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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

25. 5. 2015 - 18:47

Vor Geheimdienstdämmerung in den USA

Nächsten Sonntag laufen Teile des "Patriot Act" ab. Im US-Senat herrscht Pattstellung, der libertäre Flügel der Republikaner rebelliert gegen die geplante Fortschreibung dieses Paragrafen.

Kommenden Sonntag um Mitternacht (Ortszeit) erlischt die Gültigkeit von Teilen des "US-Patriot Act", auf denen der NSA-Totalzugriff auf die Daten der Telekoms in den USA basiert. Dann tritt eine "Sonnenuntergangsklausel" in Kraft, wenn sich an der Pattstellung im US-Senat nicht noch etwas ändert. Am Sonntag soll buchstäblich in letzter Minute noch eine Einigung im Senat versucht werden. Erst vor zwei Wochen hatte ein US-Berufungsgericht diesen Totalabgriff der Telefoniedaten in den USA als illegal erkannt, seitdem ist Bewegung in die lange Zeit starren Fronten im Kongress geraten.

Vor einer Woche hatte sich das Repräsentantenhaus nach langem Hin und Her mit breiter Mehrheit auf eine schaumgebremste Version des "US Freedom Act" geeinigt. Zentrales Element der Neuregelung ist, dass der Vollzugriff der NSA auf die zentralen Leitungen der US-Telekoms durch eine Art unbegrenzter Vorratsdatenspeicherung bei den Telefoniefirmen abgelöst wird. Bis dato hatte ein einziger "Durchsuchungsbefehl" pro Anbieter im Dreimonatsrhythmus genügt, um sämtliche Metadatensätze aus allen US-Mobilfunknetzen nahe an Echtzeit abzuziehen.

Ein Sonnenuntergang, links vorne das Logo der NSA.

flickr.com, User MaxGag / U.S. Government

Geheime Interpretation von Gesetzen

Dieser "En Gros"-Zugriff ("Bulk Collection") in den USA aber wurde aus dem mittlerweile berüchtigten Paragrafen 215 des "Patriot Act" abgeleitet, der allerdings kein Wort zu Daten, sondern nur zu "persönlichen Dokumenten" enthält (siehe unten). Der Vollzugriff auf die Telefoniedaten beruht auf einer geheimen Zusatzinterpretation von "Section 215" durch das ebenfalls geheime Aufsichtstribunal, den FISA Court. Erst durch die Enthüllungen Snowdens wurde dieser Sachverhalt öffentlich.

Der "US Freedom Act" soll diesen juristisch unhaltbaren Status Quo - der eigentliche Sinngehalt des Gesetzes findet sich im Wortlaut nicht - durch eine Art unbegrenzter Vorratsdatenspeicherung bei den Telekoms selbst beenden. Die Daten werden für NSA und Co damit auch weiterhin zur Verfügung stehen, dann allerdings nicht mehr auf einer an den Haaren herbeigezogenen Geheiminterpretation eines Paragrafen ganz anderen Inhalts, sondern auf einem soliden, gesetzlichen Fundament.

Spaltung der Republikaner

Vor allem im Lager der Republikaner, die in dieser Frage tief gespalten sind, lehnt eine kleine, aber wachsende Zahl von Abgeordneten des libertären Flügels mittlerweile nicht nur die von der eigenen Partei geplante, unveränderte Fortschreibung von "Section 215", sondern auch den "USA Freedom Act" ab. Der war nach einer chaotisch verlaufenen Sitzung in der Nacht auf Samstag knapp im Senat gescheitert, mit 57 gegen 42 Stimmen wurde zwar eine Mehrheit, nicht aber das nötige Quorum von 60 Senatoren erreicht.

US Senator Rand Paul

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Senator Rand Paul kommt ebenso aus dem US-Bundesstaat Kentucky wie sein republikanischer Parteikollege McConnell, der in diesem Fall sein Widersacher ist.

