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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

22. 5. 2015 - 14:32

Rocko Schamoni im Interview

Der Punkveteran und Soulmeister aus Hamburg über sein neues Album „Die Vergessenen“, woran es beim Crowdfunding krankt und warum er für das Radio eine Qualitätsquote fordert.

Lieber Rocko Schamoni, wer sind „Die Vergessenen“, denen du dein neues Album gewidmet hast?

Es sind Künstler und Musiker, deren Songs zu Unrecht von der Nachwelt vergessen wurden. Gerade hat mich eine Journalistin gefragt, ob der Titel „Die Verkannten“ nicht besser wäre. Das stimmt auch zu einem gewissen Teil, denn viele von den Künstlern, die auf der Platte gefeatured werden, haben überhaupt nie die Anerkennung gefunden, die ihnen eigentlich zugestanden wäre.

Es werden so unterschiedliche Typen wie Jeans Team, Manfred Krug oder Ton Steine Scherben gecovert. Was haben die denn gemeinsam?

Die Vergessenen teilen ein relativ hohes Textniveau, das eigenartig, sperrig und anregend ist. Musikalisch sieht man eine spezielle Art zu komponieren und zu spielen – auch, was die Präsentation betrifft. Zusammengefasst: Es ist alles, was von dem langweiligen Formatradio unserer Tage ignoriert wird.

Rocko Schamoni und L'Orchestre Mirage

Kerstin Behrendt

Du sprichst die zweite Ebene des Albums an. Wenn man den Begleittext durchliest, erkennt man schnell, dass es dir nicht nur um eine Popperle für Auskenner geht, sondern auch um handfeste Medienkritik.

Ich spreche davon, dass es in Deutschland sehr wenig Bewusstsein gibt für das Meer an Musik, das international, aber auch hierzulande produziert wird. Speziell von den gängigen Radiostationen wird nur der allerkleinste Fleck beleuchtet – das sind in der Regel etwa 150 Songs. Den Leuten, die im Auto, im Büro oder der Werkstatt Radio hören, wird gar nicht bewusst, was da weltweit noch so an interessanter und großartiger Musik produziert wird. Das wird denen glatt vorenthalten. Die Verantwortung, die die Radios und Fernsehstation haben, die auch noch gelegentlich Musikformate machen, die ist einfach nicht wahrgenommen worden. Es gibt vielleicht in ganz Deutschand drei bis vier Stationen, die breiter aufgestellt sind. Hamburg wird oft als Popstadt bezeichnet. Interessanterweise bekommen aber viele Hamburger Künstler die meisten Radiotantiemen aus Österreich.

Back To The Classics: Rocko Schamoni über seinen Hit Der Mond aus dem Jahr 1999.

Als Radiomensch werfe ich jetzt ein, was allerorten von den Opinion Leaders behauptet wird: Radio interessiert doch eh niemanden mehr.

Ja, für die selbst gilt das vielleicht und tatsächlich zieht man heute vieles aus dem Netz. Aber Radio ist im Alltag noch immer allgegenwärtig – in den Artzpraxen, im Auto und Büro. Die Masse der Hörer hat aber keine Ahnung von Nischensendern wie ByteFM, Zündfunk oder FM4.

Lass mich raten, die nächste Forderung ist die nach einer Quote?

Es bedarf tatsächlich keiner nationalen, sondern einer qualitativen Quote, um die Radiomacher zu zwingen, den Menschen diese Vielfalt zu präsentieren, ein Bewusstsein zu schaffen.

Wer soll die bestimmen?

Ich natürlich (lacht)! Nein, ein Gremium. Da müsste man sich halt Gedanken machen, wie sowas funktionieren könnte.

Welche Chancen siehst du, so etwas in Deutschland durchzusetzen?

Null komma null Prozent! Ich kann ja nur auf das Problem hinweisen, dass es so ist. Vielleicht gibt’s bei den Konzerten ein paar Leute, die sich denken: Das kenn’ ich noch gar nicht oder so habe ich das noch nicht gehört. Aber im Großen und Ganzen wird sich an der Situation nicht viel ändern. Ich finde es trotzdem gut, darüber zu reden. Es denken ja viele, dass die Mediensituation und speziell das Radio in Deutschland im Arsch ist.

Das dachtest du auch über das Musikmachen an sich – oder? Deine letzte Platte als Solokünstler, das sogenannte „Schwarze Album“, datiert aus 2006.

Ich fand den ganzen Zirkus einfach nur noch langweilig: Aufnehmen, produzieren, veröffentlichen, Tour, dann wieder komponieren, diese Rotunde ist auf Dauer ermüdend. Zum anderen war damals der Downloadfaktor schon so hoch, dass mit Platten nichts mehr zu verdienen war. Am Ende musste ich noch Geld zuschießen, damit das Ding überhaupt fertig wurde. Aber ich wollte ja von der Musik leben und sie nicht als Hobby betreiben. Das war’s dann als Solomusiker.

Wie ist es dann zu „Die Vergessenen“ gekommen?

