Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vor TTIP-Abstimmung im EU-Parlament"

Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

8. 6. 2015 - 14:28

Vor TTIP-Abstimmung im EU-Parlament

Nach dem Schwenk der Sozialdemokraten ist eine große Mehrheit für das Freihandelsabkommen samt Investorenschutz zu erwarten. Dazu: Analyse der aktuellen TISA-Leaks.

Am Mittwoch stimmt das Europäische Parlament erstmals über das umstrittene Freihandelsabkommen TTIP ab. Die Resolution, die im Plenum voraussichtlich verabschiedet wird, ist nicht bindend, sondern ein Test, wieweit der "Kompromiss" zum Investorenschutz (ISDS), auf den sich die Sozialdemokraten im Handelsausschuss eingelassen haben, auch im Plenum hält. Die Resolution stimmt einem Investorenschutzverfahren unter bestimmten Auflagen zu.

Das weit weniger bekannte TTIP-Schwesterabkommen über Dienstleistungen (TISA) stand hingegen bei einem internationalen Ministertreffen in Paris, das am Freitag zu Ende ging, auf der Tagesordnung. Dort wurde wohl auch die neueste Veröffentlichung von Wikileaks diskutiert, mit insgesamt 17 Dokumenten war es das bisher größte Leak des ominösen TISA-Vertrags. Ging es im ersten großen Leak vor einem Jahr vor allem um Finanzdienste, so geben diese Dokumente einen wesentlich breiteren Überblick.

Parallel zum Start der 9. TTIP-Verhandlungsrunde wurde im April das Kapitel zur künftigen regulatorischen Zusammenarbeit geleakt. Kritiker sehen dieses Gremium als Frühwarnsystem für Firmenlobbys, um gegen neue nationale Konsumentenschutz- oder Umweltgesetze vorgehen zu können, bevor sie noch beschlossen sind.

Telekom-Deregulierung, E-Kommerz

Im Telekombereich sollen auf Vorschlag der EU nun auch die staatlichen Sperrminoritäten fallen, auch alle Zugangsbeschränkungen für Anbieter aus den TISA-Staaten fallen damit in Zukunft weg. Für Österreich wird das bedeuten, dass die Bundesregierung, die noch 28,42 Prozent an der A1 Telekom hält, eine Komplettübernahme durch den mexikanischen Mehrheitseigentümer (derzeit 59 %) America Movil nicht mehr verhindern könnte. Nur Kanada, Israel und Südkorea wehren sich dagegen, da die Telekoms in diesen Staaten in behördliche Notfalls- und Kommunikationssysteme eingebunden sind.

Ausriss aus TISA zur Privatisierung der Telekoms

Public Domain

Im Bereich E-Kommerz wurde der ungehinderte grenzüberschreitende Datentransfer in klaren Worten festgeschrieben: "Kein Unterzeichnerstaat darf einen Serviceanbieter daran hindern, im Inland oder Ausland Daten zu transferieren, verarbeiten und speichern, wenn dies im Rahmen der Geschäfttstätigkeit des Serviceanbieters passiert (Artikel 2, Absatz 1). Hongkong setzte noch den Vorschlag drauf, dass "dieser Informationsfluss keinerlei Bezug zu nationalen Datenschutzgesetzen aufweisen und auf informierter Einwilligung basieren sollte". Das heißt, die Datentransfers fallen nicht unter die nationalen Datenschutzgesetze, dafür soll das Prinzip des "Informed Consent" gelten. Hier wird also eine staatliche Rechtsvorschrift durch einen Vertrag zwischen Anbieter und Kunden ersetzt, das ist die Grundtendenz des gesamten Abkommens. Am deutlichsten manifestiert sich dieser Ansatz im Punkt Investorenschutz.

Ausriss aus dem TISA-Text zum freien Fluss der Informationen

Public Domain

TISA, TTIP, TPP

Von seiner schieren Dimensionen her ist TISA bei Weitem das voluminöseste dieser drei Freihandelsbkommen, die von Kritikern bereits als "unheilige Dreifaltigkeit" des Freihandels bezeichnet wird. Während TTIP und TPP den freien Handel mit materiellen Gütern im europäischen bzw. pazifischen Raum zum Inhalt haben, so betrifft TISA die weltweite Liberalisierung von Dienstleistungen. Die aber machen fast Dreiviertel des Welthandels aus, während der Anteil an materiellen Gütern daran seit Jahren stagniert. Und während TTIP nach all den Leaks langsam in seinen Dimensionen überschaubar wird, ist das bei TISA längst nicht so, denn das Abkommen überstreicht so ziemlich alle Lebensbereiche aller Einwohner der 23 Staaten, die mit den USA und der Europäischen Union über TISA verhandeln.

Eine EU-Datenschutzverordnung, die für bestimmte Arten von sensiblen Daten eine Speicherpflicht innerhalb der EU vorsieht, wäre ein klarer Verstoß gegen den TISA-Vertrag.

Friseure und Telekoms

Von der Niederlassungsfreiheit für Friseure, Fremdenführer oder Steuerberater liegt alles auf dem Tisch, was im weitesten Sinne als Dienstleistung zu verstehen ist. Darunter fällt aber auch die Deregulation der ganz großen Brocken, nämlich der Telekommärkte, des E-Kommerz und Finanzdienstleistungen. Die Forderung der EU-Kommission, Finanzdienste ebenfalls im Rahmen von TTIP zu verhandeln - also exklusiv mit den USA - stieß in Washington jedoch auf taube Ohren. Gerade bei einem strategischen Instrument wollten sich die USA ihren Verhandlungsspielraum sichern, ohne dabei an Absprachen mit den Europäern gebunden zu sein.

