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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

22. 5. 2015 - 18:07

The daily Blumenau. Friday Edition, 22-05-15.

Bitte, bitte, guter Diktator, komm!

#demokratiepolitik #sportpolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

1

Dass Leute stolz auf gezielte Ignoranz sind, und auch bei gezielten (und immer akut beispielgestützten) aufklärenden Hinweisen lieber ein argumentativ gestürztes Dogma aufrecht erhalten, als sich mit anderen Perspektiven zu beschäftigen, das sehe ich wie Dirk von Lowtzow hier bei 0:18. So what. Wer nicht will und nicht schon hat, hängt sich ganz von selber ab.

Wenn also wieder einmal der Mainstream-Sport als öffentliches Versuchslabor für anderswo (wegen Desinteresse) mit kaum geführten oder (ganz gezielt) unter der Tuchent gehaltenen Debatten daherkommt, in all seiner krassen Unbedarftheit (weil ja auch die dortigen Machtplayer, auch Leute, also auch viele Doofe, davon ausgehen, dass sie in keinerlei Zusammenhang mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen stehen), dann öffnen sich die Mördergruben und es fallen unbedacht geäußerte Sätze von großer Klarheit. Sätze, Worte, Gedanken und Vorstufen zu Taten, die letztlich auch dann, wenn sich das Thema (später einmal, so lange ist es nimmer hin) in die Mitte von Allem bewegt haben wird, daherkommen werden.
So, dass es anschaulicher gar nicht geht. Und man eben jetzt schon planspielen kann. Um zu üben und sich zu wappnen.

2

Diesmal ist es die Formel I, also eine Version von Marketing- und Maschinen-Sport, die auch mir wurschter nicht sein könnte, deren regelmäßige Beobachtung sich aber aus vielerlei Gründen lohnt.

Man muss auch gar nicht viel wissen, um die aktuell aufgeflammte Debatte dort zu verstehen - auch wenn sie sich dann natürlich farbiger, plastischer und aufschlussreicher präsentiert.

Die Formel I hatte lange und gut funktioniert, nicht nur als Werbeträger für Motorenbauer und andere Investoren oder als Gelddruck-Maschine für einzelne Lizenzgeber, sondern auch als Konjunktur- und Relevanz-Spiegel der westlichen Wertgemeinschaft. Das hatte unter anderem mit dem strikten Regime dieses hermetischen Zirkus zu tun, das vom verurteilten White-Collar-Kriminellen Bernie Ecclestone in geschicktem Einvernehmen mit den Organen der Motorsport-Eliten zur allgemeinen Bestverdiener-Zufriedenheit harthändig geführt wurde.

Es hat der Formel I etwa nicht geschadet, dass man sich mitten im arabischen Frühling mit den Demo-Niederprüglern von Bahrein ins Bett gelegt hatte.
Da wird selbst die FIFA blass vor Neid - die sieht sich vergleichsweise deutlich schlimmeren Imageschäden gegenüber.

3

Nun haben mehrere Ereignisse dazu geführt, dass vor zwei Jahren die Ecclestone-Herrschaft aufgebrochen und mehr Eigenverantwortung eingeführt wurde, dass eine Strategiegruppe die Leitung übernahm. Und so wurde die Formel 1 in den letzten beiden Jahren wie jeder andere Verband, wie eine Genossenschaft geführt: gemeinsame Entscheidungen, Mehrheits-Basis etc.

In genau dieser Zeit wurde aber auch der auf vielen Fronten wahrnehmbare Niedergang der Formel I schlagend: keine Diversität, keine spannenden personalities, kein sportlicher Wert durch Wettbewerb und Konkurrenz, was alles zusammen das Interesse der Zuschauer erlahmen ließ und sich - im Verbund mit den sowieso existenten Auswirkungen der schwächelnden Konjunkturen - ökonomisch dramatisch niederschlägt.

Genau in diese Phase hinein, platzten jüngst bei einer Pressekonferenz nach einer Strategiesitzung einige Krägen. Man sei, stellte die IG der Rennstallbesitzer fest, nicht imstande sich zu einigen - die Eigeninteressen stünden dem Gemeinsamen zu stark im Weg. Und selbst der aktuelle Zirkus-Direktor Christian Horner (der demnächst Geri Halliwell heiraten wird und eigentlich so in die Schlagzeilen kommen wollte) musste eingestehen, dass in den letzten beiden (quasi demokratisch) organisierten Jahren nichts weitergegangen war. Auch weil sich die Teams nie einig sein/werden könnten; kein Wunder, wer nur aufs eigene Wohl schaut, wird eben nicht weiter kommen.