Davor hatte Senator Rand Paul, Protagonist des libertären Flügels der Republikaner, mit einer zehnstündigen Dauerrede versucht, die gesamte Gesetzgebung aufzuhalten, um ein ersatzloses Auslaufen von Paragraf 215 zu erzwingen. Mehrere Versuche des republikanischen Mehrheitsführers Mitch McConnell, die bestehende Regelung erst um Wochen, dann um Tage zu verlängern, wurden in Folge abgeschmettert. Die US-Regierung hatte erstmals auch keinen ihrer üblichen Anträge zur Verlängerung des Massenabgriffs im Dreimonatstakt eingereicht. Seitens der NSA wurde daraufhin in Umlauf gesetzt, dass man sich technisch darauf vorbereite, das betreffende Programm herunterzufahren.

Wie "Section 215" praktisch funktioniert

Dies ist als rein politisches Manöver anzusehen, denn selbst bei ersatzlosem Auslaufen der "Section 215" sind mehrmonatige Übergangsfristen schon technisch unvermeidlich. Unter diesem "Zugang zu Firmendaten" wird in der Praxis bis jetzt folgendes Szenario verstanden: Die NSA ist über eigene Leitungen direkt mit den Netzen der US-Telekoms verbunden, sämtliche dort anfallenden Metadaten werden nahe an Echtzeit von dort in NSA-Rechenzentren überspielt. Juridisch brauchte es dafür nur einen einzigen Durchsuchungsantrag, dem regelmäßig stattgegeben wurde, die Befristung auf drei Monate diente nur dazu, um der US-Verfassung pro forma zu entsprechen.

Section 215 des US Patriot Act

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IN "Section 215", unter der sämtlicher Telekom- und Mobilfunkverkehr in den USA abgegriffen wird, ist von Metadaten überhaupt nicht die Rede, sondern im Gegenteil von "greifbaren Dingen", explizit genannt sind "Bücher, Schallplatten, Papiere, Dokumente und andere Gegenstände." Aus diesem Grund werde "Section 215" intern als "Bibliothekenparagraf" bezeichnet, hatte einer der ersten Kritiker des Paragrafen, Senator Patrick Leahy (D) schon 2013 betont. Diese Maßnahme, die aus dem "Foreign Intelligence Surveillance Act" (FISA) in den Patriot Act übernommen wurde, diente immer schon dazu, die Verleihhistorie etwa von wissenschaftlichen Bibliotheken auf verdächtige Spezialinteressen zu überwachen. Rand Paul hatte in seinem Redemarathon zudem mehrfach darauf hingewiesen, dass die geheim beschlosse Neuinterpretation der "greifbaren Dinge" im Gesetzestext nicht nur die Zugriffsmöglichkeiten auf "Business Records" der Telekoms biete, sondern im Grunde sämtliche Firmendatenbanken in den USA umfasse.

Metadaten als "greifbare" Dinge

Im Fall Verizon hatte ein externer Sicherheitstechniker einen Großrechner entdeckt, der Zugriff auf das gesamte Rechenzentrum hatte, aber völlig ungesichert an einer Glasfaserleitung nach außen hing. Intern hieß das die Quantico-Connection.

Nur kurz nach Inkrafttreten des Patriot Act nach 2003 war nämlich eine geheime Neuinterpretation dieses Paragrafen im ebenso geheimen FISA-Gericht beschlossen worden. Metadaten wurden da zu "greifbaren Dingen" erklärt und dann sofort damit begonnen, Daten im großen Stil aus den Datenzentren von AT&T und Verizon abzuziehen. Zwei der damals zwangsweise beteiligten zivilen Techniker gingen bereits 2005 (AT&T) und 2008 (Verizon) damit an die Öffentlichkeit. Eine ganze Serie von Klagen wurde in Folge abgewiesen und den beklagten Telekoms durch eine Gesetzesänderung in dieser Angelegenheit Immunität verliehen. Erst 2013 kam durch die Enthüllungen Edward Snowdens an den Tag, was hier über die Jahre tatsächlich gelaufen war.

