Erstellt am: 1. 6. 2015 - 16:52 Uhr
Einmal von allem, bitte!
Das letzte Mal war ich vor 10 Jahren in Barcelona. Da war das Primavera Festival genau fünf Jahre jung. In Erinnerung geblieben ist mir ein Konzert von Arcade Fire und hunderte Stooges-Fans, die eine unendliche U-Bahn Fahrt lang „I WANNA BE YOUR DOG!“ mantraartig singen und dazu im Takt den Waggon zum Beben bringen.
Seit dem ist natürlich viel passiert. Das Festival ist gewachsen, man selber natürlich auch. Wenn Festivalfans bei einer Umfrage „Wieviel Festivals besuchst du im Jahr“ das Kästchen mit „mehr als 10“ anklicken, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass eines davon das Primavera Sound Festival ist. Wer im Jahr nur ein Festivals besucht, könnte auch zu den Freiluftkonzert-Fans zählen, die sich NUR das Primavera Festival geben. Weil dort hat kann man quasi ALLES sehen: Es gibt die Haudrauf-Festivals, die Kraut&Rüben-Festivals, die „kuratierten“ Festivals und die kleinen Festivals. Das Primavera Sound ist all das in einem.
Auf dem Primavera tragen die BesucherInnen bei ihren Bühnenwanderungen vielleicht keine Morphsuits oder Wassermelonen am Kopf wie am Novarock und alle riechen ein wenig besser, aber – seien wir uns ehrlich – Betrunkene sind immer und überall komisch.
Dani Canto
175.000 BesucherInnen meldet das Primavera Festival nach am dritten Festivaltag. Das Parc del Forum, diese riesige Parkanlage mit schönem Blick aufs Meer, bietet Freiluft-Bühnen, die den Namen vom eigenen Festival tragen, nach dem britischen „Kuratoren“ Festival ATP oder dem Pop-Medium Pitchfork benannt sind. Es gibt die Bühne einer Biersorte, einer Bekleidungs-Kette, einer Brillen-Manufaktur und noch einer Bekleidungsfirma. Es gibt eine App, die dir im Minutentakt erzählt, was gerade wo passiert. Wann im Internet welche Konzerte live gestreamt werden und wann du dich wo anstellen musst. Neben den Freiluft-Konzerten gibt es das „Auditori Rockdelux“, eine „Hidden“ Stage, wo begrenzte Kapazität herrscht und bisschen mehr Zeitmanagement notwendig ist, um reinzukommen.
Ondrusova
Die Interaktion mit den Besucherinnen, also das Festivalerlebnis 2.0 heißt: Einen Raum schaffen, wo „Exklusives“ passiert. „Was ist das für ein Bändchen? Das hab ich ja gar nicht!“ Wenn man auf einem Festival etwas verpasst, wird ja automatisch die Sehnsucht geschürt, das nächste Mal wieder zu kommen, um noch mehr zu erleben, um noch mehr dabei zu sein!
Ihr wisst, was jetzt kommt, ich habe es in keine der Indoor-Venues geschafft. Mein Plan war diesmal: sich treiben lassen! Das Problem daran: eine Bühnenwanderung auf einem Gelände, wo die hintersten Bühnen ca. zwei U-Bahn-Stationen voneinander entfernt sind, ist vielleicht vom Gehen her nicht so anstrengend, aber von den akustischen Lockrufen her. Sagen wir mal so: man fühlt sich nach einer Stunde so wie ein weißes Hemd, das versehentlich in den Buntwäsche-Topf gefallen ist und zuerst einen Blaustich, dann Rotstich hat, irgendwann kurz Lila wird, um dann am Schluss von der Familie der Grautöne adoptiert zu werden. Es ist Buntwäsche-Programm angesagt! Also neuer Plan: pro Tag eine Band ganz sehen. Das wird schön. Oder: pro Tag eine neue Lieblingsband entdecken. Wenn's mehr werden, hat man auch gewonnen.
Ondrusova
Es wird ja gerne gejammert in Österreich. „Warum haben wir nicht so was? Warum kommen die nicht nach Österreich?“ Vom Lineup hab ich all die Bands ausgelassen, die ich mir auch hierzulande anschauen werde können. Belle & Sebastian am Harvest Of Art Festival zum Beispiel. Patti Smith, wird mit ihrem „Horses“ Albumprogramm auch in die Arena Wien kommen. Interpol, Jose Gonzalez, Alt-J kommen zum FM4 Frequency Festival. Viet Cong werden in Österreich eine Club-Show spielen. Auf dem empfehlenswerten und von mir heiß geliebten Off Festival in Polen werden Run The Jewels, Ought oder Sunn O))) zum Beispiel auftreten.
Eric Pamies
Das Festival hat am Mittwoch mit einem Konzert von Albert Hammond Jr begonnen. Das war sehr schlecht, alles hat geklungen wie eine schlechte Strokes-B-Seite. Danach waren OMD. Das war noch schlechter. Beim Donnerstag hab ich dann eine schlechte Entscheidung getroffen: statt Antony & The Johnsons, die mit Orchester aufgetreten sind, bin ich zu Spiritualized gepilgert. Das war leider ein einziges Warten auf einen Moment, der nicht nach Schlaftablette klingt. Die zwei Gospel-Sängerinnen haben als einzige Stimmung in die fast Slow-Motion-Songs gebracht. Zu wenig Feedback, gar kein Tempo, sondern zu viel entlanggezogene Jesus-Passagen. Warten auf das Lieblingslied „Life is a Problem“, um zu entdecken, dass der ganze Auftritt ein Problem ist. Jason Pierce, I love you but you´re bringing me down.
