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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

14. 6. 2015 - 19:00

EU-Passagierdatenabkommen mit Mexiko startet

Während das PNR-Abkommen mit Kanada gerade beim EuGH geprüft wird, starten Kommission und Rat bereits ein weiteres. Das Verhandlungsmandat mit Mexiko liegt FM4 vor.

Beim Gipfeltreffen der EU und Mexiko am Freitag wurden die Verhandlungen für ein Abkommen zum Transfer von Flugpassagierdaten (PNR) mit Mexiko aufgenommen. Dieser Blitzstart wurde laut offiziellen Angaben deshalb nötig, weil am 1. Juli ein Ultimatum Mexikos ausläuft, samt der Drohung, Strafgelder für die Airlines einzuführen. Auf dieselbe Weise wurde bereits das allererste PNR-Abkommen der EU mit den USA 2003 auf den Weg gebracht. Ein Mandatsentwurf des EU-Ministerrats für ein Verhandlungsmandat der Kommission mit Mexiko - das Dokument liegt ORF.at vor - soll Ende Juni verabschiedet werden.

Diese Vorgangsweise resultiert aus dem Hin und Her im EU-Parlament, das über ein ähnliches Abkommen mit Kanada im November 2014 nicht abgestimmt, sondern es an den EuGH zur Prüfung weitergeleitet und im Jänner dann - unter dem Eindruck der Attentate in Paris - die jahrelang blockierten Pläne für ein europäisches Passagierdatensystem durchgewunken hat.

Titel der Richtlinien zu den Verhandlungen mit Mexiko

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Vorratsdaten aus dem Luftverkehr

Im November 2014 hat Berichterstatter Timothy Kirkhope (ECR Rechtskonservative) die 2013 abgelehnte Vorlage für ein EU-weites System zur Bekämpfung des IS-Terrors erneut eingebracht.

Eine Grundsatzentscheidung des EuGH zu Kanada steht zwar noch aus wie ein internes EU-Briefing zeigt, die Kommission agiert aber so, als sei weder dieses Rechtsverfahren noch das vernichtende EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung aus der Telekommunikation hier von entscheidender Bedeutung. Mehrere am Ende des Mandatsentwurfs versteckte Passagen zeigen, wie eine offene Kollision mit dem Vorratsdatenspruch des EuGH vermieden werden soll. In beiden Fällen geht es ja um die Erfassung von Metadaten mit engem Personenbezug.

Der nun vorliegende Mandatsentwurf für das neue Abkommen mit Mexiko dürfte bereits auf dem Rechtsgutachten zur Erfassung europäischer Flugpassagierdaten in Europa basieren, das die EU-Kommission 2014 in Auftrag gegeben hatte. Auch der nun vorliegende Mandatsentwurf kommt aus der Kommission, der Text wurde den Ratsarbeitsgruppen bereits zwei Mal für Änderungen vorgelegt, zuletzt am 1. Juni.

Stichtag 1. Juli

Der Ministerrat werde das Dokument ehebaldigst unterzeichnen, heißt es dazu in einem Begleitdokument. Laut dem gewöhnlich sehr gut informierten Blog Netzpolitik.org sollte dieser Termin am 23. Juni sein, damit wäre auch die von Mexiko gesetzte Deadline am 1. Juli eingehalten. Der Mandatsentwurf dürfte dem endgültigen Auftrag bereits sehr ähneln; diese vorletzte Version zeigt nur noch wenige Änderungen - die allerdings haben es in sich.

Timothy Kirkhope

Europäische Union, 2014 – EP

Timothy Kirkhope MEP ECR

Zentrale Frage für den neuen Anlauf war, wie ein Abkommen zur Vorratsdatenspeicherung von Passagierdaten ausformuliert werden könnte, dass es nicht in direktem Widerspruch zum Urteil des EuGH steht. Der hatte die Vorratsspeicherung sämtlicher Metadaten aller Bürger aus allen Telefonnetzen vor allem aufgrund der Totalität dieser Maßnahme als grundrechtswidrig erkannt. Der Ansatz aller PNR-Systeme aber ist strukturell identisch mit dem der Vorratsspeicherung bei den Telekoms.

Das Beschränkungsgebot

In beiden Fällen ist es eine anlasslose, flächendeckende Sammlung von Metadaten mit unmittelbarem Bezug zu allen Personen, die Telefonnetze nutzen bzw. am Luftverkehr teilnehmen. Analog zu Bewegungsprofilen, die aus den Metadaten der Mobilfunknetze automatisiert erstellt werden, sind es hier Flugbewegungen sowie eine ganze Reihe weiterer Informationen mit Personenbezug. Obendrein sind beide Sammlungen von Vorratsdaten über die Telefonnummern der Reisenden direkt verknüpft.

Um zu vermeiden, dass das geplante Abkommen mit Mexiko unter diese Analogie fällt, wird man die Vorgaben des EuGH im neuen Abkommen irgendwie berücksichtigen müssen. Der EuGH hatte primär das Fehlen räumlicher, zeitlicher oder prozeduraler Beschränkungen kritisiert, sogar generelle Ausnahmen von der Speicherung für Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Pfarrer, Journalisten wurde explizit thematisiert. Im Mandat für die Kommission sind solche Einschränkungen und Begrenzungen angededeutet, wie immer finden sich die kritischsten Passagen am Ende des Texts bzw. in einem Annex eines Annexes.