Das ist eine komplizierte Geschichte. Ich habe im vergangenen Jahr über meinen Theateragenten eine Anfrage von den Ruhrfestspielen bekommen, einen musikalischen Abend zu gestalten. Ich habe vorgeschlagen, dass wir einen reichen und schwülstigen Abend mit vergessener deutscher Popmusik machen und das theatralisch auf die Bühne bringen. Das wurde auch umgehend bewilligt. Die Überlegung war dann: Wenn wir schon die Songs, Arrangements und das Orchester beisammen haben, können wir auch gleich eine Platte machen. Dann haben wir für diesen Zweck eine Crowdfunding-Aktion gestartet und dann sind die Ruhrfestspiele plötzlich wieder abgesprungen. Wir hatten quasi ein fertiges, aber nichtexistentes Projekt.

Wie wurde das begründet und wie ist das Album dann doch zustande gekommen?

Mir wurde nie ein Grund genannt. Für die Proben mit der Band mussten wir selbst aufkommen. Da gab es auch kein Abschlagshonorar. Das Projekt war aber schon so weit gediehen, dass wir uns schlussendlich doch für die Platte entschieden. Gott sei Dank hat das dann noch mit dem Crowdfunding geklappt. Wir haben über 42.000 Euro zusammenbekommen.

Crowdfunding wird gerne als gangbare Alternative zur Musikindustrie beschrieben. Wie sind deine Erfahrungen damit?

Es war spannend, weil wir zwei Tage vor Ablauf der Frist noch nicht einmal die Hälfte der angestrebten Summe gesammelt hatten. Aber in einem absurden Sprint haben einander die Spender dann gegenseitig überboten. Am Ende standen wir mit einem Plus von 3.000 Euro da. Damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet.

Cover - Rocko Schamoni "Die Vergessenen"

Staatsakt

Und die Umsetzung?

Crowdfunding ist eine tolle Idee für einzelne Projekte. Man sollte aber bedenken, dass man sehr viel Gegenleistung erbringen muss. Man muss Preise, die man ausgelobt hat, planen, herstellen und verschicken. Allein das Porto hat uns 3.000 Euro gekostet. Wir haben an die 150 Karten für diverse Auftritte in Theatern verlost und schon waren die nächsten Tausender futsch. Dann musst du Einzelgeschenke verpacken, T-Shirts drucken und so weiter. Ich habe Extra-Mitschnitte der Proben, Badges und Linolschnitte produziert ... (stöhnt). Das war wochenlange, unbezahlte Arbeit. Du kannst dir ja nicht einfach einen Stundenlohn aus dem Crowdfunding rausnehmen.

Also eher nix für eine Karriere?

Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich das noch einmal mache. Aber das Phänomen Crowdfunding ist ja erst am Anfang. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich in naher Zukunft so eine Struktur entwickelt, wo einem viel von dem administrativen Teil oder den Rewards abgenommen wird und sich dann jemand als Bezahlung einen gewissen Prozentsatz des Etats nimmt. Für kleine Projekte ist es aber toll und viele kalkulieren den Aufwand ohnehin mit ein. Ich hatte jedenfalls keine Ahnung, was da an Arbeit auf mich zukommt.

Deutschland ist ja nicht gerade als Popland bekannt, dennoch muss die Auswahl der zu covernden Songs verdammt schwierig gewesen sein. Wie kann man sich denn da auf 13 Stücke einigen?

Wir haben da am Anfang so eine E-Mail-Liste gehabt: Ich, Gereon Klug vom Hamburger Plattenladen Hanseplatte, unser Arrangeur Sebastian Hoffmann und Maurice Summen (Die Türen, Anm.) von meinem Label Staatsakt Records. Ich habe drei Monate lang Platten, Datenbanken und CDs durchwühlt. Dann kamen 260 Ostschlager dazu. Dann Dutzende Perlen aus dem süddeutschen Raum. Wir haben das in Mailform immer so kreisen lassen. Sebastian Hoffmann gab Tipps, welche Stücke sich gut arrangieren lassen könnten. Dann ging’s mit 30 Nummern und dem L’Orchestre Mirage in den Proberaum und dann musste ich noch herausfinden, was ich überhaupt singen kann.

Du hast zwar schon Erfahrung mit satteren Sounds, Swing, Soul und den entsprechenden Arrangements, aber wie war das für dich, mit einem Orchester zusammenarbeiten zu können?

Es ist, als ob man die ganze Zeit Geschenke bekommt, wenn man mit so guten Musikern spielt. Spur um Spur, Streicher um Streicher. Dann gesellen sich Congas dazu, dann Synths und so weiter. Vor dir wächst so ein seltsames Gebilde heran, so eine Art Homunculus, der immer größer wird. Es war wie fünf Wochen Weihnachten.

Nun neigt man an Feiertagen bekanntlich zur Völlerei. War das eine Versuchung mit dem Orchester?