Chet Faker hat mich schließlich ein wenig versöhnt und die Stimmung hochkochen lassen. Dann jedoch der nächste Fehler: sich von dem Endorphin-Set zu trennen um zur „Hauptbühne“ zu pilgern, wo die Black Keys als Led Zeppelin getarnt aufgetreten sind. Man muss dazu wissen: Led Zeppelin ist für mich Synonym für überbordende Gitarren, die mich in den Wahnsinn treiben. Nachdem ich dann auch herausgefunden habe, dass nicht überall wo „Exit“ draufsteht auch „Exit“ drin ist und mich damit abgefunden habe, dass der freundliche Security-Helfer mit „fivehundred minutes“ tatsächlich „fivehundred minutes“ meint, bis sich dieses ominöse „Exit“-Gitter öffnet, bin ich quasi schreiend davon gerannt. Meine letzten Worte waren „Morgen wird besser“ und so war es auch.
Xarlene
Eric Pamies
Julie Ruin, die Band von Kathleen Hanna, hat ein wunderbares Liveset gespielt. Punk inklusive dem Hinweis, wann und wo das nächste Ladyfest in Barcelona stattfindet, und dass man mit 46 nicht zu alt für Punk ist. Damien Rice hat alleine an der Gitarre die riesige Festivaltraube mit seinem melancholischen Set unterhalten. Perfume Genius ist von den Menschen empfangen worden, als ob er Michael Jackson wäre. Ride haben eines ihrer Reunion Konzerte am Primavera Festival gespielt, das war zwar schön aber nach einer Stunde merkt man dass diese Band ganz schön viele „filler songs“ hat. (Vapour Trail ausgelassen natürlich!)
Eric Pamies
Ondrusova
Zu „filler songs“ haben sich auch Alt J bei der Pressekonferenz am Festival geäußert. Sie haben nämlich keine. Über den Erfolg ihrer „kleinen“ Band sind sie dankbar und noch immer überrascht. Dass sie endlich und zum ersten Mal (!) in Barcelona sind, hat sie sehr gefreut, sie haben gescherzt, dass sie gar nicht wussten, dass ihr Ein Uhr-Früh Slot der Headliner-Slot ist. Geäußert haben sie sich auch über das „How to write an Alt-J song“-Video, das letzte Woche die virale Runde gemacht hat.
Joe Newman dazu: „We found the video very funny! They looked very high and enjoying their rice crackers. Which is a really healthy treat. If I was high, I probably wouldn’t eat rice crackers. It sounded a bit like us, the song is really good, the song is catchy!” Gus Unger-Hamilton lobte dabei die Loop-Talente der Youtube-Stars: “We don’t know how to use a loop station so I was impressed! They could teach us!”
An meinem letzten Festival-Tag kam die Punk-Poetry-Erleuchtung in Form der Sleaford Mods, die angesichts der Tatsache, dass bei ihrem Konzert FestivalbesucherInnen erstmals auf den Schultern ihrer Begleiter sitzen, meinten, dass sie jetzt „proper famous“ sind. (Sehr sehr lustig und empfehlenswert ihr Twitter-Feed)
Bloke interviewing us as never heard of The Happy Mondays. Nutter. Wtf
— Sleaford Mods (@sleafordmods) May 29, 2015
Hotels full of bands who all look like Foals n that
— Sleaford Mods (@sleafordmods) May 29, 2015
Know a lot of you are at work and I don't mean to sound like a petty cunt but no kettle in this hotel room is not booming
— Sleaford Mods (@sleafordmods) May 29, 2015
Vollkommen überwältigt war ich von den Einstürzenden Neubauten. Eine Band, die mir theoretisch viel bedeuten sollte, aber praktisch immer ein wenig zu viel, Ich habe auch immer alle Bad Seeds-Gesprächsrunden, die mit der Blixa Bargeld vs Warren Ellis-Frage geendet haben, immer mit den Worten „Team Warren“ verlassen. Nach dem gestrigen Konzert werd ich das nicht mehr so oft tun, denn Blixa Bargeld hat einen Platz in meinem Konzert-Herzen erobert. Was sein Altmetall-Band-Orchester da gezaubert hat und wie er es geschafft hat das Publikum so derart in Ekstase zu versetzen war sehr (nochmal: SEHR) beeindruckend.
Dani Canto
FM4 Festivalradio
Alles zu den besten Festivals des Sommes
Dass ich von den Strokes tatsächlich nur drei Songs gehört habe, hat mit dem schönen Zufall zu tun, dass ich just in Barcelona einen Australier kennengelernt habe, der sich in seinem Leben zwei Aufgaben widmet, die auch meinen Pop-Feminismus-Lebensphilosophie-Denkfluss beschäftigen: nämlich einer „all female management“ Agentur und einer „Suicide Prevention“ Organisation. Die Lieder, die ich dann noch erwischt habe, waren dafür genau die richtigen: „Last Nite“, „Take It Or Leave It“ und „The Modern Age“. Es waren genau die richtigen Songs. Die schönste Entdeckung am Primavera Festival war dann eine australische Shoegaze-Postrock-Pop-Band, deren gesamten Shop-Bereich ich schon am Flughafen versucht hab zu plündern. Eine Band, die alle Gitarren-Bands des gesamten Festivals vereint hat. Finden kann man sie hier. Vielleicht auch deine neue Lieblingsband.
Dani Canto