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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

23. 5. 2015 - 13:25

12 Points...

Wie der Eurovision Song Contest in Berlin wahrgenommen wird.

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Dieses Wochenende schauen wir von Berlin aus auch ein bisschen mit Wehmut nach Wien: Ist der ESC 2015 doch nah und doch so fern!

Aber man kann nicht immer dabei sein, und im Fernsehen sieht man ja alles fast besser als live vor Ort. Die Show aus Wien wird in vielen Berliner Bars und im Kreuzberger Freiluftkino am Mariannnenplatz übertragen, und auch dieses Jahr kommentiert von den berühmten Kieztransen Inge Borg und Gisela Sommer.

Inge Borg und Gisela Sommer

Christiane Rösinger

Inge Borg und Gisela Sommer

Lustig ist es, wenn man ESC-fernen Bekannten erklären muss, warum Australien dieses Jahr beim Eurovision Song Contest dabei ist. Die eh schon immer vorbildlich großzügig bemessenen europäischen Grenzen des ESC gingen ja bis Israel, Georgien, Aserbaidschan. Nun also Australien!
Es wäre doch aufregend, wenn nächstes Mal der afrikanische Kontinent mitsingen oder das ganz chinesische Volk abstimmen dürfte, auch logistisch eine große Herausforderung.

Die beiden Semifinale sind gelaufen, und es scheint, dass dieser ESC etwas pop-globalisierter und mit wenig landestypischer Folklore oder bizarren Bühnenaufbauten oder irren Accessoires daher kommt.

Keine herzigen Runzelomas in Folklore-Kostümen, keine trommelschlagenden oder flötespielenden Ureinwohner. Es werden auf der Bühne keine riesigen Aprikosenkerne beschworen, es wird kein Brot gebacken, nicht am 360 Grad-Keyboard gespielt, oder aus einem Boxhandschuh heraus gesungen, keine Live-Sandmalerei. Wo sind die zypriotischen Diskuswerferinnen? Wo ist der Roboter, der sich selbst den Oberkörper weg flext, oder das Zwitterwesen, halb Mensch, halb Klavier?

Zweites Halbfinale beim ESC

APA/GEORG HOCHMUTH

Die technischen Möglichkeiten der Computeranimation, die LED-Wände und der LED-Boden sind schuld. Wie schon in Kopenhagen letztes Jahr verlässt man sich auf die vermeintlich grandiosen visuellen Effekte, man glaubt, mit Lichtsäulen, tanzenden Strichmännchen und optischem Kitsch die passenden Gefühlswelten für die Songs zu schaffen.

Die üblichen Hochkulturzitate dürfen natürlich trotz der überfrachteten Visuals nicht fehlen. Auch 2015 ist die obligatorisch langhaarig-schulterfreie Geigerin/Cellistin mehrfach vertreten. Sportliche Hochleistungen am Trapez, das Abseilen aus der Höhe und ESC-Standards wie Flic Flacs und Salti hingegen entfallen.

Immerhin trug die slowenische Teilnehmerin riesige Kopfhörer während eine Schlangentänzerin hingebungsvoll Luftgeige spielte. Der Ausdruckstanz ist beliebt wie eh und je und wird als absurder Tanz, theatralischer Paartanz oder als bloßes Wälzen auf dem Boden aufgeführt.

Israel beim ESC

APA/GEORG HOCHMUTH

Monothematisch hingegen die Inhalte der Lieder: Es geht um die Liebe. Die neue Liebe, die junge Liebe, die verlorene Liebe, die sinnlose Liebe, die Sehnsucht nach Liebe, um Liebeskummer, um Zweifel und das Verzweifeln an der Liebe. Aber auch der Sehnsucht nach Frieden und dem Wunsch nach einer verbesserten Fassung unserer Welt wird mehrfach musikalisch Ausdruck verliehen.
Da ist es direkt erfrischend, wenn im norwegischen Beitrag ein Mord in der Kindheit und seine schwerwiegenden Folgen besungen werden oder der rumänische Sänger auf das Schicksal der rumänischen Kinder, deren Eltern im Ausland arbeiten müssen, aufmerksam macht.

Es wird spannend werden am Samstag Abend.
Spannend war wider Erwarten schon der deutsche Vorentscheid für Wien. Wie üblich war eine erschreckend belanglose Auswahl von Elektropop bis Mittelaltermucke zusammen gekommen. Andreas Kümmert, eine Art früh- verzauselter Unterfranke im argen Casual Look, also ein schwer authentischer Sänger, konnte sich mit seiner musikalisch vorhersehbaren Retro-Blues-Soulballade durchsetzen.

Just als man ihm gratulieren und als Sieger des Sängerwettstreits küren wollte, sorgte er für einen raren Bartleby-Moment im deutschen Fernsehen: "Ich möchte lieber nicht", sagte er.

Das wirkte natürlich sehr sympathisch, wenig später allerdings fragte man sich: Warum hat er dann überhaupt mitgemacht? Es war doch klar, dass der Gewinner zum ESC fahren soll!
Vielleicht ist der über-authentische Sänger durch seine vielen Casting-Show-Auftritte im Vorfeld verwirrt. Seither macht er wegen Publikumsbeschimpfungen von sich reden und will jeden, der ihn auf Facebook blöd kommt, per Anwalt verklagen.
Da ist es schon besser, dass die eigentlich Zweitplatzierte Ann Sophie nach Wien fahren durfte. Wie alle Sängerinnen mit Schauspiel- und Musicalausbildung wirkt sie ein bisschen überambitioniert und überprofessionell, es fehlt eine gewisse Lässigkeit oder gar der Pop-Appeal. Aber immerhin singt sie keine Kitschballade, sondern ein flottes Lied, und wird damit wohl auf den hinteren Plätzen landen. Aber dabei sein ist alles!

Serbien beim ESC

APA/GEORG HOCHMUTH

Gewinnen wird eh der Junge mit den goldenen Schuhen und seine israelischen Backstreetboys oder die "Woman of Weight" aus Serbien, mit ihrer rockigen Toleranzballade samt furioser Eurodisco-Steigerung. Das wäre eine würdige Nachfolgerin für Conchita Wurst: Christina Aguileras "You are beautiful" mit den Mitteln des ESC!