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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

30. 5. 2015 - 20:20

Kulinarische Tristesse

Jon Favreau versucht mit "Kiss the Cook", im Original "Chef", eine schmackhafte Alternative zum Hollywood-Mainstream zu liefern. Und scheitert ordentlich.

Alles dampft und brutzelt und köchelt unentwegt in diesem Film. Die Kamera weidet sich an perfekt ausgeleuchteten Spezialitäten, bei deren Anblick Veganer zwar öfter die Nase rümpfen werden, der Durchschnittsesser aber sofort Heißhunger bekommen dürfte. Wenn man die Essensfotos, mit denen Facebook regelmäßig überflutet wird, Foodporn nennt, was soll man dann zu diesem überlangen Stück kulinarischer Pornografie sagen?

Chef

Thimfilm

Jedenfalls gibt es zwischen den Großaufnahmen von diversen äußerst kalorienhaltigen Köstlichkeiten in "Chef", der von der Kreativabteilung des zuständigen deutschen Verleihs "Kiss the Cook" getauft wurde, auch eine Geschichte. Regisseur Jon Favreau schlüpft selbst in die Rolle des Meisterkochs Carl Casper, der in einem Nobelrestaurant in Los Angeles hektisch und humorvoll regiert, untermalt von verschwitzter Funkmusik.

Als ihn sein knausriger Boss (Dustin Hoffman) zu einem billigeren Menü zwingt, schreibt der führende Kritiker der Foodblogger-Szene (Oliver Platt) prompt einen Totalveriss. Carl verliert nach dem darauffolgenden Streit seinen Job und muss sich eine neue Existenz aufbauen. Gleichzeitig wartet sein kleiner Sohn aus einer gescheiterten Ehe auf den Küchenchef.

Wie es sich für eine amerikanische Erfolgsstory gehört, versucht sich Carl Casper aber mit einer frechen Idee und viel Arbeitseinsatz wieder nach oben zu katapultieren. Der Haubenkoch baut einen heruntergekommenen Foodtruck zur Edelimbissstation um, der bald zum absoluten Geheimtipp unter Feinschmeckern mutiert.

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Foodporn für das Flugzeugkino

Wer bei dieser Inhaltsangabe und zugegeben charmanten Nebendarstellern wie Scarlett Johannsen oder Robert Downey Jr. den perfekten Einschlaffilm für Langstreckenflüge vermutet, liegt nicht falsch. Bordkino sollte möglichst unaufregend und harmlos sein und "Chef" erfüllt in dieser Hinsicht alle Vorraussetzungen, es sei denn, man wartet noch mit knurrendem Magen auf das Menü.

Nun könnte auch schon bereits alles gesagt sein zum Versuch von Regisseur und Schauspieler Jon Favreau, nach Blockbustern wie "Iron-Man" und dem dazugehörigen Sequel oder "Cowboys & Aliens" wieder einmal einen persönlichen, kleineren Film zu drehen. Warum komme ich mir aber ein bisschen spielverderberisch vor, wenn ich diesen Film einfach so mit der Küchenrolle hinwegwische, weil doch viel aufregendere Kinostarts da draußen lauern?

Weil "Chef" eben den Genuss und die Lebensfreude dermaßen zelebriert und das detaillierte Herstellen und anschließende Verspeisen von - im wahrsten Sinn des Wortes - schweinischen Leckereien mit einer bestimmten übertriebenen Lässigkeit verknüpft, dass man wie ein verbitterter Rezensent auf Dauerdiät wirkt, wenn man gegen dieses geballte Savoir-vivre agitiert. Sorry, aber das kann ich nicht auf mir sitzen lassen.

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Gruppenkochkurse statt Konzerte

Denn in gewisser Weise sehe ich "Kiss the Cook" beinahe als filmisches Mahnmal für eine Entwicklung, die mir schon lange Sodbrennen bereitet. Es ist der anscheinend nicht aufzuhaltende Trend, um die Nahrungsmittelzunahme einen aufgeheizten Kult zu betreiben, der in unzähligen slicken TV-Kochshows und stylisch verpackten Büchern und Magazinen mündete. Und der natürlich das Internet vereinnahmt, was Jon Favreau nicht müde wird, mit der ständigen Erwähnung von sozialen Netzwerken und Blogs in seinem Film kundzutun.

Als jemand, der selber äußerst gerne gut isst, stört mich an dieser Entwicklung dennoch, dass sich die blutigen Hipster-Burger wie der Veganer-Chic einen immer essentielleren Teil der Popkultur erobern. Während der Rock'n'Roll wie die dazugehörigen Plattenfirmen im Sterben liegt und die Utopien des alternativen Mainstreams zur Farce verkommen sind, besuchen zumindest reifere Indiemenschen längst lieber Gruppenkochkurse als Konzerte.

Machte früher immer nur der Resignation verkündende Spruch vom "Essen als Sex des alten Mannes" die Runde (der perfekt zum Midlifecrisis-Plot von "Chef" passt) zieht es, gelockt vom Kulinarikhype, heute wohl schon jüngere Paare in den Abgrund der herrlich duftenden Wohlstands-Tristesse. Dabei, würde ich mir wünschen, gehört das tolle Essen ohne großen Überbau auf den Teller und das weite Feld des Pop darf gerne wieder auf intelligente Weise lodern, brennen und tosen, ganz leidenschaftlich, etwas asozial und widerspenstig und ohne Küchengeruch.

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Vielleicht interpretiere ich auch zu viel in Jon Favreaus Streifen, der die schmackhafte, authentische Alternative zum Hollywood-Mainstream sein möchte und nur so viel Substanz wie ein Foodporn-Bildchen auf Facebook hat. In jedem Fall ist "Chef" die Sorte von biederem Pseudo-Indie-Kino, das noch konventioneller wirkt als manche Blockbuster. Und jetzt gehe ich mir ein Sandwich machen.