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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 6. 2015 - 21:24

The daily Blumenau. Thursday Edition, 11-06-15.

Lehren aus der überflüssigen U20-WM-Enttäuschung.

#fußballjournal15

Letztlich waren die Coaching-Eingriffe, die Andreas Heraf heute früh (vergeblich) vornahm, um das von ihm verantwortete Team bei der U20-WM doch noch übers Achtelfinale gegen Usbekistan drüberzubringen, schon symptomatisch genug: mit allen drei Einwechslungen (die allesamt erst nach dem ersten Gegentor getätigt wurden, wiewohl vorher schon nichts zusammenlief) änderte er sein System. Er ging sprunghaft und gleichzeitig mutbefreit vor. Was in den ersten beiden Matches gegen Ghana und Panama noch (jeweils knapp) gutgegangen war, ging diesmal ordentlich schief. Und das mit Ansage.

Okay, schlimmer als das war die kreuzfalsche Spielanlage (hohe Bälle ins Zentrum und dort den Abpraller, den sogenannten 2. Ball suchen; keinerlei Flügelspiel), die von den Usbeken blitzeschnell durchschaut und -kreuzt wurde. Und sie durch alle Systemwechsel durchzuhalten anstatt dort einen Plan B einzuspielen.

Hinter diesem höchst überflüssigen Ausscheiden steckt jedoch mehr als die in diesem Fall unheilbringende Trainer-Handschrift. Österreichs Junioren-Fußball hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt (Akademie-Aufbau, personelle Kontinuität, Philosophie-Entwicklung etc) - diverse Turnier-Qualifikationen, für einen kleinen Verband keineswegs eine Selbstverständlichkeit, waren die Folge. Wenn der ÖFB sich weiterentwickeln will, dann sind jetzt aber die nächsten Schritte nötig; ansonsten werden kleine Erfolge - wie das Überstehen einer Gruppenphase - nämlich weiterhin durch einen Rückschlag in der nächsten Runde überlagert werden. Und offensives Stehenbleiben erhöht die Gefahr den aktuell erarbeiteten Status schnell wieder zu verlieren.

Diese nächsten Schritte sind ersichtlich, stellen aber für den ÖFB aktuell ein großes Wahrnehmungsproblem da.
Etwa: 1) eine klarere Linie der gesamten ÖFB-Nachwuchsabteilung; 2) das konkrete Angehen lange bekannter Schwachstellen; 3) das Hintanstellen von emotionalen Ego-Trips; 4) und natürlich ein konstruktiverer Umgang mit Kritik.

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Für jeden, der die beiden ersten Spiele verfolgen konnte, wurde das klar ersichtlich, was der Kollege Gerald Gossmann hier so präzis, dass nichts mehr hinzuzufügen ist, analysiert. Sowohl beim Remis gegen Ghana als auch bei Sieg gegen Panama standen die Matches aus österreichischer Sicht auf der Kippe: beide Male wechselte Heraf nach einer Führung das System, drosselte die Angriffsbemühungen und verordnete seiner Truppe eine (übertriebene) Vorsicht, die in einem Fall (Ghana) zum (überflüssigen) Ausgleich, im anderen (Panama) dazu führte, dass der eigentlich klar beherrschte Gegner noch einmal spielgefährdend aufkam.

Diese Analyse wurde als Kritik am defensiven Charakter den Heraf seiner U20 verordnet hatte, missinterpretiert. Gegen eine strategisch sattelfeste Defensiv-Strategie, wie sie das Gludovatz-Team 2007 spielte (woraus sich später der Ried-Stil entwickelte) ist nichts zu sagen - die Heraf'sche Herangehensweise zeichnet sich jedoch in erster Linie (Höhepunkt: die verkackte Kolumbien-WM) durch Sprunghaftigkeit und angeordnete Mutlosigkeit aus.
Als Heraf nun im dritten Match gegen Argentinien einen (nachvollziehbaren) Catenaccio verordnete (was sogar Herbert Prohaska als destruktiv einschätzte), und damit durchkam, wurde die davor geäußerte Kritik nun (bewusst) auf dieses Spiel umgemünzt - um so ihre Unsinnigkeit zu belegen; noch dazu indem man Gludovatz selber vorschickte. Ein Akt populistischer Ablenkung, um sich nicht auseinandersetzen zu müssen.

Ganz ähnlich funktioniert das Blocken von Kritik nach dem Usbeskistan-Match: da wird das Team, das gegen Honduras verloren und gegen Fiji eine Halbzeit kein Tor geschaffte hatte, zur Übermannschaft hochstilisiert, anstatt sich die eigenen Fehler zu vergegenwärtigen - auch nur ein populistisches Narrativ.

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Jungstar Konrad Laimer hat sich hier im Interview entlarvend verplappert. Nach Unterschieden in der Arbeit der Nachwuchs-Coaches Heraf, Stadler und Marko, sagt er: "Jetzt unter Heraf probieren wir ein Pressing-Spiel, das wir unter Hermann Stadler auch probiert haben. Unter Rupert Marko haben wir es ein bisserl anders gespielt. Ähnlichkeiten gibt es, aber jeder hat seinen eigenen Stil, jeder will es auf seine Art spielen und seine Gedanken einbringen. Ich habe mich aber bei allen dreien mit der Taktik anfreunden können." Ohne Beschönigungen heißt das: es macht immer noch jeder Jugendtrainer so ziemlich was er will. Die großen Verbände, aber auch den kleinen, die erfolgreich arbeiten, stützen sich allesamt auf ein durchgehendes, von allen zu befolgendes Grundkonzept, auf ein und dieselbe Philosophie. Beim ÖFB wird hingegen immer noch entweder gar kein, ein bisserl oder fest Pressing gespielt. Da hilft die grundlegende Entscheidung sich im (fließend interpretierbaren) 4-3-3 zu organisieren, dann gar nichts.