Die "Sonneuntergangsregelung" im Mamndat für Mexiko

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Ministerrat bestimmt Sonnenuntergang

Ende April 2013 hatte der Innenausschuss des europäischen Parlaments die geplante PNR-Richtlinie mit 30 zu 25 abgelehnt und an die Kommission zurückverwiesen.

Punkte 13 von insgesamt 14 Punkten des Mandats enthält eine Art Sonnenuntergangsklausel, wie sie von der Liberalen Fraktion im Parlament auch für das geplante europäische PNR-System verlangt wird. Das Abkommen solle für sieben Jahre gelten und dann einseitig kündbar sein, heißt es im Mandat, nach vier Jahren Laufzeit sollte eine Überprüfungsklausel schlagend werden. Wer diese Überprüfung durchführen soll und welche Konsquenzen ein negatives Ergebnis nach sich zöge, wird im Text nicht näher spezifiziert. Zumindest die erste offene Frage aber beantwortet der Ministerrat mit einem Statement in Annex 2.

Am 11. April 2011 hatte der EU-Ministerrat beschlossen, die Erhebung von Flugpassagierdaten auf innereuropäische Flüge auszuweiten, Einwände der eigenen Rechtsabteilung wurden dabei ignoriert.

Ein Jahr vor Auslaufen des Abkommens werde der Ministerrat auf Basis einer Konsultation der Kommission entscheiden, ob das Abkommen für eine weitere Siebenjahresperiode erneuert wird. Es soll also jenes Gremium, das seit fünf Jahren alle Mittel einsetzt, um auch in Europa PNR-Systeme zu etablieren, über mögliche Verlängerungen entscheiden. Wenn ein solcher Mechanismus als "Beschränkung" gilt, dann ist bei der Umsetzung von Punkt 14 eine ähnlich rabulistische Lösung zu erwarten. Im Mandat steht etwas rätselhaft "Das Abkommen soll eine Klausel zu seiner territorialen Anwendung enthalten". Angedeutet wird hier also eine Formulierung, die als geographische Beschränkung interpretiert werden kann, aber zur Zeit noch nicht gefunden ist.

Annex2 des Ministerrats zum Abkommen mit Mexiko

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Gesundheit, Sex, Beschränkungen

Präambel 6a bezieht sich auf Beschränkungen des Volumens der für Mexiko bestimmten Daten. Das sollte nicht "breiter als notwendig sein", nur eine "minimale und proportionale Anzahl" sollte übermittelt werden. 6b gibt Beispiele dafür, welche Arten von sensiblen Daten nicht weitergegeben werden dürften, nämlich solche, die Hinweise auf "rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinung, religiöse und philosopische Überzeugung, Gewerkschaftsmitgliedschaft oder Daten, die Gesundheit oder das Sexleben betreffen". In den PNR-Datensätzen finden sich Einträge, die solche Schlussfolgerungen ermöglichen im ehesten im Datenfeld "allgemeine Anmerkungen", aber auch bei den Airlines mitgebuchte Zusatzangebote und Dienstleistungen können darunter fallen.

Im Juni 2007 hatte der damalige deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble ein europäisches PNR-System gefordert und wurde von Ex-Innenminister Günther Platter dabei unterstützt.

Aus einem solchen Mandat lassen sich naturgemäß noch keine detaillierten Schlussfolgerungen ziehen, zumal ein Verhandlungsmandat ja auf die wesentlichen Punkte reduziert sein muss. Die ungefähre Richtung, in die auch die im Jänner beschlossene innereuropäische PNR-Regelung gehen soll, lässt sich dem Mandat allerdings bereits entnehmen. Geplant ist ja bekanntlich eine Art europäischer Standard für den Datenaustausch zwischen den einzelnen "Passenger Information Units" (PIU), das sind Datencenter auf nationaler Basis, die auch von mehreren Staaten gemeinsam betrieben werden können.

Präambel 6a und 6b des Mandats

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Alles, was sonst noch fliegt

Nachdem der zweite Anlauf für ein EU-weites PNR-System 2013 im EU-Parlament gescheitert war, hatte die Kommission 50 Millionen Euro für Staaten bereitgestellt, die Systeme auf nationaler Basis errichten oder ausbauen wollten. 17 Millionen davon gingen allein an Frankreich und von dort kam mit dem Attentat auf Charlie Hebdo auch der Auslöser für den Start dieser neuen Vorratsdatensammlungen, die inhaltlich weit über die bloße Erfassung von Flugbewegungen hinausgeht. Wie seit zehn Jahren üblich, stand der auslösende Vorfall in überhaupt keiner Beziehung zur nachfolgenden Regelung, vielmehr wurde bloß ein Datensammelplan in Gang gesetzt, der seit 2010 ganz oben auf der Agenda der großen Mitgliedsstaaten steht.

Die Neuvorlage für ein gesamteuropäisches Passagierdatensystem wurde Ende März bereits im ersten Parlamentsgremium, dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten (AFET) behandelt. Der Text ist weitgehend mit dem von 2013 identisch, der Datenabgriff wurde allerdings noch ausgeweitet: "Um jegliche verwertbaren Schlupflöcher zu vermeiden", soll die neue Richtlinie auch Charterflüge, kleinere Reiseveranstalter und Privatmaschinen erfassen. Die Liste wurde sozusagen "um alles, was sonst noch fliegt", zur Totalerfassung sämtlicher Flugbewegungen erweitert - und betrifft mehr Datensätze als alle gescheiterten Anläufe davor.