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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 5. 2015 - 20:34

The daily Blumenau. Thursday Edition, 21-05-15.

Eben, in der Song-Contest-U2. Oder: wer diffuse Ängste und vage Wutsprüche diskursuntauglicher Bürger ernst nimmt, ist bereits verloren.

#esc #demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

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"Wien ist ein Dorf", sagt der Mann, so dass es der halbe U-Bahn-Waggon hören kann. Dabei ist der ordentlich laut, er brummt vielstimmig, die freudig erregten Delegierten und Song-Contest-Fans auf dem Weg zum Public Viewing oder zum echten Halbfinal-Event sorgen für einen fröhlichen Lärm-Pegel. Die sitzenden Damen, die der Gangsteher (mittleres Alter, coole Glatze, Lederjacke, Jean, Frustfresse) mit seiner Weisheit adressiert hat, schweigen und lächeln freundlich. Er hat sie in ihrem schnattrigen Städtevergleich unterbrochen, indem er seine unbestreitbare, ungefragte Weisheit äußerte. "Wien ist ein Dorf. Das sag' ich Ihnen. Ich weiß es". Kurz sinkt der Pegel, die Damen halten einige Sekunden inne. Dann brummt es wie zuvor, die Damen schwatzen weiter. Und der Experte entdeckt einen freien Platz und setzt sich. Und nimmt die am Sitz liegende Dorfzeitung zur Hand und vertieft sich, der Dörfler.

2

Wien ist tatsächlich ein Dorf. Wie ganz Österreich. Solange sich die Einwohner mit dem Bewusstsein von irgendwoher, mit der Flamme der Wahrheit beseelt worden zu sein und sich darin genügen zu dürfen, ihr diffuses Unhagen ebenso vage zu äußern, dann womöglich auch noch als Wut- oder gar Mutbürger feiern, solange sind sie Bewohner des Dorfes der Einfalt hinter den sieben Bergen und den sieben Zwergen. Solange sie meinen, dass zu ihrer Information oder auch Erbauung die tägliche Lektüre der sitzaufliegenden Dorfzeitung genügt, kann Wien, kann Österreich nicht über den Dorfstatus hinauskommen.

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Meine aktuell wichtigste Inspirationsquelle ist das hier.

Diese Dorfbewohner entziehen sich der Ernstnahme.
Ihr Glauben an das Recht, mit der grunzenden Äußerung diffuser Ansagen nicht nur ernsthafte Diskursteilnehmer im öffentlichen Interesse zu sein, sondern auch bereits als wertvolle Inputgeber Beförderer grunddemokratischer Erweiterungen zu sein, ist ungebrochen. Das Recht auf destruktive Rülpser ist aber keinesfalls Teil irgendwelcher Menschenrechte.

Schuld daran sind sie selber, weil sie sich dieser bequemen Ordnung fügen. Aber natürlich auch jene, die es ihnen a) leicht machen und b) auch noch einreden, dass ihr Gesuder in irgendeiner Art konstruktiv oder substanziell wäre.

Das tut man (in Politik und Medien) seit Jahren mit der Phrase, dass man "die Ängste der Bevölkerung ernst nehmen" wolle. Dass dieser Spruch ursprünglich erfunden wurde, um den Populisten Wind aus den Segeln zu nehmen, und erst sukzessive so gemeint wird, tut nichts zu Sache. Damit gestehen Politik und Medien gezielt gesetzten Nicht-Äußerungen Bedeutungs-Status zu und verwässern so jeden Diskurs bis zum Geht-Nicht-Mehr.

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Wien ist ein Dorf, Österreich sowieso.
Und ich wüsste nicht, wer außer ein paar Unentwegten mit diesem Zustand wirklich unzufrieden wäre.
Der U-Bahn-Dörfler sicher nicht. Ihm hat es völlig gereicht, sein in jede Richtung interpretierbares Statement zu setzen.