Erstellt am: 5. 6. 2015 - 12:44 Uhr
Identities 2015
Was, überhaupt, ist ein queerer Film? Ist das ein Film mit dem Sujet der queeren - d.h. LGBTQI - Identität, oder sollte es nicht vielleicht eher ein Film sein, der aus der herkömmlichen Norm ausbricht und damit seltsam, strange, unheimlich, ungehörig ist (mit Rücksicht auf diese Perspektive nominiere ich den Genre- und Subgenre-Film als den eigentlichen queeren Film).
Wild Bunch
Das Identities Festival ist wieder da und bereit, die schier unermüdliche Arbeit zu leisten, in der unübersichtlichen und ausgefransten Welt des queeren Films irgendwo einen gemeinsamen Nenner zu finden, oder zumindest ein einzelnes Festival zu kuratieren. Hier werden Filme aus den verschiedensten Gattungen gezeigt, von Fernseh- über Horrorfilm, Pornos, Kurzfilme und Dokus, sowie eine ordentlich satte Anzahl an retrospektiv gezeigten Filmen.
Zur Lage der Darstellung von Geschlechtern und sexueller Identitäten im heutigen Kino
Seit der Erfindung des Bewegtbilds müssen sich Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender-Personen usw. damit begnügen, dass es eigentlich keine guten Filme gibt, in denen sie und ihre Lebensweisen dargestellt werden. Und das ist eben gerade deshalb fies, weil gerade diese Gruppe einen besonders starken Durst nach erzählten Geschichten hat, aus denen Vorbilder und Träume geschöpft werden können. Mit einem Schaudern denke man etwa an die Welt um 2010, als das Beste, was es gab, The L-Word und Brokeback Mountain war.
Da die Welt 2015 aber total leiwand ist, die Stadt Wien mit Homo-Ampelmännchen bestückt ist (trotz des Fehlens einer völlig gleichgestellten Homoehe auf der bundesgesetzlichen Ebene, aber bitte), Gastgeber für Songcontest und Dan Savage spielt, usw., hat sich das in den letzten Jahren unglaublich verändert.
2013 ging die goldene Palme von Cannes sowie viel Aufsehen bekanntlich an La Vie d’Adèle, gleich heuer war Todd Haynes’ Patricia Highsmith-Verfilmung Carol bei den Filmfestspielen stark im Rennen; Hauptdarstellerin Cate Blanchett wurde von der Kritik verehrt, Rooney Mara gewann die Goldene Palme als beste Schauspielerin. Der franco-kanadische Regisseur Xavier Dolan gilt als eine Art Jugendikone und Kritikerliebling. Bei den Oscars reüssieren Filme mit Transgender-Personen wie Dallas Buyers Club.
In den letzten Jahren konnte man immer wieder queere Filme bei der Viennale sehen, so wie Stranger by the Lake oder heuer den betörenden Duke of Burgundy.
Auch Österreich konnte heuer einen queeren Film vorweisen: den umwerfenden Peter Kern-Film Der Letzte Sommer der Reichen, der rätselhafterweise nicht im Programm des Identities-Festivals vorhanden ist. Dieser Blade Runner-Nonnen-Wien-Giallo ist queerer und seltsamer als Conchita und trotzdem nicht so richtig in aller Munde gewesen:
Nanook Film
Queerfilme eignen sich großartig, mit ihrem Speziellen vom Allgemeinen zu sprechen. Immer wieder erinnern sie uns daran, dass wir am Ende alle Menschen sind, oder dass alle anderen Menschen auch irgendwie gay sind.
Beim Blick ins Programmheft fallen folgende Highlights auf, bei denen sich ebenfalls fragen lässt, ob es die Filme oder die Sujets sind, die als queer gelten.
Gravitas Ventures
Appropriate Behaviour (2014) Desiree Akhavan
Zugegeben, ich steh total auf Desiree Akhavan, frühestens seit ihrer bösen Webseries The Slope und spätestens seit ihrem kurzen, aber eindrucksstarken Auftritt in der Serie Girls. Der Debütfilm der dreißigjährigen US-Iranerin lässt sich im Stil auch ein kleinwenig mit Girls-Schöpferin Lena Dunham vergleichen (beide junge Filmemacherinnen stellen in ihren jeweiligen Werken das eigene Alter Ego dar), verfügt aber über einen einzigartigen, dreisten Humor. Akhavans bisexuelle Protagonistin rasselt nach einer Trennung durch eine Existenzkrise in Brooklyn und Manhattan. Die Witze sind roh und werden auch immer von einer gewissen Agonie begleitet, die ein guter Ausdruck unseres elenden Zeitalters sind.
Als Eröffnungsfilm wird Appropriate Behaviour im geräumigen Gartenbaukino gezeigt, Karten kann man also noch reservieren.
