Erstellt am: 26. 5. 2015 - 13:07 Uhr
Divestment: Kein Geld für Kohle, Öl und Gas
Wenn ich sage "Klimawandel", sagen viele von euch wahrscheinlich: "Eh ur-wichtig, aber leider auch sehr unsexy". Denn ja, wir hatten schon genug Statistiken zur Erderwärmung und Bilder von traurigen Eisbären können wir auch nicht mehr sehen. All das ist unserem Alltag ziemlich fern und egal, wie selten wir fliegen, wie selten wir Auto fahren oder wie wenig Fleisch wir essen, nichts scheint ausreichend zu helfen: Der Klimawandel macht uns permanent ein schlechtes Gewissen.
Eine neue globale Bewegung bringt nun aber wieder Hoffnung für die Energiewende: "Fossil Divestment" heißt das Zauberwort und verknüpft erstmals ökologische mit beinharten ökonomischen Interessen. Wenn es ums Geld geht, scheint es plötzlich nicht mehr so schwierig, die Welt zu retten.
Was ist Divestment und wie funktioniert es?
Investment heißt Kapital anlegen. Divestment heißt Kapital abziehen. In Sachen Klimaschutz bedeutet das: Raus mit unserem Geld aus Kohle, Öl und Gas und rein damit in erneuerbare Energien wie Wind- und Sonnenkraft.
Wenn sich die Erde nicht mehr als zwei Grad erwärmen soll - und schon das hätte drastische Folgen - müssen mindestens zwei Drittel aller heute bekannten fossilen Reserven im Boden bleiben. Verbrennen wir sie dennoch, blasen wir damit fünfmal mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre als es der Menschheit gut tut.
Erst letzte Woche hat die OMV Pläne für Ölbohrungen in der kroatischen Adria angekündigt.
Die Börsenwerte der fossilen Industrie gehen allerdings davon aus, dass genau das geschehen soll und wir sogar noch mehr Kohle, Öl und Gas suchen, fördern und konsumieren sollen.
Ähnlich wie bei der Finanzkrise 2009 gibt es daher auch hier das Motiv einer Blase, in der Werte unverhältnismäßig aufgepumpt werden. Statt der Immobilienblase ist es diesmal die "Carbon Bubble", sagt Energieexperte und Blogger Georg Günsberg. "Wenn in fossile Reserven investiert wird, die wir aus Klimaschutzgründen nicht nützen können, sind das wertlose Investments."
Felix Müller - Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons
Divestment für große und kleine Geldbörsen
Auf gofossilfree.org findet sich eine Liste aller Institutionen, die schon "desinvestiert" haben.
Kohle, Öl und Gas sind nicht nur ein Risiko für die Umwelt, sondern auch für den Kapitalmarkt. Das bestätigt mittlerweile sogar die Weltbank. Viele große Institutionen haben sich daher schon freiwillig entschieden, ihre schmutzigen Geschäfte zu beenden: Darunter die Unis Stanford und Glasgow, die Church of England, Norwegens größter Pensionsfonds, die österreichische Allianz-Versicherung teilweise und sogar die New Yorker Rockefeller Foundation, die ihr Vermögen dem Öl-Business verdankt.
Logischerweise ist Divestment und dessen im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltiger Effekt aber davon abhängig, wie vermögend man ist. Die meisten von uns sind nun mal keine Großinvestoren.
Dafür zahlen wir Steuern, haben Konten bei Banken und Geld in Versicherungen und Pensionsfonds. Laut einer Studie der europäischen Grünen stecken europaweit über eine Billion Euro in Kohle, Öl und Gas. Das sollten und können wir ändern. "Die Nachfrage von Bankkunden nach sauberen Fonds bringt sehr wohl etwas", meint Georg Günsberg. "Zudem brauchen wir Transparenz in öffentlichen Haushalten und Rahmenbedingungen, um auch dort fossile Investments zurückzufahren."
Divestment als soziale Bewegung
Auf fossilfreeindexes.com findet sich ein Ranking der 200 größten Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, gelistet nach ihren aktuellen Reserven und ihrem potentiellen CO2-Ausstoß. Die OMV ist auf Platz 42.
Das Prinzip, unverantwortliche Investments zu boykottieren, ist nicht neu und hat schon in anderen Bereichen gut funktioniert. In den Achtziger Jahren wurde mithilfe einer Divestment-Kampagne das Apartheid-Regime beendet. Die Argumentation beim Klimawandel ist ähnlich: "Wenn es falsch ist, das Klima zu zerstören, ist es auch falsch, davon zu profitieren." Das von US-Umweltaktivist Bill McKibben und seiner Kampagnenorganisation 350.org ausgerufene Leitmotiv zu fossilem Divestment hat eine globale Bewegung ins Rollen gebracht, die vor allem das Image von Kohle-, Öl- und Gasunternehmen angreift.
