Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gebläse auf der Straße der Liebe"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

24. 5. 2015 - 13:25

Gebläse auf der Straße der Liebe

Der Song zum Sonntag: Destroyer - "Dream Lover"

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Das Saxophon hat seltsamerweise einen schlechten Ruf. Für harte Rockertypen verkörpert es Dandytum, Glam, Verweichlichung, Pop. Gut, das wirre Free-Jazz-Saxophon, das nervöse No-Wave- und Postpunk-Saxophon, das geht in Ordnung, das passt uns fein in die kaputte, schwierige, experimentelle Welt. Nicht aber das lieblich säuselnde Saxophon, das von Schwülstigkeit und Laszivität kündet und in den 80er-Jahren im Fernsehen spätnächtlichen Detektiv-Serien mit eventueller Softsexnote den "erotischen" Soundtrack lieferte.

Destroyer

Dan Bejar

Destroyer

Das zärtlich geblasene Saxophon ist vielen Symbol für Yuppie-tum, pfirsichfarbene Sakkos mit Schulterpolstern, windige Luftikusse, die am Poolrand lauern. Schade. Eine Lanze soll für die Weichheit und das Gockeltum gebrochen werden. Genau das hat der kanadische Musiker Dan Bejar mit dem letzten Album seines Projekts Destroyer getan: Auf der 2011 erschienenen Platte namens "Kaputt" war das geschmeidig flüsternde Kuschel-Pop- und Slowdance-Saxophon tragender Bestandteil.

Demnächst erscheint mit "Poison Season" das bereits zehnte Album von Destroyer, auch die Vorabsingle setzt wieder auf die Macht des Sax: Auf "Dream Lover" schmusen und umschiegen die Saxophone jedoch nicht, sie hetzen, hasten, fauchen und stolpern. "Dream Lover" ist ein Lied vom Wegrennen und erinnert so nicht bloß vom Saxophon-Einsatz her an Bruce Springsteen. Born to Run.

Vom ersten Ton an zwingt uns das Saxophon auf die Flucht. Dabei bleibt das Stück kryptisch, Refrain gibt es keinen, wohin die Reise gehen soll, ist unklar. Wieder und wieder ist von "Lovers on the Run" zu hören, wo wollen, müssen sie hin? Das romantische Bild der flüchtenden Liebenden ist eines der schönsten Motive in der Kunst. Unvernünftig, brenzlig, kurzsichtig, hoffnungsvoll, hoffnungslos, alles verklärend.

"All the signs say you're in for a surprise / All the signs are saying this way to town / All the signs are saying this way", singt Dan Bejar. Wir brechen auf und lassen uns von der Liebe und vom Leben überrumpeln. Heute glühen wir, ein Morgen gibt es nicht. "Ah shit, here comes the sun", heißt es später, "Oh, shit here comes the sun".

Der neue Tag kommt mit allen Farben, mit neuen Möglichkeiten, gleichzeitig ist er auch das erneute Hereinbrechen der Realität, nach einer guten Nacht, nach einer wie im Traum erlebten Liebe. Die Saxophone jedoch blasen weiter, werden ekstatischer, wir bleiben Lovers on the Run. Auch wenn es wild wird, und kompliziert, wir müssen hier weg, so schnell wie möglich, du und ich.