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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

7. 6. 2015 - 16:02

Einen Tag schweben: Seewiesenfest

Schwimmen in der eiskalten Enns, Colleen Green, Die Nerven und Kante beim paradiesischen 21. Seewiesenfest in Kleinreifling.

Festivalradio

Der Open-Air-Sommer deluxe

Kaiserwetter in Kleinreifling. Wenn man auf den Fotos vom Seewiesenfest, auf denen immer irgendwo ein türkisgrünes Wasser glitzert, trotz Sonne nicht allzuviele Menschen beim Schwimmen im Wasser sieht, dann liegt das daran, dass die geschätzten zehn Grad Wassertemperatur sich in die Haut bohren wie Nadelstiche. Das Untertauchen fühlt sich an wie neu geboren werden.

Steg beim Seewiesenfest

Katharina Seidler

Den Konzerten auf der Seebühne und im großen Zelt kann man auch vom Steg aus lauschen, es duftet nach Gulasch und Lagerfeuer, Kinder singen beim Workshop mit Frank Lebell von Nowhere Train einen Pizza-Song. Man hat davon gehört: Es ist hier traumhaft schön.

Ein Auftritt von Colleen Green geht so: Nach einer zehnstündigen, unklimatisierten Autofahrt müde, aber gut gelaunt auf die Bühne kommen, zwei Akkorde auf der Gitarre anschlagen, Sonnenbrille aufsetzen, Konzert spielen. Diese Unkompliziertheit zieht sich auch durch die Musik der jungen Amerikanerin, die im Umfeld ihres Labels Hardly Art, einer kalifornischen DIY-Institution aus dem Hause Sub Pop, bereits als Königin des DIY-Punks gefeiert wird. Ihre Songs leben von drei Akkorden, die in der Tradition ihrer erklärten Idole Blink 182, aber auch voller Referenzen an Punk-Idole wie die Ramones oder The Descendents funkelnde, kleine Melodien mit eingängigen Texten kreuzen, zwischen schnell und langsam wechseln und oft nur knapp die Zwei-Minuten-Marke überschreiten. "I wanna grow up", der Titel ihres aktuellen Albums, meint die Suche nach dem finalen Überwinden der jugendlichen Unsicherheiten. Eine Künstlerin wie eine coole beste Freundin.

Colleen Green Seewiesenfest

Katharina Seidler

Colleen Green

Das kanadische Trio We are the city ist eine Band, die auf fast schon ärgerliche Weise alles richtig macht. Die Beats kommen wahlweise aus dem Schlagzeug oder dem Modular-Synthesizer, die schwelgerischen Melodien sind melancholisch-euphorisch, die drei Bandmitglieder tanzen als gleichberechtigte Protagonisten kontemplativ-expressiv, die Stimme des Hauptvokalisten kippt immer wieder ins schwelgerische Beinahe-Falsett. Auch die Songs von We are the city sind auf genau dem Fundament erbaut, auf dem man Hits errichtet - es ist eine geradezu perfekte Band mit einer strahlenden Zukunft, vielleicht auch in der "BBC Sounds of…"-Liste. Etwas fehlt, neben der Bühne fließt der Hammerbach.

Ganz anders, und zwar aber im besten aller möglichen Sinne, geht es die Clemens Band Denk an, die neben ihrem Protagonisten als Supergroup aus dem Nino aus Wien und Musikern aus anderen heimischen Bands wie Die Eternias, Luise Pop und Dot Dash besteht. Ausufernde Noise- und Postrock-Orgien, verschrobenster Pop: "Bis wir nicht mehr wollen, sagen wir die Wörter, bis wir nicht mehr wollen, spielen wir die Töne, bis es fad wird" - Die Antwort kann auch beim Publikum nur lauten: Niemals! Zum Glück hat die Band am heutigen Seewiesenfest gleich zwei Slots bekommen.

Die Nerven beim Seewiesenfest

fräulein milena

Die Nerven

Die Nerven danach bohren wie immer nonchalant, kontemplativ, heimlich gut gelaunt, einen Stachel in die Idylle. Funky Postpunk und markerschütternder Noisepunk von einer fantastisch aufeinander eingespielten Band, die nach dem Auftritt gar nicht gerne hören mag, dass sie ein Höhepunkt der Nacht war. Wieviel Trost in zehnminütigen Kreiseln aus Gitarre und Bass liegen kann, hier konnte man es wieder einmal spüren: Du drehst dich im Kreis, dir wird schwindlig.

Die Bilder sind von fräulein milena

Die Band Kante hat sich in den letzten Jahren ja von den Festivalbühnen in dunkle Theaterräume zwischen Volksbühne und Burgtheater zurückgezogen und einen Teil dieser Arbeiten haben sie vor Kurzem unter dem Titel "In der Zuckerfabrik" als Sammelalbum herausgegeben. Das heutige Set besteht etwa zur Hälfte aus diesen neuen Songs, was Peter Thiessen teilweise in die Situation bringt, ein Stück mit den Worten anzukündigen: "Die folgende Nummer ist inspiriert von den Blumen des Bösen von Baudelaire". Zwischen dem hochkomplexen und oft düsteren Inhalt in Songs wie "Das Erdbeben von Lissabon" oder dem Titeltrack der neuen Platte und der luftigen Pop-Ästhetik zeigt sich in den Theater-Werken von Kante besonders gut. "Ich mag es, wenn nicht immer alle Mittel, die man in einem Song verwendet, das gleiche Signal senden", erklärt Thiessen dazu im Interview. Mittanzen und Nachdenken, es ist ein idealer Brückenschlag.

Kante beim Seewiesenfest

fräulein milena

Kante
Dorian Concept beim Seewiesenfest

fräulein milena

Dorian Concept Trio

An diesem langen Tag, der noch viel endloser sein dürfte, ist auch noch Platz für dies: Folkiges Singer-Songwritertum von Jeffrey Lewis & The Jrams, hymnische Seemannslieder der Grazer Viech. Dorian Concept mit Cid Rim und The Clonius in sich blind verstehender Trio-Perfektion zwischen Freejazz und Club-Avantgarde. Die Nacht ausklingen lassen mit Pola-Riot auf der Tanzfläche. Apfelsaft aus Literflaschen trinken mit Kante, Die Nerven nach ihrer Show nackt in den See hüpfen sehen, Übernachten am Pferdegestüt, mit unzähligen freundlichen FestivalbesucherInnen sprechen: Es ist hier anders als auf anderen Festivals, daher kommen wir immer wieder.