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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

27. 5. 2015 - 17:12

Veränderungen durch den Mikrokosmos

Für Wünsche und Beschwerden, für die sich keine Behörde zuständig fühlt, steht die Tür des "Büro der Nachbarschaften" in Graz offen.

Am Mittwoch in der FM4 Homebase

Die Landtagswahl in der Steiermark am 31. Mai gilt als eine der wichtigsten Wahlen 2015. Radio FM4 schaut sich in einer Homebase-Stunde am Mittwoch, 27.05. an, was die Steiermark im Wahlkampf bewegt:

Wir besuchen einen der (gar nicht mehr so) frisch fusionierten Bezirke, klopfen die Folgen der Sparmaßnahmen im Kultur- und Sozialbereich ab und besuchen das "Büro der Nachbarschaften", eine Grazer Privatinitiative, die sich um kleine und größere Konflikte im Grätzl kümmert.

Nachbarn kann man sich nicht aussuchen. Im Grazer Viertel Gries gibt es eine Initiative, die weiterhilft, wenn Ansichten aufeinanderknallen. Oder wenn man einfach nur plaudern und ganz unverbindlich Menschen treffen will. Oder wenn man Hilfe braucht, für die sich Behörden nicht zuständig fühlen. Das Büro der Nachbarschaften ist eine Anlauf- und Schlichtungsstelle und ein angenehmer, kreativer Ort.

Am St. Andräplatz zeigt sich Graz als globalisiertes Dorf. Zugezogene junge Menschen und Studierende, MigrantInnen und alteingesessene Grazer wohnen hier. Im Vorgarten der katholischen Kirche stehen Hochbeete, die von AnrainerInnen betreut werden und das Kirchengebäude selbst ist dank Pfarrer Hermann Glettler innen und außen Experimentierraum für zeitgenössische KünstlerInnen. Christian Sprung vom Büro der Nachbarschaften kennt die Zuschreibungen von außen für das Grazer Griesviertel: Hier würden vor allem Fremde wohnen.

Seit knapp einem Jahr ist der 31-jährige Soziologe für die Menschen vor Ort da. Seit er Gunda Bachan, die das Büro der Nachbarschaften gegründet hat, für seine Masterarbeit getroffen und beim öffentlichen "Nachbarschaftsfrühstück" mitgeholfen hat, engagiert er sich für das Grätzel, in dem er auch wohnt.

Christian Sprung im Büro der Nachbarschaften in Graz

Radio FM4

Christian Sprung leitet das Büro der Nachbarschaften und wohnt selbst im Grazer Gries.

Organisieren und kommunizieren ohne große Bürokratie

Ohne nennenswerte Unterstützung öffentlicher Stellen hat Gunda Bachan das Büro der Nachbarschaften aufgebaut. Als sie schließlich auch wieder einmal Zeit für sich brauchte, übernahm Christian die Leitung.

Jetzt ist der Raum ein Stadtteilzentrum, getragen vom Verein Stadtlabor. Die Finanzierung stückelt sich aus Förderungen der Stadt Graz zusammen, 25.000 Euro sind das pro Jahr. Dabei leistet diese räumlich kleine Institution erstaunlich viel: Von akuter Hilfestellung bei Nöten und Sorgen im Alltag über das Schlichten von Reibereien zwischen den Anrainern bis hin zu gemeinsamen Tätigkeiten. Die Nachbarn helfen sich hier inzwischen gegenseitig.

Möglich machen das die vielen kleinen und stets kostenlosen Angebote, bei denen unterschiedliche Leute zusammen kommen und Vertrauen aufbauen. Der Allerleihladen ist im Büro zuhause - von der Waschmaschine bis zum Partytopfset und zum Kärcher kann man sich Dinge ausborgen, und vor der Türe steht ein "Fairteiler"-Regal, um überzählige Lebensmittel anderen zur Verfügung zu stellen. Die liebevoll eingerichteten Räumlichkeiten des Büros nützen auch andere Vereine. Es ist schwer, dem Büro gerecht zu werden, denn hier erlebt man unerwartet fast bei jedem Besuch Gespräche mit den unterschiedlichsten Menschen.

Büro der Nachbarschaften von außen

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Es geht um mehr als gute Nachbarschaft

Um die Öffnungszeiten zu erweitern und den Ort ständig nutzbar zu machen, bräuchte es eine ausreichende Finanzierung, sagt Christian Sprung. Und darüber hinaus brauche es das Engagement von Menschen, bei diversen Kleinprojekten mitzuarbeiten. Zum Beispiel, sich einfach ins Büro zu setzen und die Türe aufzusperren oder für andere einmal einen Kaffee auszugeben. Sprung wünscht sich, dass sich die Vielzahl an Kooperationen mit anderen Vereinen, Initiativen oder Unternehmen ausweitet. "Weil es die Finanzierungen nicht gibt, müssen wir so kreativ arbeiten und Überschneidungen nutzen", so Sprung.

Das Büro der Nachbarschaften ist liebevoll eingerichtet - und ein Megaphon hängt griffbereit an der Wand

Radio FM4

Kommunikation ist alles

Lange war der Grazer Bezirk Gries als "Scherbenviertel" verschrien. Lärm und Müll sind noch heute ab und an Grund für Auseinandersetzungen, doch die Konflikte haben deutlich abgenommen. Der St.-Andräplatz ist auch ein Rast- und Warteplatz für die Roma, die im VinziNest schlafen, denn tagsüber ist das Quartier nicht als Aufenthaltsort vorgesehen. Das VinziNest ist kein Obdachlosenheim. Alle, die hier nächtigen, haben eine Heimat in der Slowakei und kommen, um Hilfsarbeiten zu ergattern oder Straßenzeitungen zu verkaufen.

"Die Roma - die wiederum sehr heterogen, manche sind aus der Slowakei, andere aus Ungarn oder Rumänien - sind ein Volk, das temporär immer wieder mal hier ist. Das bringt bestimmte Lebensumstände mit. Du kommst mit einem ganz anderen Hintergrund hierher. Dinge, die zuhause selbstverständlich sind, sind hier überhaupt nicht selbstverständlich", weiß Sprung. Den Anspruch auf den doch auch wieder recht überschaubaren St.-Andräplatz wollten auch alteingesessene AnrainerInnen für sich geltend machen. Am Ende einer fünf Jahre dauernden Initiative von engagierten BürgerInnen steht nun die Renovierung des Platzes.

Der St.-Andrä-Platz in Graz

Büro der Nachbarschaften

Über das Büro der Nachbarschaften lernen sich Menschen kennen. Christian Sprung ist keiner, der Menschen mitleidig ansieht. Vielmehr checkt der Grazer Notwendigkeiten, organisiert und kommuniziert. Mit allen. Wie man miteinander umgehen muss, um selbst zufriedener zu sein, haben viele hier durch die Aktivitäten des Büros gelernt oder sich abgeschaut.