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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 6. 2015 - 19:55

The daily Blumenau. Monday Edition, 08-06-15.

Der rot-blaue Tabubruch und die Folgen, pt 2. Über politische Wohlstandsverwahrlosung und die nötige Kenntnisnahme einer Realverfasstheit.

#demokratiepolitik #machtpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Siehe auch: The daily Blumenau. Friday Edition, 05-06-15, Der hysterisch- hämische Umgang mit dem rotblauen Tabubruch ist nur ein weiteres Symptom der Erstarrung der politischen Klasse

1

Das Wort des Tages kommt von Hans Niessl, der als Nießl Hans in der Burgenland-Wahl kandidierte und heute Norbert Darabos aus dem Machtzentrum der Republik nach Eisenstadt hinabräumte. Zum seiner Koalition zuwiderlaufenden Bundesbeschlusses sagte er: Aber die Realität ist ja schon eine andere.

Die Realität ist eine andere.
Und es ist wohl an der Zeit nicht nur die gern zitierte und als quasi gottgegeben hingenommene österreichische Realverfassung ins politische Denken zu implementieren, sondern auch etwas viel Derberes: die österreichische Realverfasstheit.

2

Denn die aktuell vorherrschende, scheinbar erstrangig verhandelte, vorgeblich moralische Frage, dieses "darf man das?", in eine Sackgasse.
Gegen die FPÖ zu sein bedeutet keinesfalls über eine ausreichend gefestigte Weltanschauung zu verfügen, es ist keine abendfüllende Position, und es ist vor allem kein Alleinstellungsmerkmal.

Die politische Gegnerlandschaft hat aus der FPÖ einen hydraesen Popanz geschaffen, vor dem sie erstarrt wie etwa auch vor der Kronen-Zeitung. Beide Systeme besitzen in erster Linie deshalb Macht, weil man sie ihnen zuschreibt.

3

Die politische Debatte, die das kleine burgenländische Erdbeben ausgelöst hat, ist übers Wochenende in die Gänge gekommen; und bietet Basis-Einstiegshilfen zum Neudenken der Lage.

Basis-Text 1 kommt von Ulla Schmid im Profil. Sie erinnert an die akute Wahlprogramm-Amnesie, ans schnelle Vergessen der Stimmen maximierenden Versprechen: "... der Glaube, die FPÖ greife vorrangig ihm, dem kleinen Mann, helfend unter die Arme, ist ein Trugschluss."

Basis-Text 2 stammt von Julia Ortner im News: "Wie Politik und große Teile der Öffentlichkeit mit der FPÖ umgehen, hat immer viel mehr mit Emotionen als mit politischen Inhalten zu tun". Und das wäre fatal, weil die, die politischen Inhalte, das Programm so rein gar nicht stimmig sei, was das "kleine Leute"-Diktum betrifft.

Basis-Text 3 veröffentlichte Armin Wolf auf seiner Facebook-Seite. Er zählt die zahllosen umfehdeten und die unauffälligen, als selbstverständlich hingenommenen FP-Regierungsbeteiligungen auf und analysiert ihre Folgewirkungen. Sein Schluss: als Junior-Partner spielt die FP inhaltlich keine Rolle. "Wer mit dem Anspruch antritt, als Einziger die Ängste und Sorgen der Wähler zu verstehen und endlich die Rettung zu bringen - und dann (realistischerweise) nicht liefert, der kann nur verlieren."
Der Etappensieg der FPÖ dürfe aber nicht über das "unauflösbare strategische Dilemma" hinwegtäuschen: "Heilsversprechen zerschellen an der komplexen Realität."

4

Selbstverständlich ist die FPÖ, was ihre Herkunft und Abstammung (als Nachfolge-Partei einer als Sammelbecken getarnten Nachfolge-Organisation) ein Kind der demokratie- wie österreich-skeptischen ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Wie die ÖVP mit ihrem austrofaschistischen Pferdefuß, wie die SPÖ mit ihrem Renner-Votum von '38.

Wobei die FPÖ der einzige offensive Stimmen-Fischer im Teich der Alt- und Neonazionalen ist. National kann/darf man es anderswo nennen, in Anbetracht der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts müsste dieser Begriff für Österreich aber mit Z geschrieben werden.

5

Selbstverständlich stehen FP-Wähler, selbst wenn sie keinen Begriff von dieser Vergangenheit haben, nicht unter Naturschutz.
Sie sind keine Opfer, sondern Täter.
Nichts und niemand zwingt sie zu ihrer Wahl, sie ist kein Hilfeschrei, sondern eine freiwllige Ent/Äußerung im Bewusstsein der eigentlichen Alternativlosigkeit.

Sie sind keine verirrten Schafe, die zurückgeholt werden müssen, wie das der noch aktuelle SP-Vorsitzende, der sich nach dem Scheitern der diversen Reichensteuern politisch komplett über die Abgrenzung definiert.

Sie sind keine von gepeinigten Seelchen, sondern berechnend Suchende, die dringend jemanden finden wollen, dem sie die Schuld für eigentlich alles umhängen können. Ausländer, Anderssexuelle, Gutmenschen, Linkslinke oder Höhlenmenschen sind wie Juden, Bolschwiken, künstlerisch Entartete und Untermenschen. Das ist getüfteltes Täterdenken, kein hehrer Abwehrkampf.

