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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

14. 6. 2015 - 15:23

4ever Love

Paris, die Stadt der Liebe geht endlich gegen eine der blödesten Moden der letzten Jahre, die sogenannten "Liebesschlösser", vor.

Wie allgemein bekannt ist, geht ja alles den Bach runter, die Menschheit entwickelt sich eher zurück und auch das mühsam Erreichte wird von einem Backlash nach dem anderen bedroht.

In diesen düsteren Zeiten muss man sich über die kleinsten guten Nachrichten freuen, Kraft aus den unscheinbarsten Zeichen der Veränderung und den kurzen Lichtblicken in finsteren Zeiten ziehen.

So ein kleiner Silberstreif am Horizont tauchte letztens in Form einer Nachricht unter der Rubrik "Vermischtes" in den Zeitungen auf: Paris, die Stadt der Liebe geht endlich gegen eine der blödesten Moden der letzten Jahre, die sogenannten "Liebesschlösser", vor.

Liebeschlösser

Superbass

CC BY-SA 3.0 / Wikimedia Commons

Letzte Woche bereits schritt die Pariser Stadtverwaltung zur Tat, genauer gesagt zum Bolzenschneider und knackte die etwa 45 Tonnen schweren, äußerst hässlich anzusehenden Liebesschlösser an der stark von Romantikdeppen heimgesuchten Pont des Arts.

1804 war die Brücke erbaut worden und 2014 war, nachdem sich über eine Million Paare mit Schlössern dort verewigt hatten, ein Teil des Brückengeländers unter der Last der Schlösser herausgebrochen. Wegen Platzmangels hatten die Pärchen ihre Schlösser an den bereits festgemachten Vorhängeschlössern in zweiter und dritter Reihe befestigt. Wer vergessen hatte, sich das passende Schloss samt Gravur rechtzeitig online zu bestellen, konnte vor Ort bei den afrikanischen Straßenhändlern aus einem großen Angebot an Liebesschlössern wählen, statt mit einer Gravur wurden dann die Namen mit Edding verewigt.

"Warum Schlösser an Brücken hängen als Liebesbeweis?", fragt sich die Eine oder Andere an dieser Stelle. Ja, warum denn nicht? Das Liebesschloss ist doch ein starkes Symbol für das Pärchentum an sich! Liebe ist, wenn zwei Leute miteinander eingesperrt sind, die beide nicht mehr weg können. Und damit diese Verbindung auf ewig unauflöslich bleibt, wird der Schlüssel für dieses Liebesgefängnis weggeworfen.

Diese merkwürdige Tradition existiert etwa seit 2008 bei Pärchen, die ihren Urlaub in großen europäischen Hauptstädten verbringen. Der Städteurlaub ist neben dem "Essen gehen", also dem Restaurantbesuch, ja längst ein Grundpfeiler der Romantischen Zweierbeziehung.

Über die Rituale der Romantischen Liebe, (wir nennen es RZB - Romantische Zweierbeziehung) hat die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrer Studie "Der Konsum der Romantik" geforscht. Hier kann man schön nachlesen, wie Kapitalismus und Liebe zusammenhängen, wie Liebe und Konsum voneinander abhängen und sich verstärken.
Ihre Untersuchung ergab, dass "Romantische Liebe" zwar allen befragten Paaren als einzigartiges Gefühl gilt, die besonderen Augenblicke dieser Romantischen Liebe entstanden bei allen Befragten doch auf stereotype Weise – durch das Aufladen von Alltagsgegenständen mit Emotionen.

Spezielle Musik, Speisen, Beleuchtung intensivieren die Gefühle der Beteiligten, weshalb Liebesromantik auch mit religiösen Ritualen vergleichbar ist. Vor allem Luxus- und Reisegüter sind Romantischen Gefühlen sehr förderlich. Der Gebrauch von Luxuswaren fördert den schönen Augenblick, erhöht die emotionale Verbundenheit und verstärkt die Kommunikation. Eine wichtige Rolle spielen auch fremde, exotische Orte.

Liebesschlösser in Pecs

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Zaun in Pecs (GFDL / Wikimedia Commons)

So steuert Konsum selbst die Handlungen, die uns als antikonsumistisch und subversiv erscheinen. Die Bilderwelt des Kapitalismus hinterlässt Spuren: Einsame Strände und andere unberührte Naturlandschaften, die wir den Werbespots entnehmen, bebildern unsere zeitgenössischen kollektiven Träume, in denen die Sehnsucht nach Romantischen Utopien in temporären Ritualen (sogenannten Schwellenritualen) ausgelebt werden. Und was könnte ein zwingenderes Ritual sein, als eine Brücke, ein zugesperrtes Schloss und ein weggeworfener Schlüssel?
Das Paar muss für sein Schwellenritual also irgendeine berühmte Brücke finden, den Ponte Milvio in Rom oder die Kampas Brücke in Prag, zur Not auch die Hohenzollernbrücke in Köln, und dort ein Vorhängeschloss anbringen. Auf dem ist dann ein origineller Liebesschwur wie "4ever Love" oder auch "Inge und Wolle, 2002" graviert. Ist das Schloss montiert, wirft das Pärchen den Schlüssel in den Fluss, macht ein Selfie und die Liebe hält für immer.

Wer mit dem Unsinn angefangen hat, lässt sich heute nicht mehr nachweisen. Wahrscheinlich sind die Italiener schuld. Es heißt, die Absolventen der Sanitätsakademie San Giorgo in Florenz wären die Urheber des sinnlosen Brauchs. Am Ende ihrer Ausbildung befestigten die Absolventen die Vorhängeschlösser ihrer Spinde an einem Gitter der Ponte Vecchio. Das wurde dann von den römischen "Verliebten" übernommen, sie hängten die Schlösser an die Milvische Brücke und warfen die Schlüssel in den Tiber.

Massenweise Verbreitung fand das Ritual durch die Verfilmung des Bestseller-Romans "Ho voglia di te" (Ich steh auf dich) 2006 von Federivo Moccia. In der Geschichte schwören sich die beiden Protagonisten "ewige Liebe", befestigen das Schloss an der zentralen Brückenlaterne und werfen den Schlüssel in den Tiber. Aber nicht Rom, sondern Paris, die Stadt der Liebe und der Pärchen-Städtereisen litt am meisten unter dem Brauch. Damit ist jetzt gottlob Schluss.

Die Pariser Liebesschloss-Pärchen sind in Ermangelung einer Liebesbrücke jetzt ins Internet umgezogen und veröffentlichen unter dem Hashtag #lovewithoutlocks Bilder der Pariser Brücke mit und ohne Schlösser.

Und wer eine Pärchenreise plant und noch einen Platz für's Liebesschloss sucht, dem wird unter liebesschloss.info geholfen.