Erstellt am: 15. 6. 2015 - 18:22 Uhr
Die Üble Sache
KiWi
"Ich nehme jetzt seit, mal überlegen, rund einem Jahr Antidepressiva, und ich würde mal sagen, da kann ich ganz gut einschätzen, wie die so sind. Sie sind eigentlich ganz okay, aber so, wie es okay wäre, auf einem anderen Planeten zu leben, wo es warm und gemütlich ist und Essen und frisches Wasser gibt: Es wäre okay, aber es wäre natürlich nicht die gute alte Erde. Ich war jetzt fast ein Jahr nicht mehr auf der Erde, weil es mir auf der Erde nicht besonders gut ging. Hier auf dem Planeten Trillaphon, wo ich jetzt bin, geht es mir etwas besser, und das dürfte für alle Beteiligten eine gute Nachricht sein."
Damit beginnt der 22-jährige David Foster Wallace die Erzählung "Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache". "Die Üble Sache" oder "The Bad Thing" nennt der Ich-Erzähler seine Depression. Dort, wo die Sprachlosigkeit, die Ohnmacht beginnt, setzt David Foster Wallace an. Er bringt das schwer Fassbare in beeindruckende und nachwirkende Bilder und Worte. Unglaublich direkt, klar und offen beschreibt er seine Problemen mit der Krankheit.
Der Protagonist, ein junger Student, erzählt von beklemmenden, erdrückenden Gefühlen, von tiefen Schmerzen in jeder Zelle des Körpers – vom Einswerden mit der Übelkeit. Und er erzählt von Halluzinationen. So glaubt er, neben seiner Nase würde eine große Wunde klaffen. "Und als meine Eltern eines Abends mal ausgegangen waren, habe ich Nadel und Faden genommen und versucht, die Wunde zu nähen. Das tat verflixt weh, weil ich natürlich kein Betäubungsmittel hatte. Und wie ich heute weiß, war es natürlich auch übel, weil es keine Wunde zu nähen gab."
Das ist das Problem mit Depressionen – man sieht sie nicht, aber sie hinterlassen tiefe Wunden.
tacheles
Mehr Bücher:
fm4.orf.at/buch
Das Antidepressivum des Ich-Erzählers ist Tofranil. Das Medikament entfernt ihn von der Erde und bringt ihn auf den Planeten Trillaphon, auf dem immer ein Geräusch klirrt. "Das neue Geräusch ist nicht gerade angenehm, aber besser als die alten Geräusche, die einfach nicht zum Aushalten waren. Das neue Geräusch auf meinen Planeten ist eine Art elektrischer Hochspannungstriller."
Das Leben auf dem Planeten Trillaphon ist langsamer und gedämpfter als auf der Erde. Man ist auch schneller müde dort. Aber man kann es sich irgendwie einrichten. Relationen im Leben des Ich-Erzählers verschieben sich - Suizidversuche tut er als lächerliche Vorfälle ab. Selbstmord sei eine reine Formsache, folgert er. Weil die betroffenen Menschen den Teil, der zählt, längst umgebracht hätten.
© Marion Ettlinger
Das alles liest sich natürlich umso bedrückender, hat David Foster Wallace doch 2008 tatsächlich Suizid verübt. Dennoch darf man den Ich-Erzähler nicht mit ihm gleichsetzen. Auch wenn er damals so alt war wie der Erzähler und auch wenn er ebenfalls ein hochbegabter Student war, der aufgrund der Krankheit sein Stipendium abgeben musste.
Selten liest man so ergreifend, bewegend und berührend von Depressionen. Von der Üblen Sache. Umso erstaunlicher, dass trotzdem immer wieder Humor auftaucht.
Zum emotionalen Aufbau empfiehlt sich aus der gleichen zweisprachigen Reihe "Das hier ist Wasser/This is Water".
In dieser frühen Erzählung erkennt man schon das enorme Talent, das David Foster Wallace später in Romanen wie "Unendlicher Spaß" oder "Der bleiche König" perfektionierte. Darin liegt die Kraft außergewöhnlicher Literatur: Das in Worte zu fassen, was schwer beschreibbar ist. Die Kommunikation zwischen der Erde und dem Planeten Trillaphon ist schwierig. Aber - es gibt sie.
Gewinn ein Buch!
Wir verlosen zwei Exemplare von "Der Planet Trillaphon im Verhältnis zur Üblen Sache/The Planet Trillaphon As It Stands In Relation To The Bad Thing".
Dafür musst du uns folgende Frage richtig beantworten: In welchem College hielt David Foster Wallace die Abschlussrede "This is Water"?
Die richtige Antwort ist: Kenyon College.
Die GewinnerInnen wurden per mail benachrichtigt.