Erstellt am: 7. 6. 2015 - 15:37 Uhr
Mit Gespenstern kuscheln
Vielleicht fange ich mit einem österreichischen Fotokünstler an, der unlängst eine beeindruckende Vernissage zelebrierte. Bernd Preiml repräsentiert eine Schönheit, die sich aus einer fetischistischen Liebe zum Schmutz, zum Unrat, zum Dreck in allen Varianten speist. Auf seinen verführerischen Bildern mutieren Haushaltsabfälle zu berückenden Blumen des Bösen und maskenhafte Wesenheiten aus Müll geistern durch das Nichts.
Als wir über seine Einflüsse plauderten und über die Ursprünge der obsessiven Motive, die sich durch Preimls Werk ziehen, erzählte mir der gebürtige Steirer von den Videotheken-Exkursionen seiner Jugend. Immer wieder landete er in seiner Provinzheimat in dem schummrigen Laden, in dem sich auch schundige Machwerke des Exploitation- und Horrorkinos aneinander reihten.
Noch mehr als die Inhalte fesselten den blutjungen Besucher dabei die herrlich plakativen Versprechungen auf den dazugehörigen Verpackungen. Die grellen Covergestaltungen, von hemmungslosen Grafikern in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf die Spitze getrieben, ließen Preiml zum Filmsammler werden, der unzählige VHS-Kassetten hortete. Sie prägten aber auch seinen späteren Lebensweg als Fotograf mit einer innigen Zuneigung zum Monströsen.
Bernd Preiml
Artifizielle Oberflächen und pulsierende Synth-Soundtracks
Bernd Preiml steht mit seinen Videotheken-Wurzeln alles andere als alleine da. Eine Generation von Kunstschaffenden bekennt sich zu einer analogen Ära, in der die Popkultur besonders schillernd florierte, die Dekadenz omnipräsent war und der Begriff "Trash", man mag es gar nicht glauben, noch eine subversive Außenseiterhaltung verkörperte. Nachdem sich Musiker mit einer Vehemenz seit auch schon wieder fast 15 Jahren auf die Sounds der 80er stürzen, haben auch Regisseure die visuellen Codes der Dekade entdeckt.
Spätestens seit Nicolas Winding Refns Erfolgsstreifen "Drive" (2011) tauchen vermehrt knallige Ausleuchtungen und pulsierende Synth-Soundtracks auf. Wie der dänische Ausnahmeregisseur in seinem stilisierten Neo(n)-Noir-Meisterwerk die artifiziellen Oberflächen und die vom postmodernen Zynismus noch unverdorbene Romantik der Eighties aufgreift und in die Gegenwart holt, das ist weiterhin unübertroffen.
Vor allem eine bestimmte amerikanische Jungregisseurs-Posse macht aber in Sachen kreativer Verwertung diesbezüglicher Zitate auch von sich reden. Mit seinem stockdüsterem Indie-Kleinod "The House of The Devil", das detailgetreu die Ästhetik diverser Gänsehaut-Schocker aus den 80ern imitiert, startete Ti West 2009 die Retro-Horrorwelle. Sein enger Freund Adam Wingard führte mit dem blutigen Thriller "The Guest" im Vorjahr das Recycling-Prinzip dann an einen Punkt, wo Spannung und Splatter bereits mit satirischen Elementen kollidierten.
Splendid Film
Willkommen zum 80er-Overkill
Pure, ungefilterte Ironie dominiert dagegen eines der erfolgreichsten Crowfunding-Projekte unserer Tage. Der schwedische Regisseur David Sandberg bündelt in seinem Kurzfilm "Kung Fury" einen wahren Overkill an trashigen 80er-Signalmomenten. Mit sich selbst in der Titelrolle als magischer Martial-Arts-Cop, der im Miami von 1985 in ein Zeitreise-Abenteuer katapultiert wird, wagt der aus der Werbefilm- und Musikvideo-Szene kommende Skandinavier eine Nonstop-Hommage an die goldenen Tage der abgenudelten VHS-Tapes.
Karate Kid und Rambo, billige Marvel-TV-Serien und Superhelden-Cartoons, Arcade-Games und der frühe Hacker-Kult verschmelzen vom Green Screen des überambitionerten Machers. Aber auch wenn man diesem Referenz-Reigen wohlgesonnen sein möchte, weil sich David Sandberg doch so viel Mühe gegeben hat, zieht sich die halbe Stunde Laufzeit wie ein pinkfarbener Kaugummi.
Laser Unicorn
Am Ende nervt es nicht nur, dass es in jeder Sequenz vor Anspielungen wimmelt und "Kung Fury" zum einzigen Easter-Egg-Feuerwerk und endlosem Bruhaha verkommt. Man spürt trotz der betonten Zuneigung zu den parodierten Originalen eine Seelenlosigkeit, die an andere Crowdfunding-Phänomene wie "Iron Sky" erinnert. Dass Adolf Hitler durch beide Filme als diabolischer Kasperl tobt, dürfte nicht wenige Nerdfans zu einem Double-Feature animieren.