Auch die vor dem Achtelfinale vorsorglich platzierte Heraf-Ausrede, man sei körperlich "die Kindermannschaft" dieses Turniers (die Eckball-Duelle im Match selber straften diese Behauptung Lügen, aber was soll's), spricht (vorsichtig gesagt) nicht dafür, dass man in allen Bereichen schon am Limit ist.

ad 2)
Es fehlt auch das Bewusstsein langfristig auftretende Lücken wirklich schließen zu wollen. Vor dem Usbekistan-Match verplapperte sich Heraf und sprach von einem Außenverteidiger-Mangel beim aktuellen Jahrgang (weswegen die Sperre von Joppich dann auch zu einem Besetzungs-Problem führte). Das ist insofern bemerkenswert, als der Außenverteidiger-Mangel sich wie ein roter Faden durch Herafs ÖFB-Karriere zieht. Wortidente Sprüche über den entsprechenden Mangel kann gibt es seit Jahren.

Der Mangel an geeigneten rechten und linken Außenverteidigern ist übrigens kein exklusives Heraf-Problem, sondern eines der gesamtem ÖFB. Unternommen wird seit Jahren: nichts. Anstatt mit Individual-Trainings und gezielter Ausbildungsverstärkung nachzuhelfen, begnügt man sich mit dem redundanten Klagen.

Dazu kommt, dass man den Mangel auch selber herbeiführt und sich im Umgang mit Spielern eine erschreckende Sprache/Denke an den Tag legt. Ich erinnere mich (ungern) an mein basses Staunen, als der ÖFB-Sportdirektor einen Außenverteidiger, Stammspieler einer Jugendauswahl, in einem Gespräch über die akute Außenschwäche mit qualifizierenden Worten bedachte, die man Schutzbefohlenen gegenüber vielleicht in Internaten in den 50ern für normal hielt.

Womit wir schon mitten im nächsten Punkt sind...

ad 3)
Immer noch verliert vor allem Heraf auf seinem langen Weg mit seinem Jahrgang zu viele Talente. Nach den offen ausgetragenen Konflikten vor der Kolumbien-WM 2011 zog man die Lehren - anstatt sich aber einer Reduzierung der emotionalen Egos zu befleißigen und das, was bei jungen Spielern abgeht, nicht auf die Goldwaage zu legen, wurden die immer noch existierten Konflikte nur nicht mehr offen ausgetragen. Wenn etwas an die Öffentlichkeit kommt - wie die Probleme mit dem Bayern-Torman Ivan Lucic dann erinnert die Vorgangsweise aber immer noch frappant an die Beispiele der Vergangenheit. Allen voran der Musterfall Marcel Büchel. Der mit Schimpf und Schande aus den ÖFB-Kadern verjagte Kicker stieg dieser Tage mit Bologna in die Serie A auf - und im Gegensatz zu A-Team-Kicker György Garics spielte (der immer noch Juve gehörende) Büchel in der Relegation auch. Diese Diskrepanz zeigt übrigens ganz nebenbei (siehe ad 2)) auch wieder die ungebrochenen Außenverteidiger-Probleme, die der ÖFB in allen Jahrgängen hat.

Wie wichtig die Integration von vermeintlichen Problem-Boys sein kann, zeigt der vor, der im ÖFB für die Best Practice-Beispiele zuständig ist: Marcel Koller mit seinem Arnautovic-Umgang. Ein Kicker, der unter Heraf sofort und medienwirksam polternd entsorgt worden wäre.

Beschönigende Bilanzierung

Wie immer wird in Österreich ergebnisorientiert bilanziert; und auch die ÖFB-Verantwortlichen spielen da mit, bestätigen einfach gestrickte öffentliche Meinungen, nicht weil man an sie glaubt, sondern weil man meint, mit ahnungslosen Rezipienten einfacher verfahren zu können.

Wenn etwa hier die Usbekistan-Taktik erkannt und niederlagenverantwortlich gemacht wird, die hier besser analysierte Turnier-Vorgeschichte, die logisch und konsequent dorthin geführt hatte aber mit Hinblick auf die ergebnistechnisch erfolgreich Hinrunde übersehen wird, dann nützt das Niemandem. Am allerwenigsten einem ÖFB-Coaching-Team, das sinnvolle konstruktive Kritik dringend braucht um sich zu entwickeln. Selbst mit Heraf, der sich im Vergleich zu Kolumbien deutlich entwickelt hat und im Vergleich zu Stadler/Marko/Zsak immer noch die Nase vorn hat.

Und: nicht seine Philosophie der vorsichtigen Spielanlage mit partiellem Pressing ist das Problem, sondern der praktische Umgang mit Matchplan und Einflussnahme durch Umstellungen personeller und taktischer Art. In K.O.-Phasen zählen diese Trainer-Skillz nämlich doppelt.

Die Gewinner des Turniers sind trotzdem andere: Keeper Casali und Kapitän Lukas Gugganig (wie überhaupt die Innenverteidigung der mit Abstand bestbesetzte Mannschaftsteil ist). Die Hoffnungsträger Grillitsch und Grubeck wurden durch Verletzungen/Krankheiten behindert, Supertalent Konrad Laimer wirkte überfordert. Ein abgestellter Lazaro oder ein fitter Bytyqi, also Akteure, die falsche Coaching-Entscheidungen durch individuelle Klasse unterlaufen, hätten vielleicht einen Unterschied machen können.

Nach der U19-EM im Juli (Österreich hat mit Griechenland, der Ukraine und Frankreich die Gruppe ohne Deutschland, Spanien und Holland erwischt) ist dann eine Gesamt-Bilanz möglich.