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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

14. 6. 2015 - 14:38

Mein stumpfes Gesicht

Der Song zum Sonntag: The Weeknd - "Can't Feel My Face"

"You’re just like a pill" – diese Vermutung hat schon Popstar P!nk einem Gegenüber in einer höchstwahrscheinlich giftigen Liebesbeziehung angedeihen lassen. "Instead of making me better, you keep making me ill", heißt es weiter. Die Liebe ist ein gefährliches Narkotikum, wir sind high wie nie, morgen ist dann Depression. Wir fallen tief, unsere Innereien werden Eis, tagelang weinen wir in Fötus-Haltung unter der Kuscheldecke.

Die Praxis, Liebe, Begehren, Gefühl mit Drogen, Arzneimitteln und anderen helfenden Elixieren zu vergleichen, sie einander gegenüberzustellen oder gleichzusetzen hat in der Popmusik, in der Kunst Tradition. In Frank Oceans Song "Novacane" wird der Schmerz im Körper, in der Seele mit dem titelspendenden Zahnarzt-Anästhetikum betäubt, beim Frechgörensternchen Kesha geht es etwas handzahmer und romantischer gedacht zur Sache: "Your love is my drug".

Und tatsächlich - das kann jeder Mensch, der schon einmal gelebt hat, wissenschaftlich belegen – stimuliert die Liebe oder manchmal vielleicht bloß die Lust das Hirn und den Körper auf unerhörte Weisen. Eine Reise in psychedelische Wunderwelten. Nachher tut es wieder weh.

The Weeknd

The Weeknd

Der kanadische R’n’B-Sänger The Weeknd hat in seiner Karriere ebenfalls schon ausführlich die Wechselwirkung zwischen Sucht und Liebe verhandelt, mit seinem neuen Song "Can’t Feel My Face" ist ihm ein trauriger Höhepunkt der Drogenlied-Geschichte geglückt. The Weeknd beschreibt hier das Verliebtsein weniger als tolle Abhängigkeit, vielmehr, anders herum, zeichnet er sein hoffnungsloses Verlangen nach den Stoffen schon als geliebte Person.

"Can’t Feel My Face" – der Zustand des teilweisen und temporären Gefühlsverlusts im Gesicht wird mit verschiedenen Drogen in Verbindung gebracht, üblicherweise aber mit Kokain assoziiert. Laut recht kräftigen Gerüchten auch die favourite choice von The Weeknd. Er singt hier in wenigen, wenig variierten Zeilen von der hohen Ekstase, vom Stumpfwerden, von der Selbstbeschwichtigung, vom Absturz: "I can’t feel my face, when I’m with you, but I love it“. Mitunter spricht die Droge schon zu unserem gebeutelten Erzähler: "She told me, don’t worry about it".

Dafür, dass dieses Lied nun ein Megahit wird, sorgt Producer Max Martin. Der bescheidene schwedische Großmogul hat aus dem Hintergrund die Popmusik der letzten zwanzig Jahre geprägt wie kein anderer. Martin hat Lieder für alle geschrieben, sie produziert oder co-produziert. Für alle. Für Avril Lavigne, Maroon 5, Usher, Jennifer Lopez und Katy Perry. Für Robyn, Cyndi Lauper, Jessie J, NSYNC, Taylor Swift und Nicki Minaj. Die Liste geht weiter.

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken

Max Martin ist für ewige Popgroßtaten wie "Since U Been Gone" von Kelly Clarkson, "I Want It That Way" von den Backstreet Boys und "…Baby One More Time" von Britney Spears verantwortlich. In "Can’t Feel My Face" hat er jetzt das perfekte Trägermaterial für The Weeknds Trip durch die Zustände gebaut.

Das Stück beginnt als bombastisch nach oben, in den höchsten Himmel weisender Michael-Jackson-Disco-Funk. Man erwartet viel. Nie waren wir besser. Wir spüren und wissen alles. Beim Refrain wird das Tempo jedoch gedrosselt und die Abstumpfung durch dumpfsten Bass unterstrichen. Schlicht, großartig, eine helle Euphorie, ein zäher Comedown. Love is the drug.