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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

10. 6. 2015 - 15:00

Der Zar mit den leuchtenden Augen

Diese Woche wurde in Sofia ein Denkmal des bulgarischen mittelalterlichen Zar Samuil aufgestellt. Das Denkmal ist aus Bronze, fast sechs Meter hoch und wenn es dunkel wird… leuchten Samuils Augen.

Mit Akzent

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Alle kennen die Büste von Nofretete. Sie wurde millionenfach kopiert. Millionen kleine Nofretetes sammeln Staub auf den Regalen von San Francisco bis Tokyo. Sie lächelt uns mit ihren geheimnisvollen 35 Jahrhunderte alten Lächeln an und betrachtet uns mit ihren Mandelaugen. Eigentlich wissen alle, die schon einmal das Original in Berlin gesehen haben, dass die Skulptur nur mehr ein Auge hat. Die Geschichte als Wissenschaft verlangt, dass die Artefakte aus der Vergangenheit so ausgestellt werden sollen, wie sie gefunden wurden. Aber wer kauft kauft sich eine einäugige Prinzessin?

Diese Woche wurde in Sofia ein Denkmal des bulgarischen mittelalterlichen Zar Samuil aufgestellt. Das Denkmal ist aus Bronze, fast sechs Meter hoch und wenn es dunkel wird… leuchten Samuils Augen.

Glowing Eyes

sofiaglobe.com

In der bulgarischen Gesellschaft kam es zu einer heftigen Diskussion. Einige meinen, dass die Skulptur wahrer Kitsch ist. Andere sehen in den leuchtenden Augen des Zaren eine tiefe Symbolik. In einer Schlacht zwischen Bulgaren und Byzantinern wurden die Bulgaren besiegt und der Byzantinische Kaiser Basileios II verordnete, dass allen gefangenen bulgarischen Soldaten die Augen ausgestochen werden sollen. Diese Geschichte hat sich in einen Mythos verwandelt und man lernt das alles in Bulgarien noch in der Grundschule. Die Geschichte von den ausgestochenen Augen der bulgarischen Soldaten soll einen tiefen Hass gegenüber den grausamen Byzantinern (die heutigen Griechen) lehren.

Der formelle Grund für die Eröffnung dieses Denkmals ist der 1000. Jahrestag des Todes von Zar Samuil. Obwohl es niemand erwähnt, sind die Motive dafür aber eher politisch. Vor einiger Zeit wurde in Skopje, der Hauptstadt von Mazedonien, ein Denkmal des gleichen Zaren eröffnet. Die Mazedonier behaupten, dass dieser Herrscher kein bulgarischer, sondern ein mazedonischer war und dass er sowohl gegen die grausamen Griechen, als auch gegen die grausamen Bulgaren gekämpft hat. Das mazedonische Denkmal ist aus Marmor und fast ebenso riesengroß. Im Zentrum von Skopje wurden in den letzten Jahren mehrere solche Denkmäler historischer Persönlichkeiten gebaut, eines pompöser als das andere. Skopje wurde als "die Hauptstadt des Kitschs" bekannt.

Skopie

CC-BY-SA-2.0 / Dennis Jarvis

Jetzt gab Sofia eine würdige Antwort. Die Nationalisten feiern und der Direktor des bulgarischen geschichtlichen Museums nannte alle, die das neue Denkmal kritisieren „Ärsche“. Auf der Suche nach ihrer nationalen Identität haben die Mazedonier in Ohrid, der ehemaligen Hauptstadt von Zar Samuil, eine ganze „mittelalterliche“ Festung gebaut. An ihrem Tor steht, dass sie mit finanzieller Unterstützung der mazedonischen Telekoms gebaut wurde... Um nicht hinterherzuhinken, fingen die Bulgaren auch an, überall „mittelalterliche“ Festungen zu bauen, wo archäologische Überreste gefunden wurden. So, heißt es zumindest, würden gleichzeitig Touristen gelockt und das Volk patriotisch gebildet. Ich weiß nicht wie viele Touristen angelockt werden, aber alle archäologischen Organisationen meinten, dass so die Artefakte aus der Vergangenheit für immer zerstört werden. Ob sie auch vom Direktor des Geschichtsmuseums als „Ärsche“ bezeichnet wurden?

Jetzt erwarte ich einen großangelegten Verkauf von Souvenirs von Zar Samuil mit leuchtenden Augen. Er wird nicht wie Nofretete nur Staub sammeln. Notfalls dient er auch als Taschenlampe.