Erstellt am: 5. 6. 2015 - 15:06 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 05-06-15.
#demokratiepolitik #ltw15 #machtpolitik
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Zunächst überrascht es mich vielmehr, dass die bereits im Wahlkampf recht offen avisierte Rot-Blau-Koalition im Burgenland irgendjemanden überrascht hat.
Noch viel vorhersehbarer sind aber die Reaktionen auf das Konstrukt, das Landeshauptmann Niessl da zusammenbastelt: auf der einen Seite Proteste und die ein wenig scheinheilige Frage nach der Glaubwürdigkeit; auf der anderen Seite (vor allem im Boulevard) eine seltsame Häme über die Hilflosigkeit des Umgangs mit dem - in dieser Logik - Unvermeidbaren.
In dieser (nicht nur medial) zugespitzten Polarisierung fällt der entscheidende Aspekt derzeit ziemlich unter den Tisch: dass nämlich die burgenländische Koalition der interessanteste politische Feldversuch seit der Koalition in Wien sein kann. Aus dem alle enorm viel lernen und mitnehmen können.
APA/ROBERT JAEGER
Was hat es mit dem Sündenfall auf sich?
Der Sündenfall, der echte, der war ja schon.
Als über den Wechsel 99/00 der Wahlverlierer Schüssel sich von der FPÖ in einer Koalition zum Kanzler machen ließ. Der schafspelzige Denk-Rechtsextremist Haider (quasi) in der Regierung. Das wog stärker als ein gesinnungsgleicher Justizminister Ofner in den Regierungen Sinowatz/Vranitzky 83-86.
Der aktuelle Sündenfall kann also nicht der der Akzeptanz der FP als regierungsfähige Kraft sein; auch nicht der einer SP-FP-Zusammenarbeit. Und es hat wohl auch nichts mehr mit Haider zu tun.
Es geht auch nicht um prinzipielle Nicht-Zusammenarbeit. Im Parlament und in fast allen Landtagen und Körperschaften wird tagtäglich zusammengearbeitet und gemeinsam beschlossen.
Es geht also um etwas anderes.
Um Positionierung.
Die Tatsache, dass die Bundes-SPÖ nicht mit der FPÖ will, definiert sie politisch. Derzeit praktisch alleinstellend. Auch weil die SPÖ ideologisch sonst wenig zu bieten und nichts (siehe Erbschafts/Reichensteuer) durchzusetzen hat.
Die einzige Positionierung, die einzige noch sichtbare rote Boje aufzugeben hieße sich als völlig beliebig auszuschildern. Und das geht halt nicht, wiewohl es die ehrlichste aller Zustandsbeschreibungen wäre.
Nur weil politisch nicht geht, was nicht sein darf, zieht in der Republik aber auch ein Denkverbot ein, was eine Veränderung dieser Position nach sich ziehen würde. Und das ist, per se, schlecht.
These 1: die "Ausgrenzung" war nicht zu halten
Es musste irgendwann dazu kommen.
Denn zum einen gelang es der ach-so-ausgegrenzten FPÖ den Begriff als emotionalen Outlet ihres winseligen Opfer-Status im Herz der politischen Debatte zu etablieren. Und nur die Einbindung (samt der ständigen Verweis-Möglichkeit) kann dieses pathetische Narrativ beenden.
Zum anderen lassen sich jene, die immer alles besser machen würden als alle anderen, am allerleichtesten entzaubern, wenn sie in die tatsächliche Verantwortung kommen. Und, ganz unzynisch, im Burgenland kann man als Juniorpartner am vergleichsweise wenigsten kaputtmachen.
Wo, wenn nicht hier.
Und: Wann, wenn nicht jetzt.
Die SPÖ hat überhaupt keine andere Chance ihre Bewegungsarmut zu kippen, ihrer (selbstverschuldeten) Starre zu begegnen.
Und es ist egal, ob Häupl, Faymann, Voves und noch viele andere ein burgenländisches Szenario für sich ausschließen oder Pensionisten, die sich für ihre Defacto-Koalition mit einem Waffen-SS-Mörder nie genierten, Moral einfordern.
Unter den Erben dieser nationalen Kräfte, den europäischen Rechtspopulisten nimmt die burgenländische FPÖ keinen avancierten Platz ein. Und in einem strukturell stockkonservativen Bundesland, das sich wegen einer tendenziell rebellischen (Grenz-)Vergangenheit für eher links hält und durch eine vergleichsweise stabile Volksgruppen-Politik geerdet ist, sind keine Kärntner Manöver möglich. Schließlich ist das Burgenland das SPÖ-Gegenstück zum VP-dominierten Niederösterreich, was die Ähnlich- und Vergleichbarkeit betrifft, nicht das durch seinen Urbanismus österreichweit mit nichts zu vergleichende Wien.