James Sensenbrenner Abgeordneter zum Repräsentantenhaus

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James Sensenbrenner, republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus

Das hatte einen der beiden Autoren des US Patriot Act, den Kongressabgeordneten James Sensenbrenner (R), so in Rage gebracht, dass er ein Gerichtsverfahren gegen US-Geheimdienstkoordinator James Clapper forderte, da dieser den Kongress angelogen habe. In Folge legte Sensenbrenner die erste, weitaus schärfere Version des "USA Freedom Act" vor und scheiterte ebenso knapp, wie auch der Zusatzantrag seines Kollegen Justin Amash (R), die Finanzierung der NSA zurückzufahren, eine Mehrheit nur knapp verfehlt hatte.

NSA-Daten für die Polizei

Das Beharren der republikanischen Mehrheit auf dem Status Quo wiederum hat nur mittelbar mit der NSA zu tun, in erster Linie geht es um die Datenweitergaben an das FBI, das als operativer Arm der NSA im Inland funktioniert. Die von der NSA aus den gerasterten Mobilfunkdatensätzen gezogenen Erkenntnisse werden nämlich über das FBI an eine Unzahl von polizeilichen und anderen Behörden weitergegeben.

Bei den folgenden Prozessen hatten AT&T, Verizon und BellSouth stets betritten, Kundendaten weitergegeben zu haben. Das stimmte auch, denn die NSA holt sich die Daten ja selber ab.

Diese geheimdienstlich erlangten Informationen werden dort zu eigenen, polizeilichen Informationen erklärt, aus denen sich dann ein Anfangsverdacht ergibt, sodass Ermittlungen eingeleitet werden können. An dieser Möglichkeit, im Sinne von mehr Effizienz der Polizeiarbeit die eigenen Gesetze permanent auszuhebeln, indem die NSA-Spionage gegen die eigene Bevölkerung gerichtet wird, will die führung der Republikaner unbedingt festhalten.

Senator Mitch McConnell (R)

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US-Sonnenuntergang

Wie weit das am kommenden Sonntag gelingen wird, ist derzeit überhaupt nicht abzuschätzen. Als mithin wahrscheinlichste Variante gilt, dass die Führung der Republikaner klein beigibt und ebenfalls für den "USA Freedom Act" stimmt, um zu verhindern, dass die Sonne für "Section 215" am Sonntag engültig untergeht. Ebenso denkbar ist ein kurzfristiges Moratorium, das benützt werden soll, um beide Häuser im Kongress unter einen Hut zu kriegen. Ein Scheitern der Verhandlungen und das ersatzlose Auslaufen von 215 ist allerdings genausowenig auszuschließen, denn die zuletzt aufgekommene Dynamik und die zunehmende Erbitterung, mit denen vor allem die libertären Gegner ihren Standpunkt vertreten, waren nicht zu übersehen.

Sonnenschein in Europa

Auf die weltweite Spionage durch die NSA haben diese politischen Schachzüge in den USA keinerlei direkten Einfluss. Mit dem "En Gros"-Abgriff ("Bulk Collection") ist nämlich nicht das Abzapfen ausländischer Glasfaserkabel etwa in Europa gemeint, sondern einzig und allein der Abgriff von US-Telekomdaten in den USA. Zudem sieht auch der "USA Freedom Act" weder Eingriffe in die Präsidialorder 12333 vor, noch in die "Section 702" des "Foreign Intelligence Ѕurveillance Acts" (FISA), in dem die NSA-Auslandsspionage grundsätzlich geregelt ist. Während die Präsidialorder kein Ablaufdatum hat und - wie der Name sagt - nur vom amtierenden Präsidenten der USA selbst außer Kraft gesetzt werden könnte, steht Paragraf 702 unter einer Sonnenuntergangsklausel, die im Jahr 2017 schlagend wird.