Und der Besitzer eines der kleineren Rennställe, ein Robert Fernley, spricht in diesem Zusammenhang jenen schönen Satz: "Nicht die Teams sollen die Entscheidungen treffen. Sondern sie sollten gesagt bekommen, was zu tun ist."

4

Sofort herrscht Einigkeit.
Gerhard Berger, als Strippenzieher immer mit dabei, und sowieso ein Kritiker der Strategiegruppe, ist die Formel I zu demokratisch. Und der alte Flavio Briatore will den guten kleinen Diktator zurück: Ecclestone eben, den Berger deshalb als "guten Diktator" bezeichnet, weil er "unser" Diktator war; also quasi ein per Akklamation ernannter Volkstribun. Und auch Horner stimmt zu: Ecclestone (und Jean Todt) sollen "festlegen, wie sie sich das Produkt Formel 1 vorstellen und uns dann die Anmeldeformulare zusenden." Der Renault-Chef spricht von einer "starken Führung" weniger Leute. Es gibt zu viel Diskussion und Besprechung, sagt der Toro Rosso-Teamchef. Und der immer väterlich wirkende Helmut Marko (Red Bull-Berater) bläst ins selbe Horn: die größten Erfolge habe man unter einem "absoluten Diktator" erzielt.

Und bis auf einen (Toto Wolff von Mercedes, immer schon ein Abweichler) widerspricht keiner, dessen Wort gehört wird.

5

Mir ist jetzt die expertistische Formula-One-Sicht auf die Dinge sehr egal. Wie sich diese Exegeten des Turbo-Kapitalismus intern organisieren, sei ihnen überlassen. So what.

Gesamtgesellschaftlich relevant ist aber die Tatsache, dass hier (im Kleinen, im absurden aber immer gern als pars-pro-toto funktionierenden Versuchslabor Sport) eine Debatte geführt wird, die mit der exakt selben Diktion und stark vergleichbaren Hintergründen auch auf der politischen Ebene anhebt; schon passiert (siehe Modell Ungarn) und künftig noch viel deutlicher passieren wird.

Letztlich ist hier nämlich gerade in allen Details das durchbesprochen worden, was vor einiger Zeit dem stratosphärengeschädigten Felix Baumgartner als Auswurf aus dem Mund träufelte. Und zwar allen Ernstes, in allen Facetten und so mittendrin in der Mitte der Gesellschaft wie es geht.

Bis zu einer inhaltlich komplett identen Debatte um tatsächliche Volksvertreter und dem Wunsch nach dominanter Obrigkeit und Befehlsausgabe durch den mehrheitsbestimmten guten, kleinen Diktator dauert es zivilisationshistorisch nur eine Sekunde.

6

Dass die Orbans, Putins, Erdogans und die Formel I-Bosse sich und ihre gesellschaftspolitischen (gern bewusst unüberprüften) Erkenntnisse für das Nonplusultra halten, ist nicht das Problem. Das würden sie auch tun, wenn sie die Prozente des RFS bei den ÖH-Wahlen hätten.

Wirklich gefährlich ist aber die hohe Akzeptanz, die diese Sprache und diese Denke bei jenen, die mittlerweile wirklich die Mitte der Gesellschaft darstellen, erzielt. Bei jenen, die sich nach einer scheinbar wutbürgerlichen Äußerung und dem sofortigen Rückzug ins Gegrummel für aufgeschlossen und aufgeklärt halten und verlangen, dass man sie und ihr demokratiepolitisches Nichts ernst nehmen muss. Und bei jenen, die noch passiver, noch destruktiver, noch weltverschwörerischer und noch eskapistischer unterwegs sind und bei Outsourcing von jeder Art aktiver (vulgo anstrengender) Gestaltung schnell dabei sind.

Und wenn dann auch hier bei uns, in der Mitte der Gesellschaft, die Eigeninteressen noch stärker und der Wille das Gemeinschaftliche aufrecht zu erhalten dementsprechend schwächer wird - wer soll das lässig-erfolgreiche Modell des guten Diktators (das ja eh überall, bei den Nachbarn, beim Maschinen-Sport, in den nationalistischen und feudalen Köpfen sowieso funktioniert), noch aufhalten können?