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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

25. 5. 2015 - 18:09

After the Disco

Dancefloor-Melancholie und die History der Clubkultur. Der englische Produzent Jamie xx veröffentlicht sein Debütalbum. Der FM4 Artist of the Week.

Jamie xx hat mit seinem demnächst erscheinenden Solo-Debütalbum ein Dokument der Nostalgie aufgenommen. Nostalgie für Dancefloors, die der 26-jährige Produzent, DJ und Elektronik-Beauftragte des Londoner Trios The xx aus der persönlichen Erinnerung nicht mehr kennen kann. Borrowed Nostalgia for the un-remembered Nineties. Selten war es egaler, Zeit existiert nicht, die Welt ist ein unerschöpflicher Fundus.

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Jamie xx bezieht sich auf seinem Album namens "In Colour" – wie in den meisten anderen seiner bisher veröffentlichten Tracks - zwar ausdrücklich auf Styles, Epochen, deutliche Signale britischer Clubkultur der Vergangenheit, ergeht sich aber nicht in einem "Früher war alles besser". Die Nostalgie ist nicht das Ende, Jamie xx kommt im Heute an, formt es mit, Richtung Morgen.

Jamie xx

Jamie-James Medina

Jamie xx

Jamie xx ist geschichtsbeflissen, setzt Versatzstücke von Jungle, Hardcore Rave und Dubstep in neue Zusammenhänge, er hat sie sich selbst ausgedacht, die Platte lebt dabei auch von einer jugendlichen Unbekümmertheit und Egalheit und scheint nicht das mächtig funkelnde Meisterwerk sein zu wollen. "In Colours" ist eine kleine, große Platte, die bei allem verwendeten Material vom Minimalismus lebt. Ein Destillat der Liebe.

Gleichzeitig ist "In Colour" ein Loveletter an die Stadt London, die Party, das Nachtleben. Und dabei die melancholischste Partyplatte überhaupt. Sie handelt kaum von der konfettisprühenden Euphorie im Zentrum des Dancefloors, sondern vom Come-Down am Ende der Nacht, dem einsamen Herumstehen am Rande der Energie, dem oft als sinnlos empfundenen Eintauchen in die Feierlaune.

Immer wieder sind in den Stücken, zwischen den Stücken, Geräusche der Nacht zu vernehmen: Das Plaudern des Clubpublikums, das Getratsche draußen vor der Party, in der Warteschlange, Autos, Polizeisirenen. Kurze Snippets aus längst verflogenen Pirate-Radio-Shows oder Anfeuerungs-Rufe eines MCs, wie im Eröffnungstrack, der großartigen Jungle-Gedächtnisnummer "Gosh", die schon seit ein paar Wochen Furore macht.

Diese Einsprengsel klingen verblasst, sind oft kaum zu entschlüsseln, wie aufgenommen von einem beiläufigen Außenseiter, der nicht so recht am Ausflippen teil haben kann und mag und lieber als Beobachter aufsaugt. "I have been to loud places to search for someone to be quiet with, to take me home", heißt es im allgegenwärtigen, mit xx-Partnerin Romy aufgenommenen Hit "Loud Places". Wenn Oliver Sim, ebenfalls The xx, im Stück "Stranger in a Room" singt: "You wanna disappear in a crowd, just a stranger in a room, want a change of colours just for the night" - dann klingt das nicht nach aufgekratztem Eskapismus, sondern nach tieftrauriger Orientierungslosigkeit, Entfremdung und dem Auseinanderdriften einer Beziehung.

Auch wenn Romy xx noch in einem weiteren Stück auf "In Colour" zu hören ist, der Nummer "Seesaw", die anhand des schlichten, schönen Bildes der Spielplatz-Wippe die Ups and Downs einer Beziehung, aber eben auch die gemeinsam erarbeitete Weiterbewegung beschwört, hat das Album meist recht wenig mit dem Sound von The xx zu tun. Sehnsucht, Schwermut, ein Fading Out sind auch hier Grundtöne, eine Dance-Platte ist "In Colour" dennoch. Wenngleich das Farbenfrohe im Titel auch in Relation zum blassschwarzen Sentiment von The xx verstanden werden muss.

Wenn Jamie xx hier seine Trademark-Steeldrums süß singen lässt, wie in den Stücken "Obvs" – co-produziert mit Homie Four Tet - oder "Sleep Sound", schwingen zwar die Brust wärmenden Bilder von Ferienclub-Atmosphäre und Exotik mit, gleichzeitig wird jedoch die Erkenntnis transportiert, dass es sich um eine künstliche, gemachte "Exotik" aus dem Katalog handelt, die gerne mit Stereotypen hantiert.

Jamie xx

Young Turks

"In Colour" von Jamie xx erscheint am 29. Mai via Young Turks/XL/Beggars Group/Indigo

So funktioniert die gesamte Platte. Eine Suppe aus Zeichen, runtergekocht auf elf schlanke Stücke, ein Album, das gerade einmal 44 Minuten dauert. "In Colour" will nicht überwältigen, abgesehen von den drei Kollaborationen mit den The xx-Kollegen - und den immer wieder auftauchenden geisterhaft verpitchten Stimm-Schnippseln - ist auf dieser weitgehend instrumental gehaltene Platte das Stück "I Know There's Gonna Be (Good Times)" die einzige echte Gesangs-Nummer: Der aus Atlanta stammende MC Young Thug und der jamaikanische Dancehall-Star Popcaan machen dem Titel dieses um eine altes Sample der Soul-Gruppe The Persuasions gestrickten Liedes all Ehre – doch auch hier werden die Party und die Good Times als vergleichsweise gedämpftes Vergnügen gestaltet, dem der morgigen Kater schon innewohnt.

Vielleicht treffen wir in diesem einem neuen Club jemanden, der uns lieben wollen wird. Wenn das Licht angeht, sind wir wieder alleine. Eine Liebe zur Liebe und zur Musik.