Politisch tätig zu sein heißt auch den richtigen Moment nicht zu verpassen. Insofern liegt Hans Nießl wohl richtig.
These 2: die Bloßstellung wird wieder nicht klappen...
Vielleicht spekuliert Nießl auch damit die regierungsungeübten Partner in den nächsten Jahren systematisch auflaufen zu lassen, um sie so bloßzustellen. Das war Schüssels Taktik von 2000, zumindest eine mögliche, für ein kritisches Klientel in die Welt gesetzte.
Verbürgt ist hingegen (die im letzten Profil beschriebene Strategie, mit der Haider sich zum Nummer 1 aufschwingen wollte.
Aufgegangen ist das jedenfalls nicht. Auch weil die geschickte PR-Behauptung von "Erfolg" und "Arbeit" wichtiger und wahl-schlagender ist, als tatsächlich Geleistetes - auch weil die politische Kaste und vor allem Medien kein Interesse an einem Transport von reellen Informationen jenseits einer witzigen Glitter-Welt haben.
Was sich ab 2000 tatsächlich abspielte, sickert erst seit wenigen Jahren ins Bewusstsein; aber auch nur in das jener, die sich für mehr als den Popstar-Status von Glam-Boys wie Haider oder Grasser interessieren.
Dass die große Erneuerung, die die dritte Kraft da versprach, das Aufsprengen der alt/großkoalitionären Proporz-Republik, sich im reinen Drang zum Fleischtopf erschöpfte, zum gierigen Verdrängungswettbewerb pervertierte und zum simplen Umfärben von Versorgungsposten verkam, dass die Bereicherung von Person und Clan im Vordergrund stand und die (ideologisch motivierten) Reformen nur Alibi waren, hat sich noch nicht so recht gesetzt.
Und, nicht zu vergessen: aus all diesen Geschehnissen hat auch die Strache/Kickl-FPÖ, die nichts mit Buberlpartien, nichts mit Stadlerismus, aber auch nichts mit privater Liberalität am Hut haben will, gelernt.
Chefverhandler ist Strache-Stellvertreter Norbert Hofer, ein Burschenschafter ohne Rabauken-Image (der wie andere auch ganz traurig wird, wenn man die Pegida-Bewegungen als rechtsextrem bezeichnet) und Glanz.
Er wird wohl als Aufpasser für das Projekt abgestellt, soll allzu dumme Fehler (wie das hier) vermeiden. Also: selbst wenn FP-Regierungsmitglieder in Eisenstadt so vorgehen wie vormalige FP-JustizministerInnen, man wird bemüht sein es schnell geradezubiegen.
These 3: .... aber das Übertölpeln auch nicht...
Entscheidend wird etwas ganz anderes sein. Und über die durch das Burgenland nötig gewordene strategische Ausrichtung rauchen derzeit die Köpfe in der FP-Zentrale.
Soll man a) auch innerhalb der Regierung eine quasi-oppositionelle Politik machen oder sich b) als ministrabel und verantwortlich präsentieren, also Beschlüsse mitfassen und mittragen?
So leicht wie unter Schüssel würde das nämlich nicht werden: damals war der ideologische Unterschied zwischen den beiden Koalitionsparteien mit freiem Auge kaum auszumachen. Im Fall von Rot-Blau wird man sich vielleicht in Sozial-Fragen und (Spezial-Nießl) einer gemeinsamen Grenz-Bestemm-Haltung einig sein. Sich über Privatisierungen, Budgettricks und strukturelle Umschichtungen zu definieren wird im Burgenland nicht gelingen.
Allerdings bedeutet das Ja zu B für die FPÖ auch den beginn eines "Ja, aber..."-Eiertanzes, mit dem man die nächsten Monate und Jahre umgehen wird müssen: das aufgelegte "worst practice"-Beispiel kann nicht nur zum Bumerang werden - es verhindert auch den allzu einfachen verbalen Durchmarsch, der nur im Territorium der politischen Verantwortungslosigkeit des Oppositions-Tals gangbar ist.
Für diese neue Ausgangsposition braucht es einen neuen Trick um sich weiterhin in der scheinsolidarischen Spur der Unzufriedenen zu suhlen.
Der Hinweis auf die Ausgrenzung jedenfalls hat an den Stammtisch-Konjunktur-Börsen jetzt schon deutlich verloren. Und so hat ein inhaltlicher Rechtsausleger der ausschließlich im Machterhaltungsmodus vorwärtsstolpernden Sozialdemokratie schon mehr erreicht als seine gesamte Bewegung in den letzten Jahrzehnten.