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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

23. 5. 2015 - 14:23

Schöne neue Welt

Das Sci-Fi-Spektakel "Tomorrowland: A World Beyond" feiert sektiererisch die Visionen von Walt Disney. Und ignoriert die Schattenseiten des Entertainment-Gurus und seines Mäuse-Imperiums.

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Kinorezensionen, Filmtipps und Interviews mit Schauspielern auf

Man mag es gegenwärtig fast nicht wahrhaben, aber: Es existierte tatsächlich einmal eine Zeit, als die Zukunft strahlend hell schien. In den 50ern und frühen 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts träumte man, motiviert von einer florierenden Nachkriegs-Ökonomie, vom Aufbruch der Menschheit ins Weltall und von künstlichen Paradiesen auf Erden.

Walt Disney, Amerikas beliebtester Märchenonkel, schwärmte von zukünftigen Städten voller futuristischer Technologie und glücklicher Bürger. Als Symbol für diese ungebrochene Fortschrittsgläubigkeit wollte der Entertainment-Guru in Florida ein Tomorrowland errichten, einen architektonischen Ausblick in die Welt von Übermorgen. Die geplante Stadt wurde zwar nie gebaut, aber bis heute gibt es gleichnamige Themenparks in den Vergnügungszentren der Walt Disney Company.

Tomorrowland-67

Walt Disney Company

New Tomorrowland 1967

Magische Einladungen in die andere Dimension

Regisseur Brad Bird greift nun die Idee von Walt Disney auf und spinnt sie weiter. Im Sci-Fi-Spektakel "Tomorrowland", das bei uns aus rechtlichen Gründen "A World Beyond" heißt, existiert die funkelnde Metropole tatsächlich. Allerdings in einer anderen Dimension. Besonders intelligente, begabte, geschickte Kinder erhalten Einladungen in die verheißungsvolle Hi-Tech-Welt, in Form einer magischen Anstecknadel.

Wie die pubertierende Casey (Britt Robertson), die mit ihrem Vater, einem desillusionierten NASA-Ingenieur, in der Nähe einer stillgelegten Raketenbasis wohnt. Der neunmalkluge Teenager will sich mit den globalen Untergangsszenarien, die durch sämtliche Medien geistern, nicht abfinden, irgendwie muss es doch möglich sein, den Lauf der Dinge positiv zu verändern.

Dieser leidenschaftliche Weltverbesserungsdrang weckt die Aufmerksamkeit eines mysteriösen kleinen Mädchens namens Athena (Raffey Cassidy), die Casey kontaktiert. Gemeinsam machen sich die Beiden auf die Suche nach dem zurückgezogenen Erfinder Frank (George Clooney), der den Schlüssel zu den Geheimnissen von Tomorrowland kennt. Allerdings sind auch finstere Geheimagenten einer unbekannten Macht den jungen Frauen auf der Spur.

Tomorrowland

Walt Disney Company

"A World Beyond: Tomorrowland"

Militante Optimismus-Manifeste

Bis hierher hört sich das alles zugegeben nach kinderkompatiblen Blockbuster und harmlosem Special-Effects-Popcornmovie an. Doch die Sache ist verzwackter. "Tomorrowland" beginnt zwar wie ein drolliger Versuch, die familienfreundlichen Spielberg-Komödienabenteuer der 80er-Jahre wiederzubeleben, Stichwort "Back To The Future". Aber irgendwann wird klar: Dieser Film hat eine Mission, eine eindeutige Botschaft.

Brad Bird hat zusammen mit Drehbuchautor Damon Lindelof ein glühendes Manifest gegen den Apokalypsetrend in der Popkultur verfasst. Aber nicht nur den Hang zur düsteren und tatsächlich sehr modisch gewordenen Dystopie kritisieren zentrale Figuren in langen Monologen. Auch warnende Stimmen in Politik und Wissenschaft, die von kommenden Kriegen und dem Klimawandel erzählen, werden in "Tomorrowland" als Schwarzmaler abgetan.

Im Gegenzug durchzieht ein fast schon militanter Optimismus den Film, der gegen Ende hin sektiererische Züge annimmt und zu einer dubiosen Philosophie von auserwählten Musterschülern als Erdenrettern mutiert. Wüsste man nicht, dass zwei vertrauenswürdige Vorzeige-Geeks diese Geschichte ausgeheckt haben, man würde einen neoliberalen Propangandastreifen vermuten oder einen Erziehungsfilm aus dem Hause Scientology.

Tomorrowland

Walt Disney Company

"A World Beyond: Tomorrowland"

Die dunkle Seite der Macht

Dabei sind es gerade die involvierten Personen und deren Credibility, die mich noch lange nach dem Kinobesuch zum Grübeln brachten. Denn kluge Köpfe wie Brad Bird, dem wir mit "The Incredibles" und "Ratatouille" zwei Meilensteine des Pixar-Animationskinos verdanken, und Damon Lindelof ("Lost", "The Leftovers") müssten doch den zentralen Widerspruch von "Tomorrowland" begreifen.