6

Selbstverständlich ist die Weinerlichkeit der alten Welt unerträglich. Es existiert nämlich auch kein Menschenrecht auf die Aufrechterhaltung quasi-feudaler Lebensumstände auf Kosten des Rests der Welt.

Globales Zusammenleben heißt auch im Denken zusammen zu rücken - die einzige Alternative ist ein selbstzerstörerischer Isolationismus (siehe Nordkorea) oder die Lüge, das so-tun-Als-ob man frei vom Rest des Planeten existieren kann.

Der Dreck, die Pest, das Unglück, die korrupten Strukturen, das oligarchisch-kapitalistische Handeln, das Europa dem Rest der Welt gebracht hat, kommt jetzt, wo die Globalisierung nicht nur jedem erlaubt mit jedem Handel zu betreiben und jeder jeden übers Ohr hauen kann, sondern auch jeder jeder erreichen kann, retour. Das alte Europa vermag sich dem nicht zu stellen: es greint und heult wie ein hingefallenes Kleinkind.

7

Die österreichische Sonder-Situation ergibt einen speziellen Mix aus alten und neuen Nazionalen, Sündenbocksuchern und tea-party-ähnlichen Isolationisten. Da ein Teil dieser Grundhaltung nicht nur in der FPÖ-Klientel, sondern in uns allen steckt, kommt eine Realverfasstheit zum Tragen, die wie ein Silberkugel zwischen Scham und Unverfrorenheit, Großmannsucht und Anmaßung, Minderwertigkeitsgefühl und leidender Verantwortlichkeit hin- und herflippert.

Das Resultat ist eine Gesellschaft, die durch die demokratische Erfahrung der 2. Republik wohlstandsverwahrlost wurde, mit Bürgern, die als verzogene Fratzen ihrer Erbschaft entgegenleben und verlernt haben eine eigene inhaltliche Wertschöpfung betreiben. Wir sind Schollen-Fuzzis, Schluchtenscheisser, Konsumsüchtler und Scheinwelt-Aufrechterhalter erster Güte.

Wir leben entgegen des täglichen Beweises dass alles mit allem zu tun hat, im kindlichen Glauben des seligen Inselbewohners, der davon ausgeht, das der simpelste Lösungsansatz, die einfache Schlagzeile schon genügt, und dass es reicht sich sich auf "Umstände" und scheinlogische "Reflexe" auszureden. Und das legt die Basis für das Gegenteil von politischem Handeln, nämlich das vorurteilsbelasteten Sudern und der schuldzuweisenden Anklage.

Die populistischen Ansätze von FP oder Medienboulevard dienen dabei als Dauerbestätiger. Und weil beide - rein zahlenmäßig - erfolgreich sind, sehen alle diesen Kurs, und damit immer auch ein bisserl sich selbst bestätigt.

8

Der kleine Tabubruch des kleinen Bundeslandes legt all diese Problemzonen offen.

Die Realverfasstheit des ÖsterreicherInnen-Seins als demokratiepolitisch nachhilferesistente Stinkstiefelei weiterhin zu ignorieren, und stattdessen weiter von geistig wehrhaften Bürger-Beteiligungen auszugehen, führt in eine ganz gefährliche Denk-Falle, die den Schein über das Sein stellt.

Die österreichische Demokratie kann nicht wie Jesus vorgehen, dem schon ein Gerechter reicht: sie muss Mehrheiten suchen. Und die lassen sich dieser Tage nur noch über niedere Instinkte, egomanische Realitätsverweigerung und selbstverschuldete Verdrossenheit erzielen; also über die FPÖ in uns allen.

9

Die FPÖ stellt nur dann eine Gefahr dar, wenn man sie durch überhöhte Zuschreibung mit der Macht ausstattet tatsächlich eine zu sein. Ein Ende dieser selbstbeschränkenden Geiselhaft kann der Anfang eines neuen, weniger selbstgefälligen und ehrlicheren, realistischen Zugangs sein.

Der FPÖ fehlt einiges zur starken nationalen Kraft, wie sie derzeit in Europa Urstände feiern. Die Auslandstürken oder -ungarn, die tragenden Säulen von Erdogan oder Orban etwa. Die echten Nazis neben Orbans Rechtsausleger-Populismus. Und, das geben selbst die wenige Parade-Ideologen zu, der intellektuelle Über- oder Unterbau.

Die FPÖ schwimmt in den Regierungen in denen sie vertreten ist, nur mit. Sie verhält sich wie Teil der Bevölkerung, den sie repräsentiert: mäßig an Gestaltung interessiert. Auch weil sich unrealistische Oppositions-Parolen eben nicht umsetzen lassen.

10

Die Frage, die Einserkastler Rauscher am Samstag stellte, ob nämlich die Protestwähler glauben, dass sie mit ihrer Wahl auch nur ein Jota ändern würden, muss sich auch für die Regierungsbeteiligungen stellen lassen.

Die stolz via Krone-Leserbriefseiten, Standard-Foren und anderen scheinpartizipativen Einrichtungen für notdürftige Auslassungen vorgetragene geistige Wohlstandsverwahrlosung findet über die Angst vor einer FP-Regierungsbeteiligung viel direkter in Gesetze, Bestimmungen und politische Handlungsabläufe als sie es über die reale Regierungsbeteiligung in einem Lander-Parlament passieren könnte.