Flucht zurück in die Retro-Zukunft
Der immense Widerhall, den "Kung Fury" im Netz einheimst, nachdem der Regisseur seine handwerkliche Visitenkarte einfach auf Youtube stellte, spricht natürlich Bände. Weniger die Zeitzeugen als etliche nach 1990 geborene Mädchen und Buben (immer noch eher zweitere) imaginieren sich ungebrochen in ein Fantasy-Wonderland, in dem He-Man auf einem Einhorn Richtung Horizont fliegt, am besten zur Knightrider-Titelmelodie und mit einem Gastauftritt von Mr. Hasselhoff.
Ohne jetzt hier die verbitterte Spaßbremse spielen zu wollen, sei angemerkt, dass die Flucht aus dem Hier und Jetzt der Kriege, Krisen und Koalitionsdebakel zurück in die Retro-Zukunft einen Haken hat. Denn auch und besonders die 80er waren eine Dekade der Katastrophen und Bedrohungen.
Hinter der pastelligen Fassade, die heute so vermeintlich naiv wirkt, steckt ein Jahrzehnt, in dem sich Fallout aus Tschernobyl in den heimischen Regen mischte, der Kapitalismus eisig soziale Errungenschaften terminierte und der reale und fatale Sozialismus seine Muskeln noch protzig anspannte. All diese und andere Tatsachen beim Recycling von 80er-Popkultur idyllisch auszusparen, ist ungefähr das selbe wie Jimi Hendrix & Co. als Hippiefolklore zu begreifen und den rebellischen Sog der 60er zu ignorieren.
Laser Unicorn
Märchenhaftigkeit und reale Verwüstungen
Wie also mit den Gespenstern der Vergangenheit kuscheln, von ihrem kreativen Reichtum und ihrer unbestrittenen Leuchtkraft zehren, ohne in infantile Verklärung abzurutschen oder auf sie losprustend herabzublicken? Möglicherweise so, wie das Ryan Gosling, der "Drive"-Star, in seinem eigenen Regiedebüt tut.
Der völlig zu Unrecht von etlichen Kritikern gescholtene filmische Fiebertraum "Lost River", in dem eine zerüttete Kleinfamilie in einem Vorort von Detroit mit sehr menschlichen Dämonen konfrontiert wird, bedient sich zwar auch massiv aus einem einschlägigen Vorbilder-Fundus.
Allerdings drückt Ryan Gosling seinem Sammelsurium an Einflüssen nicht nur einen sehr persönlichen und emotionalen Stempel auf. Er verzichtet auch auf jegliche Anflüge von Augenzwinkern und sperrt bei aller Märchenhaftigkeit die Verwüstungen der Wirklichkeit nicht aus. Es ist der ökonomische Druck, erpresserische Banken, die drohende Verwahrlosung in einem Ellbogenland namens Amerika, der die alleinerziehende Mutter, gespielt von Christina Hendricks, in einen grotesken Job treibt, der ihr Leben verändert.
Constantin Film
River of no return
"Lost River" verweigert also nicht den Blick auf die politischen und sozialen Abgründe, auf das brüchige Ghetto, in dem die Mittelklasse bald hausen wird, bettet aber die Realität in ein retrofuturistisches Ideensampling ein. Der David Lynch von "Blue Velvet" (1986) flackert in bizarren Nachtclubsequenzen ebenso auf wie die pittoreske Architektur aus Dario Argentos "Inferno" (1980), ganz abgesehen von Verweisen an morbide Klassiker wie "Night of The Hunter" aus den 50ern.
Dazu drehte Gosling in den Ruinen von Detroit, die auch Jim Jarmusch in seinem traumwandlerischeren Vampirepos "Only Lovers Left Alive" als desolate Kulisse verwendete. "Lost River" wird mit diesen Vignetten des Verfalls gleichzeitig zur Verbeugung und zum Abgesang an versunkenene Metropolen, verblasste Utopien und Ideen-Welten, die immer noch inspirieren.
Constantin Film
Wenn die legendäre Actrice Barbara Steele in Gänsehaut-Szenen stumm vor einem Fernseher voller Geisterbilder hockt, zum melancholischen Electroscore von Johnny Jewel, in einem Raum voller musealer Erinnerungen, dann kommentiert Regisseur Gosling damit auch seine und unsere Nostalgiesucht.
Bernd Preiml, der Fotokünstler, hat sich in seinen originellen Arbeiten schon von der einstigen Quelle emanzipiert. Ryan Gosling, der ebenfalls der Videotheken-Generation angehört, wird vielleicht in seinem nächsten Film soweit sein. Bis dahin darf man es aber genießen, in verlorenen Flüssen zu tauchen.