Erstellt am: 6. 6. 2015 - 15:41 Uhr
Der Häuptling ist tot
EPA/FELIX HOERHAGER
Ich weiß noch, wie ich unvorbereitet als Siebenjähriger im Provinzkino in "Winnetou III" stolperte, der zum "Breaking The Waves" meiner Kindheit wurde. Völlig verheult taumelte ich in die sommerliche Landluft. Sie hatten meinen geliebten Häuptling am Ende, zu Glockengeläut wie von Lars von Trier und zur göttlichen Musik von Martin Böttcher, sterben lassen. Jetzt ist er tatsächlich von uns gegangen, in den Kinohimmel, so wie der erste Offizier der Enterprise und andere ikonische Leitbilder für Generationen von rettungslosen Träumern.
Danke Pierre Brice, du französischer Apatsche, für diese Momente, wo du mich aus der steirischen Provinz rauskatapultiert hast, in ein Fantasy-Amerika, das doch so nahe im ehemaligen Jugoslawien gelegen ist.
Dein weißer Bruder Old Shatterhand alias Lex Barker war auch großartig natürlich und außerdem noch Tarzan. Und durch den Besetzungscoup des Produzenten Horst Wendlandt wirkte er eher wie ein Coolness verstrahlender amerikanischer Westernheld, als ein spröder deutscher Kuhbub aus der Feder von Karl May. Von dem ich übrigens nie ein Buch wirklich gelesen habe, mir war das zu muffig und spröde als Kind.
Constantin Film
Aber Winnetou, in dieser veredelten Pariser Version, die stellenweise an die hübsche Androgynität des frühen Alain Delon erinnerte, war noch viel mehr. Was ganz anderes, etwas Wesenhaftes. Kein Mann-Mann, kein blonder Trapper. Man könnte sicher ausgedehnte Queer-Forschungen zum Verhältnis der Blutsbrüder Winnetou und Old Shatterhand betreiben.
Für mich, als Hetenbub, bot er in jedem Fall eine elegante, uneindeutige Alternative zu allen knorrigen Männerbildern, die mir als kleinem Gschropp angeboten wurden. Und auch wenn es nichts asexuelleres als Winnetou-Filme gibt, der Weg, der mit Indianer-Perücken und Schminksessions im Kinderzimmer begonnen wurde, führte mich vielleicht sogar später zu Robert Smith und Lippenstift, in Gothclubs, zu Glamrock und "Velvet Goldmine"-Verehrungen.
Jedenfalls war dieses Wesen, das mein Leben veränderte, weder der reale Pierre Brice, noch die Romanfigur von Karl May, sondern eine ganz eigene mythische Figur, die nur von dem genialen und unterschätzten Regisseur Harald Reinl erschaffen wurde. Mit der keineswegs unkontroversen Biografie des mit 86 Jahren nun verstorbenen französischen Schauspielers kommt man nicht weiter. It’s about the Mythos, Baby. Und mit der äußerst bitteren Realität der Native Americans zu argumentieren, das führt auch komplett an der Sache vorbei, diese Diskussion kann man bei John Ford führen.
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Reaktionär wie einige der allerbesten Hollywood-Western waren die Karl May-Filme nie, sie predigten den Volksschülern Toleranz, Empathie, Solidarität und immer waren die Eisenbahnbosse, Bankiers und weißen Kapitalisten im Hintergrund schuld, die ihre schwarzgekleideten Schnurrbart-Schergen mit Gold gegen die Guten und moralisch Aufrechten aufhetzten.
Zu weit sollte man diese sozialdemokratische Interpretation natürlich auch nicht treiben. Aber was bleibt, ist eine schwer definierbare Seltsamkeit, ein Gefühl des Wunders und der Verwunderung, zu dem auch selbstbewusste Squaws wie Marie Versini und Uschi Glas passten, die direkt aus den Seiten des "Bravo"-Magazins zu den Apatschen übergelaufen waren und Unmengen von kleinstädtischen Faschingsfesten inspirierten.
"Winnetou" repräsentiert eines der wenigen und großartigsten Pop-Phänomene der 60er und 70er Jahre made in Germany-Ex-Jugoslawien-Spanien. Purer Pop im besten Sinn, weil hochartifiziell. Alles Pappe und Kulisse. Schöner Schein. Und natürlich durch und durch kosmopolitisch. Harald Reinl stellte den mythischen Ort Amerika in einem Nachkriegseuropa nach, Kulturklischees wurden charmant gebrochen, transformiert, wie zeitgleich bei den Italowestern auf brutalere Art. Es wimmelte vor Franzosen, Deutschen, Ex-Jugoslawen, Spaniern und Österreichern in dieser Prärie, fast wie im echten Amerika der Einwanderer.
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Wenn ich von einer kosmopolitischen Attitüde rede, dann meine ich übrigens auch Bands wie Boney M., die spießigen deutschsprachigen Strandurlaubern seinerzeit über den Kitschumweg den Reggae beibrachten. Harald Reinl und Frank Farian, ich liebe sie beide, letzterer hätte einen Discoschlager für den unvergesslichen Pierre Brice komponieren sollen.