Erstellt am: 10. 6. 2015 - 15:14 Uhr
Wer schützt uns vor dem Staatsschutz?
Die Bundesregierung sieht das Polizeiliche Staatsschutzgesetz (PStSG) als Mittel zur Bekämpfung von Terrorismus, Computerkriminalität und Wirtschaftsspionage. Hauptkritikpunkte sind die massiven Überwachungsbefugnisse, die unklar definierten Straftatbestände und die fehlende Kontrolle der Staatsschutzbehörde.
Überwachungsbefugnisse
Derzeit braucht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) noch einen "konkreten Tatverdacht", um Bürger überwachen zu dürfen. Mit dem geplanten Gesetz dürfte die Behörde in Zukunft aber schon Überwachungsmaßnahmen setzen, wenn sie die "Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung" sieht. Das kann laut Entwurf zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit der Störung einer Versammlung sein. Aufgrund einer solchen Wahrscheinlichkeit dürfen die Ermittler dann tief in die Privatsphäre der Verdächtigen eindringen, indem sie etwa die Verkehrs-, Zugangs- und Standortdaten von Bürgern einfordern - also wer, wo, wann, mit wem telefoniert hat und via SMS oder E-Mail in Kontakt war.
Richter oder Rechtsschutzbeauftragter?
Eine richterliche Kontrolle ist im Gesetzesentwurf von SPÖ und ÖVP nicht vorgesehen – lediglich ein Rechtsschutzbeauftragter des Innenministeriums. Der AK Vorrat, jene Organisation, die 2014 mit einer Verfassungsbeschwerde die Vorratsdatenspeicherung zu Fall gebracht hat, zählt zu den schärfsten Kritikern des geplanten Staatsschutzgesetzes. Thomas Lohninger vom AK Vorrat: "Es ist sehr wichtig, dass es eine schriftliche Ausfertigung von Verdachtsmomenten gibt, aufgrund derer dann ein Richter eine verhältnismäßige Maßnahme anordnet." Wenn das die Behörde am Dienstweg mit ihrem eigenen Rechtsschutz-Beauftragten mache, würde das zwangsläufig zur Missachtung von Grundrechten führen.
Wie zahnlos das Instrument eines Rechtsschutz-Beauftragten ist, zeigt sich unter anderem an der Möglichkeit, ihm die Akteneinsicht zu verwehren: Diese Möglichkeit ist explizit im Gesetzesentwurf beschrieben. Grund dafür, sagt Thomas Lohninger, sei unter anderem die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste, "weil der Datenaustausch mit anderen Geheimdiensten die Bedingung hat, dass man die Daten, die man z.B. von NSA oder BND erhält, nicht weiterleiten darf". Das sei ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Problematik internationaler Geheimdienste in Österreich auswirke. "Die Regierung will mitmachen bei dem Spiel, Geheimdienste zu schaffen, die sich vor überhaupt niemandem mehr rechtfertigen müssen, die komplett intransparent sind und die keiner Kontrolle unterliegen."
Unklar definierte Straftatbestände
Die Aufgabe des Staatsschutzes dürfe sich nicht auf "Wald- und Wiesen-Delikte" erstrecken, so Lohninger. Der Begriff des sogenannten "verfassungsgefährdenden Angriffs" müsse auf wirklich schwere Straftaten reduziert werden. Allgemeine Grundrechte wie das Demonstrationsrecht oder die Pressefreiheit dürften nicht eingeschränkt werden.
So kann die Störung oder Verhinderung einer Versammlung im Rahmen einer Gegendemonstration bereits als verfassungsgefährdend eingestuft werden – und somit zu Überwachungsmaßnahmen des BVT berechtigen – wenn sie "aus weltanschaulichen oder religiösen Motiven" erfolge. Es sei jedoch kaum eine Gegendemonstration denkbar, die nicht weltanschaulich oder religiös motiviert ist, so Lohninger. Auch Journalisten, Whistleblower und die gesamte Zivilgesellschaft seien mit dem neuen Gesetz ständig in Gefahr, massiv überwacht zu werden, weil etwa auch die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen als "verfassungsgefährdender Angriff" gelte – auch hier ist das Kriterium für die Überwachung durch den BVT bloß die "Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung".
Diese Ansicht teilt auch die Arbeiterkammer: "Das größte Problem ist, dass dem Verfassungsschutz ein sehr großer Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung vorliegt, eingeräumt wird. Es reicht ein abstraktes Risikoszenario."
Kritik am Entwurf zum PStSG üben auch die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter und die Bundesvertretung Richter und Staatsanwälte in der GÖD: "Bei Verwirklichung dieses Gesetzesvorhabens besteht die Gefahr der Verselbstständigung des sogenannten 'Staatsschutzes' in der Schaffung eines Systems, eines 'inner circle', wobei die politische und verfassungsrechtliche Kontrolle völlig ausgeschaltet wird, da der Staatsschutz nach dem Entwurf völlig geheim und abgehoben arbeiten kann." Insgesamt sei der Gesetzesentwurf abzulehnen.
Die Internetprovider in Österreich (ISPA) vertreten die Ansicht, "dass die Begrifflichkeiten im Entwurf des PStSG sowie der Anwendungsbereich des Gesetzes ausgesprochen unscharf definiert sind und daher enorme Rechtsunsicherheiten in sich bergen".
Kritisch geäußert haben sich auch die Wirtschaftskammer, die Bischofskonferenz und Amnesty International. Der AK Vorrat hat eine Online-Petition gestartet. Gefordert werden fünf grundlegende Änderungen des Gesetzesentwurfs. Unterschrieben haben bisher über 4.400 Personen. Ob der Gesetzesentwurf, der sich derzeit in Begutachtung befindet, noch wie von der Regierung geplant vor der Sommerpause zur Abstimmung im Parlament kommt oder der massive Protest der Zivilgesellschaft Wirkung zeigt, ist derzeit noch nicht absehbar.