Erstellt am: 30. 5. 2015 - 13:09 Uhr
Manche Jahrzehnte dauern länger als andere
Das kann natürlich daran liegen, dass es sich beim Phänomen Westberlin um ein abgeschlossenes Forschungsprojekt handelt, die kleine Insel in der DDR gibt es längst nicht mehr, da ist die Weltgeschichte schuld. Und ein zeitlich abgeschlossenes Forschungsgebiet regt natürlich Dokumentaristen, Filmer und Erzähler immer wieder zur abschließenden Beschäftigung und Einordnung ein.
© Horst Blohmust
Wie man dabei alles falsch macht, zeigt der furchtbare Film von Oskar Röhler: "Tod den Hippies, es lebe der Punk", für den Westberliner Clubs nachgebaut wurden, damit sich die Protagonisten darin wie Fasching-Punks bewegen und hohle Dialoge sprechen. Das sehr gelungene Westberlin-Buch von Wolfgang Müller "Subkultur Westberlin 1979-1989 Freizeit" hingegen erscheint bereits in der vierten Auflage und ist zum Standardwerk geworden.
Letzte Woche lief nun in Berlin die Dokumentation "B-MOVIE: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989" in einigen Berliner Kinos an. Und da es sich um dasselbe begrenzte Forschungsgebiet handelt, kommt die Dokumentation fast wie eine Verfilmung des Müller-Buches daher. "B-Movie" besteht fast ausschließlich aus Archivmaterial: Alltagsszenen, Konzertmitschnitte und Filmausschnitte. Wacklige Amateuraufnahmen aber auch professionelles Filmmaterial, etwa aus Jörg Buttgereits "Nekromantik" fügen sich zu einer Stadtgeschichte. Manche Ausschnitte hat man schon oft gesehen, etwa in der berühmten Dokumentation "So war das S0 36". Anderes lässt einem nach dreißig Jahren noch den Atem stocken, wie die Super-8-Aufnahme einer Demo von 1981, bei der der 18-jährige Klaus Jürgen Rattay von der Polizei auf die Straße getrieben und einem Bus überrollt wurde.
"Wer sich an die Achtziger erinnern kann, war nicht dabei" lautet ein vielbemühtes Zitat, das Falco zugeschrieben wird. Aber in Wirklichkeit können sich viele Leute sehr gut erinnern, auch, weil damals alles dokumentiert wurde. Es war die Zeit, in der ständig Super-8-Filme gedreht wurden, in der jedes Konzert und jede Kunstaktion auf Super-8 festgehalten wurden, um so selbst wieder zur Super-8-Kunst zu werden. B-Movie lebt von der Fülle des gefundenen Materials und dokumentiert gleichzeitig den punkigen Experimentalfilm jener Zeit.
Die Filmemacher Jörg A. Hoppe, Klaus Maeck und Heiko Lange haben all das gefundene und selbst gedrehte Material geschickt um die leicht manipulierte Biografie von Labelchef, Schauspieler und Musiker Mark Reeder montiert, der als Erzähler und Protagonist durch die Achtziger in Westberlin führt. Ein Erfolgsrezept des Filmes ist, dass der 1958 geborene Brite von außen auf die ehemalige Frontstadt schaut, die für ihn "noch kaputter als Manchester war".
Dort hatte er in einem Plattenladen gearbeitet und war von deutscher elektronischer Musik - Klaus Schulze, Tangerine Dream, Kraftwerk und Can - so fasziniert, dass er beschloss nach Westberlin zu ziehen. Vorher kannte er, wie viele Engländer seiner Generation, die Deutschen nur als "Achtung!!"-brüllende Nazis aus Kriegsfilmen und Comics. Außerdem ist Reeder auch Uniformfetischist, und so sieht man ihn immer wieder, wie er als schmucker junger Mann in sämtlichen DDR-Nazi-Polizei-Stasi-Uniformen aus mehreren Jahrzehnten durch Westberlin geht und radelt.
B-Movie
Manch deutschem Rezensenten kam es unglaubwürdig vor, dass Reeder alle gekannt haben soll: Ideal und Malaria, Nick Cave und Blixa Bargeld, die Toten Hosen, die Ärzte, Kippenberger, Christiane F. und all die anderen. Aber wer in den frühen Achtzigern in Berliner Clubs, die damals noch Bars oder Kneipen hießen, unterwegs war, der konnte diesen Leuten gar nicht aus dem Weg gehen. Westberlin war recht klein und die Szene überschaubar: Das Loft der Dschungel, das Risiko, das So 36, das Café Mitropa und der vom "wahren Heino" geführte Scheissladen, Ex und Pop... - da waren eben immer alle.
So schön der Film ist, so traurig und wehmütig stimmt er doch die Zeitzeugin, ein Gefühl das man wahrscheinlich Nostalgie nennt. Und egal, wann man nach Berlin kam - es war anscheinend immer zu spät. Auch 1985 schon, hatte man laut dem Erzähler des Films, die beste Phase grad verpasst. Und doch bietet der Film auch für die Leute die nur die halben Achtziger dort erlebt haben viele Erinnerungen.
Das kaputte alte graue Westberlin, die Schutthaufen! In jeder Straße lagen Grundstücke brach, fehlte ein Haus. Die Schrottautos, die der Berliner der Einfachheit halber an der Mauer stehen ließ und so entsorgte. Die Oranienstraße, damals schon Hauptstraße von Kreuzberg. war ziemlich grau und leer: Kaum Autos, leerstehende Häuser, zugenagelte Fensterläden, nur türkische Leute und Punks auf der Straße. Heute gibt es in der ganzen Straße keinen einzigen türkischen Gemüseladen mehr, dafür ein Fastfoodladen neben dem anderen und Cafés die vornehmlich von Touristen bevölkert werden. Und alle sind so fruchtbar normal und langweilig. Wie schön und kaputt, aufregend und interessant Berlin damals noch war! Und wie jung alle noch waren!
© Horst Blohmust
Nun ist es ein recht bekanntes Phänomen, dass der Mensch an sich altert - aber wenn man die Westberliner Szene in ganz jungen Jahren noch einmal auf der Leinwand sieht: Berlin, wat haste dir verändert... Wie lustig und schlau und überhaupt nicht salbungsvoll und staatstragend Blixa Bargeld damals noch wirkte und sprach! Farin Urlaub als Teenager! Und die Toten Hosen beim Konzert vorm "Scheissladen" waren halt Funpunks, aber längst nicht so blöd wie heute! Und traurig ist es, die zu sehen, die nicht mehr leben, so wie F. J. Krüger von Ideal und andere Szenengestalten.
Für den Erzähler Mark Reeder, der 1988 endgültig ausgebrannt und gelangweilt von Berlin war, bringt 1989 die große Zäsur und mit der ersten Love Parade auf dem Kudamm und einem jungen DJ namens Westbam die Rettung. Und es stimmt ja: Die Neunziger waren auch ganz schön toll und aufregend in Berlin, auch wenn das gute alte Westberlin dran glauben musste.