Nerds im Königreich der Mäuse:

Während "Tomorrowland"-Regisseur Brad Bird aus dem progressiven Animationsstudio Pixar kommt, hat sein Drehbuchcoautor Damon Lindelof einen TV-Background. Er gehörte zu den zentralen Köpfen der Mysteryserie "Lost", als sich deren Schöpfer J.J. Abrams in Richtung Kino verabschiedete. Ebenfalls aus dem "Lost"-Team kommt Drew Goddard, der den Meta-Horrorfilm "Cabin in the Woods" zusammen mit Joss Whedon drehte.

Brad Bird führte auf der Leinwand die Agentensaga "Mission Impossible" nach J.J. Abrams weiter, der danach die "Star Trek"-Reihe übernahm und dazu auch Damon Lindelof an Bord holte.

Joss Whedon definierte mit zwei "Avengers"-Filmen das Marvelkino. Abrams bekam von Lucasfilm den Auftrag, den "Star Wars"-Mythos neu zu definieren.

Sowohl Pixar, als auch Marvel und Lucasfilm sind heute im Besitz der Walt Disney Company, die nicht nur auf ein Riesenerbe von Animations-Meisterwerken zurückblicken kann und sich von der Prägung der Gründerfigur entfernte. Sondern heute offensichtlich auch die zentralen Innovatoren im Blockbuster-Business beschäftigt.

Ein Fall für paranoide Verschwörungstheoretiker? Oder doch nur eine ehemalige Clique von Nerdbuben, die in den meisten Fällen den Mainstream mit Qualität unterwandert?

Dass nämlich die derzeitigen und noch drohenden Hungersnöte, ökologischen Krisen und sozialen Unruhen auch eine direkte Folge des Fortschrittswahns sind, der in den seligen 50er Jahren noch glorreich gepredigt wurde. Lässt sich doch das elitäre Utopia, von dem Leitfiguren des Kapitalismus wie Walt Disney damals fabulierten, nicht ohne Ausbeutung von Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen errichten.

Die fast schon Heiligsprechung des Erfinders der Mickey Mouse in begleitenden Interviews zum Film irritiert übrigens ebenso wie der blauäugige, retrofuturistische Blick der Macher. Zieht man die nicht eindeutig verifizierbaren Vorwürfe von Antisemitismus und Rassismus ab, die Walter Elias "Walt" Disney lange verfolgten, bleibt immer noch sein Engagement als kalter Krieger und Kommunistenjäger übrig. Zumindest zu den ganz offen rechtskonservativen Fädenziehern in Hollywood zählen auch wohlgesonnene Biografen den 1966 verstorbenen Gründer des größten Unterhaltungs-Imperiums.

Walt Disney

Walt Disney Company

Walt Disney

Aber hier leben, nein danke

Walt Disney, den ich für meinen Teil in der Kindheit als charmantes Genie verklärte und der fraglos zu den wichtigsten popkulturellen Visionären zählte, setzte sich massiv für die Denunziation politisch verdächtiger Künstler ein, förderte das Spitzelwesen und kämpfte mit aller Macht gegen Andersdenkende diverser Schattierungen.

Dass jetzt ausgerechnet George Clooney, der als Regisseur mit "Good Night & Good Luck" einen beklemmenden Film über die Menschenhetze dieser Ära drehte, als Testimonial für Disneys schöne neue "World Beyond" auftritt, ist dann echt verstörend. Denn auch wenn es dem bekennenden Linksliberalen nur darum geht, den jüngsten Zusehern ein wenig Angst vor der Zukunft zu nehmen, wie er in Statements betont, kollidieren konträrste Weltbilder.

Würde man diese Ambivalenz auf der Leinwand sehen, diese Nostalgie einerseits für eine Vergangenheit, in der man sich noch beheizte Kuppelstädte imaginierte und Bewohner, die mit dem Jetpack zur Arbeit fliegen und die Skepsis andererseits über die Folgen der Technologie-Hörigkeit, wäre für meinen Teil alles gut. So aber müssen sich Clooney, Bird und Lindelof gefallen lassen, dass ihre Zusammenarbeit einen ziemlich bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

"A World Beyond: Tomorrowland"

Walt Disney Company

"A World Beyond: Tomorrowland"

Ironischerweise steht ausgerechnet ein aktueller Film aus dem vielgescholtenen Apokalypse-Genre für humanistische Aufbruchsstimmung. George Miller benutzt das martialische Milieu in "Mad Max: Fury Road" um einen Abgesang auf das Männerbündlertum und eine Verbeugung vor Feminismus und Solidarität zu inszenieren. Inklusive verwitterten Gesichtern, Dreck und Sand. Im sterilen und konformen "Tomorrowland" würden wohl sofort die Putztruppen kommen.