Speerspitze des Aktivismus sind Universitäten in den USA und Großbritannien, weil dort viele Bildungseinrichtungen auch als große Investoren tätig sind. Harvard z.B. verfügt über ein Stiftungsvermögen von etwa 33 Milliarden US-Dollar. Harvard-Studierende verklagen nun ihre Uni wegen klimaschädlicher Öl- und Gasbeteiligungen. AnrainerInnen, Ehemalige und ProfessorInnen helfen bei den Aktionen tatkräftig mit.
Oxford University Fossil Free
Neongreen Network
In Österreich engagiert sich der Verein Neongreen Network für fossiles Divestment und bringt das Thema bei den ERDgesprächen am Donnerstag, den 28. Mai erstmals in die Wiener Hofburg.
Es sprechen:
- Robert Bullard über Klimagerechtigkeit,
- Sarah Wiener über gesunde Böden,
- Harald Frey über autofreie Städte
- und Gudrun Pflüger über wilde Wölfe.
Proteste gibt es auch in Oxford. Letzten Samstag haben siebzig renommierte Oxford-AbsolventInnen ihre Abschlusszeugnisse zurückgegeben, weil die Eliteanstalt zwar aus ihren Geschäften mit Kohle und Teersand aussteigt, aber nicht aus jenen mit Öl und Gas. "Das ist ein erster Schritt", sagt Jeremy Leggett. Er ist Gründer des Finanz-Thinktanks Carbon Tracker, der Zahlen zur Carbon Bubble zusammenträgt und steht bei den Oxford-Protesten an vordester Front. "Aber ganz im Ernst: Wir sind im 21. Jahrhundert, Apple wird in fünf Jahren massenhaft Elektroautos produzieren, Solarkosten fallen durch den Boden und Öl- und Gaskosten - nicht deren Preise, aber ihre Kosten - steigen über die Decke. Lasst uns endlich mit diesem Unsinn aufhören!"
In Großbritannien ist Divestment nicht zuletzt dank einer Tageszeitung zu einem großen Thema geworden. The Guardian versucht in einer groß angelegten Kampagne die zwei größten Stiftungen der Welt, die Bill and Melinda Gates Foundation und den Wellcome Trust, von fossilfreien Anlagen zu überzeugen. Die Redaktion hat den eingängigen Slogan "Keep the oil in the soil and the coal in the hole" geprägt.
In Kontinentaleuropa nimmt die Bewegung ebenfalls langsam Schwung auf. In Deutschland hat die Stadt Münster eine Vorreiterrolle übernommen und die BerlinerInnen haben ihrem Bürgermeister schon einen offenen Brief geschrieben und Botschaften auf das Rote Rathaus projiziert. Wenn die Stadt bis 2050 klimaneutral werden soll, kann es doch nicht sein, dass Berlin noch immer rund 10 Millionen Euro in fossile Aktien investiert hat.
Fossilfree Berlin
Wie reagiert die fossile Industrie?
"Es ist schlicht und einfach eine Bewegung, die mit der Realität nichts zu tun hat", urteilt der Öl-Riese Exxon Mobil in einer öffentlichen Aussendung über Divestment. Es würde unser aller Lebensstandard gefährden und den steigenden globalen Energieverbrauch ignorieren.
Unter diesen Vorzeichen erscheint es nicht ohne Ironie, dass mittlerweile sogar KlimaskeptikerInnen einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen prognostizieren. Die Gründe dafür mögen rein ökonomische sein, dennoch ist es bemerkenswert, was US-Publizist Marc Morano, der als "König der Klimaskeptiker" gilt, in einem Interview mit The Guardian gesagt hat: "Ich glaube an Technologie und ich denke, dass sich Solarenergie durchsetzen wird, sobald man damit tonnenweise Geld verdienen kann. Das muss man aber nicht zentral regulieren. Es gibt jede Menge Unternehmer, Wissenschaftler und Erfinder, die sehr motiviert sind, Alternativen zu fossiler Energie zu finden."
#Fossil Free World
Tatsächlich scheint die Umverteilung von Kapital der Schlüssel für die Energiewende zu sein. ExpertInnen betonen zwar, dass Divestment nur eines von vielen Mitteln im Kampf gegen den Klimawandel sein kann, doch dreht sich bei den meisten anderen auch alles um Finanzen. "Man darf nicht vergessen, dass öffentliche Beihilfen für fossile Energien weltweit deutlich höher sind als für erneuerbare Energien. Laut der International Energy Agency stehen hier 550 Milliarden US-Dollar nur knapp über 100 Milliarden gegenüber - und da sind Steuererleichterungen für Kohle-, Öl- und Gasunternehmen noch gar nicht mit eingerechnet", sagt Georg Günsberg. Eine weitere notwendige Maßnahme wäre den CO2-Preis so anzupassen, dass auch die Folgekosten der Umweltverschmutzung berücksichtigt werden. Dann würden wir nicht mehr wie aktuell nur etwa 7 Euro pro Tonne CO2 zahlen müssen, sondern in wenigen Jahren schon etwa 100 Euro.
Bis dahin hat die Divestment-Bewegung aber noch ein starkes politisches und moralisches Statement zu machen.