragovic hat wieder neue Tattoos. Schiri Mazic stammt aus Serbien. Man hat sich eine schöne, ironische Choreo überlegt: Russland als Anhalter, der am Rand der Autobahn nach Frankreich hitchhikt.

Von einem russischen Angriffs-Furioso, das manche erwartet haben, kann keine Rede sein. Österreich schafft es schon in den ersten Minuten den Gegner auch reinzudrängen. In Minute 4 passiert einem der unsicheren russischen Neulinge zudem fast ein Eigentor.

Da die Fehler nicht abreißen (Kombarev verliert den Ball gegen Arnautovic, dann patzt die Innenverteidigung wieder, 7.), kommen die Österreicher zu weiteren unerwarteten Torszenen. Und dann drei Minuten später schon wieder. Russland spielt sich tatsächlich selber ins Eck.

Als sich dann auch noch Berezutski, der letzte verbliebene Stabilisator in der Abwehr verletzt und in Minute 12 der Debutant Chernov (Nr. 21) kommt (ein Junge, der weder im Team noch bei ZSKA Spielpraxis hat), ist man fast schon geneigt von einer gmahten Wiesen zu sprechen.

Die russischen Szenen entspringen Halb-Kontern, werden nur einmal ansatzweise gefährlich. Trotzdem hat man zwischen 15. und 20. Minute das Gefühl, als würde Österreich gestatten, dass sich die jungen Russen hinten einspielen - man behelligt sie nicht allzu sehr, lässt im Gegenteil auch ein wenig mehr nach vorne zu.

Die Ausgangslage ist klar:

Bei einem Sieg kann man die Quartiere in Frankreich schon buchen, bei einem Remis hält man einen direkten Gegner deutlich auf Distanz und auch bei einer Niederlage ist nichts verhackt.
Dazu kommt der gute Lauf, die gesunde Entwicklung, die Stabilität und die personelle Kontinuität, auf die Marcel Koller sein Konzept baut.
Auf der anderen Seite ein verunsicherter Gegner, der auf allen Linien Probleme hat (die hier gut aufgelistet sind) und auch sportlich nicht in die Gänge kommt.

Was gegen einen österreichischen Coup in Moskau spricht: Schon in Wien tat sich das ÖFB-Team unendlich schwer, gewann nur mit einem gehäuften Teelöffelchen Glück. Fabio Capello hatte die geschwächten Österreicher (die zentrale Achse Alaba - Baumgartlinger) war nicht dabei) mit einer sehr einfachen Taktik lange im Griff: einem 4-3-3 mit einer sehr engen, italienisch anmutenden Mittelfeld-Troika von drei Sechsern, die auch zu Achtern werden. Dagegen fand das Ersatz-Duo Ilsanker - Leitgeb lange kein Mittel, ehe Koller sie in der Halbzeit druckvoller und offensiver einstellte. Der auf diversen Ebenen stark unter Druck stehende Capello erreicht damit zumindest Gleichwertigkeit, und verlor das Match durchaus unglücklich.

Die Aufstellungen sagen: Taktisch hat sich nichts geändert. Koller spielt wieder mit Ilsanker, der schon einmal die Kurve kriegte und dem strategisch intelligenten Baumgartlinger.

Österreich (klassisch weiß-schwarz): 1 R. Almer; 17 F. Klein, 3 Dragovic, 4 Hinteregger, 5 C. Fuchs (K); 6 Ilsanker, 14 Baumgartlinger; 11 Harnik, 10 Junuzovic, 7 Arnautovic, 21 Janko.

Russland fehlt der langfristig verletzte Fauizulin, dazu fällt kurzfristig auf Innenverteidiger Ignashevich auf. Die Außen sind mit Oldie Zhirkov und dem körperlosen Sharov nicht optimal besetzt. Deshalb wirkt das 4-3-3 eher wie ein 4-3-2-1.

Russland:1 Akinfeev; 6 Smolnikov, 4 Novoseltsev, 14 V. Beresutski, 23 Kombarov; 8 Glushakov, 15 Shirokov (K), 20 O. Ivanov; 17 Shatov, 9 Kokorin, 18 Zhirkov.

Die zwei Neuen kommen nicht von den Groß-Klubs, sondern aus Rostov (die noch Relegation spielen mussten) und Grozny. Soviel zur dünnen Personaldecke, die Capello aufgrund der fehlenden Legionäre und der vielen Ausländer in der russischen Liga zur Verfügung hat.

Bei einem Sieg heute kann eine mit Selbstbewusstsein hochgepumpte russische Mannschaft sich aber noch problemlos zur Qualifikation hochschaukeln. Was nichts über die Chancen Österreichs aussagt.

Die Ersatzbänke:
12 Rebrov, 16 Ryzhikov; 3 Parshivlyuk, 5 Makeev, 2 Nabiullin, 21 Chernov; 7 Ozdoev, 10 Dzagoev, 13 Miranchuk, 19 Samedov; 11 Kerzhakov, 22 Dzyuba.
12 H. Lindner, 23 Özcan; 2 Garics, 13 Suttner, 15 Prödl, 16 K. Wimmer; 8 Pehlivan, 19 Jantscher, 22 Schobesberger; 9 Okotie, 18 Hinterseer, 20 Sabitzer.