Sony Pictures
Kill Your Darlings (2013) - und die Beatniks
Heuer steht ein ordentlicher Literaturschwerpunkt am Programm des Festivals und ein Highlight ist diesmal die Österreichpremiere dieses kleinen Biopic-Schinkens. Kill Your Darlings von John Krokidas ist sicher kein Meisterwerk, er ist sogar als Vehikel von solch durchaus queeren Inhalten ziemlich bieder, aber der Film erzählt eine spannende Geschichte: die Universitätszeit des jungen Lucien Carr, der als Teil des Quartetts mit Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Burroughs die Gegenkultur zur intellektuellen New Yorker Elite der 1940er Jahren bildete (anders gesagt: die Hipsterkultur von heute fand hier ihren Ursprung, ihre Flamme, aus deren Asche sie heute besteht). Dazu ist es auch noch ein hübscher, Tom Ripley-hafter Krimi. Die Ausstattung ist nett, und wenn man die Augen ein bisschen zudrückt, dann könnte man meinen, man wäre in ein alternatives Harry Potter-Universum gefallen, wo Harry und Draco in der Bibliothek zaghafte Liebhaber sind. Was begehrt das Herz mehr?
Ergänzt wird der Film mit einem eigenen Kurzfilmprogramm zu den Beatniks; sehr schön ist das.
Kali Films
Alice Walker: Beauty in Truth (2013) & Schriftstellerinnenfilme
Österreichpremiere feiert Pratibha Parmars Doku über die US-Südstaaten-Schriftstellerin Alice Walker, über deren Engagement in der Bürgerrechtsbewegung, sowie das Dasein als schwarze Frau und Literatin. Heuer gibt es besonders viele Filme zu den häufig homosexuellen Biographien ikonischer Autoren - so gibt es ein künstlerisches Tribute zu Annemarie Schwarzenbach und informative Dokus über Dichter Audre Lorde und Kulturkritikerin Susan Sontag. Zum zerrissenen Leben von Violette "Batarde" Leduc wird sowohl eine Doku als auch ein leider recht bieder geratener Spielfilm gezeigt.
Leider ist es wohl zu früh, um die jüngst erschienene Doku über die US-Dichterin Elizabeth Bishop zu zeigen. Stattdessen ist der unglaublich romantische Reaching for the Moon zu sehen, in dem es vor allem um deren tragische Liebesgeschichte mit der brasilianischen Architektin Lota de Macedo Soares geht, sowie um kreatives Schaffen und Scheitern.
Columbia Pictures
Concussion (2013) von Stacie Passon
Das schöne an Fiktion (insb. in Filmen) ist ja, dass sie fiktive Welten schaffen, die wir als gegeben sehen können. Das wäre eigentlich etwas, was queere Filme noch mehr ausnützen könnten, um die ewige Trope des Coming Outs und des Umgangs mit der queeren Identität zu vermeiden. In Concussion ist das gelangweilte, suburbane Albtraumehepaar mit dem zachen Sexleben lesbisch; in nur wenigen Momenten befindet sich der Zuschauer in dieser unhinterfragten und unpsychologisierten Realität - sofort kann der Film interessantere Dinge erzählen: Nach einer Gehirnerschütterung arbeitet Abby als Hookerin für Frauen und findet das super. Im Gegensatz zum (großartigen) Belle de Jour von Luis Buñuel, mit dem der Film eine ähnliche Handlung teilt, ist der Stil von Concussion nüchtern und extrem lustig, am allerschönsten aber ist es, dass hier kein Urteil über die Frau gefällt wird, die ihr eigenes sexuelles Glück entdeckt.
Sony Pictures Classics
Love is Strange (2014) Ira Sachs
John Lithgow und Alfred Molina geben in diesem äußerst gelassenen und rührenden Film von Ira Sachs ein älteres Ehepaar in einer anstrengenden Umstellungszeit. Hier geht es weniger um Identitätssuche als um Zeit, Familie und das unaufhaltbare Altern.
Sachs’ bürgerliche Figuren leben in derselben Stadt wie die jungen Protagonisten von Appropriate Behaviour und Kill Your Darlings, deren Welt von furiosen Gefühlen und Irrungen gezeichnet ist - in Love is Strange ist die New York City jedoch in ein honigfarbenes Licht getaucht, und das arge Verlangen und Begehren hat sich in eine freundlichere Emotion verwandelt.
Besonders gespannt bin ich noch auf den österreichischen Film über das Transgenderdasein FtWTF und die Doku She Said Boom: The Story of Fifth Column. Wie schaut euer Identities-Programm so aus?
Jedenfalls: die Kinosäle (Filmcasino & TopKino) sind klein, die Karten schnell aus, also ab zum Vorverkauf; Festivalbeginn ist 11. Juni 2015.