Erstellt am: 29. 5. 2015 - 18:27 Uhr
"They're coming!"
Zu Beginn gibt es immer die nicht-perfekte, weiße Familie: Vater, Mutter, ein unglücklicher Teenager, ein zarter Bub, und ein fast überirdisch herziges Kindergartenkind. Jeder hat seinen "appropriate gadget": die Teenagerin ein Smartphone, der Bub ein Tablet, das jüngste Kind aber liebt noch seine magischen Stofftiere. Alle sitzen sie in einem Auto und fahren in ein neues Haus in einer unbenannten Suburbia. Die Stimmung ist gereizt, die Eltern genervt, die Kinder raufen.
20th Century Fox
Jede unglückliche amerikanische Familie ist auf die gleiche Art unglücklich, nur die Umstände ändern sich ein bisschen. Diesmal leidet die Familie nicht an der Trennung der Eltern (E.T., 1982), Druck von Oben (The Breakfast Club, 1985), Weicheierei (Back to the Future, 1985); diesmal leidet sie an etwas Existentiellem und weitaus Gemeinerem: der eigenen Ausmerzung anlässlich des Verschwindens der Mittelschicht.
Die Gekränktheit des verlassenen Hauses nach einem Foreclosure
Das verlassene Familienhaus gilt seit 2008 als Symbol der rasanten Abwärtsspirale der U.S.-amerikanischen Ökonomie und ihres Traums. Tausende Familien verloren ihr Haus und Heim an Banken; der Familie in Poltergeist geht es offensichtlich ebenso.
Vernachlässigte Häuser, so suggeriert der Film, haben ein eigenes Innenleben: sie entwickeln eine Kränkung und siechen einsam dahin in ihrem Zorn. Gruselhäuser entstehen aus Eigentum, das sich nach seinem Besitzer sehnt, sowie aus der allgemeinen Zumutung von Familien- und Geschwisterrollen.
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Der Vater (Sam Rockwell) hat die Arbeit verloren, die Mutter (Rosemarie DeWitt) würde sich gern jenseits der Mutterschaft selbst verwirklichen – eine authentische Familie von heute. Die Szenen zu Beginn des Films haben also einen gewissen Reiz: Es ist schön, den brodelnden kleinen Mikrokosmos zu beobachten, der so unter Druck steht. Die Eltern nennen ihre Kinder „Little Jerks“, da erwärmt sich das Herz. Wenn die Eltern dann, in ihre surrenden und blinkenden Geräte vertieft, am Kinderchaos vorbeirattern, erinnert man sich müde aber doch noch an Szenen des familiären Wahnsinns aus Close Encounters of the Third Kind (1977) oder eh gar an den alten Poltergeist (1982).
Doch dann beginnen schon die ersten Problemchen mit dem Haus. Türknaufe sind statisch aufgeladen, das Treppengeländer gibt elektrische Schläge ab. Der ehemalige Besitzer sei ein Technikfreak gewesen und habe überall Lautsprecher installiert – sogar am Klo, erzählt die Maklerin.
Die Familie wirkt im neuen Film viel isolierter als im alten, und so kommt eine Horrorfilmformel ins Spiel, die vielleicht vom alten Poltergeist-Film vorausgesetzt wurde, jetzt aber so ausgequetscht ist, dass nicht mehr viel von ihr übrigbleibt: Clownpuppen setzen sich in Bewegung und begeben sich an ungewollte Orte, schwarzer Schleim quillt aus dem Boden der Garage hervor. Als die Geschehnisse zuletzt ins Paranormale abdriften, taucht noch kurz Jared Harris in jener Rolle des Mediums auf, die einst Zelda Rubinstein so unvergesslich seltsam verkörperte.
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Die Nachfrage nach einem Remake ist nicht allzu weit hergeholt: Was im alten Poltergeistfilm seinen Vulkan im Fernseher gefunden hat, ist heute noch heimtückischer, denn jetzt läuft der ganze Technikwahnsinn auch noch in den Wänden und ist genauso unsichtbar und unheimlich wie die Geister selbst. Bildschirme sind dünner, kleiner, allgegenwärtiger geworden; sie passen in die Hand, liegen am Nachttisch und sitzen als Laptop neben den Frühstücks-Cerealien. Vor allem der hauchdünne Plasma-Fernseher macht einen ganz anderen Eindruck als einst der Röhrenfernseher, der in seiner Materialität so kultisch und altarhaft wirkte. Der neue Poltergeist-Film mag sich also gemäß dem Zeitalter upgraden, aber das wirkt gewiss nicht zu seinen Gunsten; zu erkennbar, langweilig und "schick" sind die geschmeidigen Apple-Oberflächen, die die Ästhetik des Films durchlöchern.
Blut und Boden
Ein Poltergeist-Film eignet sich immer großartig als unterschwellige Kritik der Vereinigten Staaten – man bedenke die allerersten Eröffnungsmomente des alten Poltergeist, in denen die berühmte Melodie des Star-Spangled Banner über ein weißes Rauschen, das Kriege und Gräueltaten anzudeuten scheint, ertönt. Eigentlich ist die wahre Obsession der Poltergeistfilme Amerikas tiefliegende Nichtbeschäftigung mit seinem eigenen Grund und Boden, besonders den etlichen Geschichten von den antiken Grabstätten der Ureinwohner, über denen heute Kleinstadt-Immitate und sogenannte Developments daherkriechen. Regisseur Gil Kenan ist recht bemüht, diese verschlüsselten Bilder von Ausbeutung, Krieg und schlechtem Gewissen bereitzuhalten – so erhält z.B. eines der Kinder vom Vater eine Spielzeug-Drone geschenkt. Ein Poltergeistfilm hat also etwas von einer Abbitte und Besinnung; was sind die vielen Gemeinheiten, die ständig geschehen, auch wenn wir sie nicht sehen können?
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Here and Not Here at The Same Time, so erklären die Filmfiguren einander die Welt des Paranormalen – lässt sich kurz überlegen, wie sich das auf den Filmgenuss umdeuten ließe. Wenn diese Ebenen der Zwischenwelten nebeneinander herexistieren, auf welcher Ebene irren dann die Gespenster jener Filme herum, aus denen neue Poltergeister gemacht werden?
They’re here! – Poltergeist startet am 29. Mai 2015 in den österreichischen Kinos