Auszug aus der Resolution zu TTIP zu ISDS

Public Domain

Genausowenig wie beim Finanzsektor konnte sich Europa in puncto Investorenschutz gegen die USA durchsetzen - wenn dessen Streichung aus dem TTIP-Vertrag denn von der EU überhaupt so deutlich gefordert wurde, wie dann öffentlich betont wurde. Die Unterzeichnung des Freihandelsabkommen CETA mit Kanada, das ein ausführliches Kapitel zum Investorenschutz enthält, durch die EU-Verhandler stellte einen noch dazu ganz aktuellen Präzedenzfall dar, an dem Kommission nicht vorbeikam. Das Argument, die USA und die EU hätten ohnehin hochentwickelte Rechtssysteme, weshalb ein ISDS nicht notwendig sei, war damit unbrauchbar geworden. Auch Kanada hat ein hochentwickeltes Rechtssystem und dennoch hatte die EU ein ISDS-Abkommen mit Kanada unterzeichnet.

Kanada muss nach einem aktuellen ISDS-Urteil 300 Mio Dollar wegen seiner Umweltgesetze bezahlen, Argentinien wurde zu 405 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt, weil die missglückte Wasserprivatisierung rückgängig gemacht wurde.

Wünsche und Vertragstexte

Sowohl die ISDS-Kompromissvorschläge von Handelskommissarin Cecilia Malmström, wie auch die Resolution des Parlaments am Mittwoch widerspiegeln lediglich die europäischen Wünsche. Wieweit sich die USA auf diese Forderungen einlassen werden ist gänzlich ungeklärt. Die Festlegung des Parlaments auf ein ISDS-Gremium mit vorab ausgewählten Schiedsrichtern, für die Öffentlichkeit transparente Verfahren samt Berufungsmöglichkeit ist keineswegs ausgemachte Sache.

Empfehlungen des Eu-Parlaments zu TISA

Public Domain

Hier verweist der Rechtsausschuss des Parlaments in Bezug auf TTIP auf die entwickelten Rechtssysteme von den USA und Europa und auf die Unterschiede in den Ansätzen etwa zum Umweltrecht

Das von Malmström genannte Ziel, schlussendlich damit ein neues internationales Schlichtungsgericht mit "echten Richtern" zu schaffen, mochten der Entscheidungsfindung der Sozialdemokratischen Fraktion dienlich gewesen sein, Chancen auf Durchsetzung dieses Wunsches bestehen nicht. Die USA hatten sich bisher strikt geweigert, irgendein internationales Gericht zu akzeptieren, das über der US-Verfassung steht. Sogar die Urteile des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen in den USA werden dann nicht akzeptiert, wenn die US-Regierung der Meinung ist, dass die US-Gerichtsbarkeit für den Fall zuständig ist.

Kein Chlorhuhn, kein Medienbericht

Warum es rund um ein so monströses Handelsabkommen so wenige Medienberichte gibt, liegt zum einen daran, dass TISA völlig ohne mediale Begleitmusik gestartet wurde. Anders als bei den TTIP-Runden, die von einem wahren Feuerwerk an Aussendungen, Tweets und öffentlichen Veranstaltungen begleitet werden, gibt es zu TISA nichts dergleichen. TISA startete vielmehr fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Sitzungen werden kaum angekündigt und finden offenbar stets in der australischen Botschaft in Genf statt. Die geringe Bekanntheit von TISA ist auch auf den spärlichen Informationsfluss rund um das Abkommen zurückzuführen die geleakten Dokumente sind immer nur Puzzleteile, sehr oft fehlt der inhaltliche Zusammenhang, konkrete Beispiele sind rar.

Anders als die EU verfolgt die Schweiz eine konsequente Informationspolitik zu TISA. Alle größeren Eingaben der Schweiz werden auch veröffentlicht

In TISA gibt es weder Chlorhühner, Genmais oder Pestizide, sondern fast nur abstrakt formulierte Regelungen zum Wegfall konkret existierender, nationaler Regulationen. Und während TTIP auf einem klar sichtbaren Kollisionskurs mit europäischen Umweltgesetzen unterwegs ist, greift TISA tief in arbeitsrechtliche Belange ein, da es ja um Dienstleistungen geht. Anders als bei TTIP sind diese Eingriffe nur schwer an konkreten Beispielen festzumachen. In welcher Beziehung die Artikel dieses Vertragsentwurfs zueinander stehen und wie sie ineinander greifen, lässt sich zur Zeit noch gar nicht sagen, zumal nur Bruckstücke bekannt sind.

Fazit und Ausblick

Nur eines lässt sich mit Sicherheit über TISA jetzt schon sagen, ein zukunftsweisendes Abkommen ist das nicht. Nicht nur bei Finanzdienstleistungen wird der Status Quo - was nämlich die Rechte der Unternehmen betrifft - erweitert und dann festgeschrieben, wie auch das gesamte TISA-Abkommen auffällig defensive Züge zeigt. Die "unheilige Trinität" dieser drei Abkommen dient dazu, die derzeitigen weltwirtschaftlichen Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten, auch wenn Chinas Weg zur global größten Volkswirtschaft längst vorgezeichnet ist.