Ja klar. Wir haben auf der Platte auch einen sehr starken Candyshop-Effekt. Da ist wahnsinnig viel Zuckerguss und Schmalz. Aber da ich eh irrsinnig auf Soul stehe, kann ich nie genug davon bekommen. Ich fress’ Kilo um Kilo und krieg’ nie das Kotzen.

„Die Vergessenen“ versammelt viele Epochen, Stile und Künstler deutscher Popmusik. Da sind Covers von FSK, Ton Steine Scherben, Jeans Team, Lassie Singers und vielen mehr. Als ersten Track hast du „Die Geheime Weltregierung“ von GUZ ausgekoppelt. Warum?

Ein Freund aus Hamburg hat mir den Song vorgespielt. Wir saßen mit einem Bier im Auto in Altona und hörten den Song sechs Mal hintereinander, weil er mich so angeflasht hat. Oliver, der GUZ macht und bei den Aeronauten singt, ist so ein verschrobener Punk-Rock/Indie-Held, der total viele gute Songs hat. Ich verehre ihn sehr. Dann ging es darum, ob ich das überhaupt singen kann, denn der Song hat viele verschiedene, nicht ganz einfache Parts. Da kommt das Talent von Sebastian Hoffmann, unserem Arrangeur, zum Tragen. Wir hatten uns zur Orientierung mit Filmmusik von Morricone und John Barry beschäftigt. Sebastian hatte sofort eine Idee: James Bond biegt in Richtung Philly-Sound ab. Das war's. Ab in den Probekeller!

Zwei Songs stammen aus deiner Feder. „Schmerzen“ und „Angela“. Letzterer ist wohl auf die deutsche Bundeskanzlerin gemünzt?

Der Song erzählt von Versteinerung. Es ging mir eigentlich eher um den Typus Politiker im Allgemeinen. Auf die Idee kam ich durch ein Fernsehportrait über Joschka Fischer, wo Interviews aus 15 Jahren seiner Laufbahn gezeigt wurden und du merkst, wie der mit der Zeit hinter seiner staatstragenden Figur verschwindet. Am Anfang dieser Interviewreihe erzählt er, woher er gekommen ist, was ihn so bewegt und so weiter und am Ende ist nur noch eine Gestalt da, die du aus der Öffentlichkeit kennst und die undurchschaubar geworden ist. Diese Versteinerung von Menschen in Machtpositionen interessiert mich sehr, weil ja immer die Rede ist von der Politikverdrossenheit und dass niemand mehr zur Wahl geht. Woher rührt das und warum waren Politiker früher glaubhafter als jetzt?

Warum waren sie das?

Die Politiker von heute benutzen Schablonen, nach denen sie sich richten und darstellen. Persönlichkeitsstrukturen, Fehler, überhaupt das Menschliche soll gar nicht mehr erkannt werden. Sie stellen nur noch Oberflächen dar, an denen man Meinungen festmachen kann. Angela Merkel hat einen riesen Schirm aufgespannt. Es lässt sich nicht mehr spüren, ob da noch ein Mensch ist oder bereits ein Programm. Das ist die Matrix! Die Idee von Kraftwerk ist ja alt: Lass uns Pappkamaraden aufstellen und Konzerte simulieren. Da hat die Bundeskanzlerin wohl etwas gelernt. Von Kraftwerk lernen, heißt siegen (lacht)!

Eines der schönsten Covers auf „Die Vergessenen“ ist „Früh war der Tag erwacht“ von Manfred Krug, den die Jüngeren vielleicht nur noch als den Hauptdarsteller der Serie „Liebling Kreuzberg“ kennen, der aber in der DDR ein populärer Sänger war.

Manfred Krug ist einer der wenigen, denen es Mitte der Siebziger Jahre in Deutschland gelungen ist, so eine Art Curtis-Mayfield-Sound zu schaffen. Er hat das mit dem Orchester von Günther Fischer getan (der politisch unbequeme Krug warf Fischer nach der Wende vor, ihn für die Stasi ausspioniert zu haben, Anm.). Es gab da drei Alben, die einen ganz starken Bezug zu Soul und Jazz hatten. Und ich fand das faszinierend, dass zu der Zeit, als in Westdeutschland Pop gerade heimisch wurde, ausgerechnet in der DDR jemand Soul gemacht hat. Ich habe das so um 1990 für mich entdeckt, mit den Ohren geschlackert und erst mal ein halbes Jahr nix anderes getan, als Krug zu hören. Er hat eine sehr gute Jazzstimme und ich musste wirklich lange suchen, bis ich einen Song gefunden habe, den auch ich drauf habe.

Wie bist du als Punk-Veteran eigentlich auf den Soul gekommen?

Ich hab mich 10 bis 15 Jahre mit Punk, New Wave, No Wave und so weiter auseinandergesetzt und war damit einfach durch. Reggae, Ragga und Hip Hop interessierten mich aber auch nicht brennend. Irgendwann habe ich dann alte Motown-Platten hervorgekramt und auch Curtis Mayfield und Marvin Gaye gehört. Aber richtig geöffnet hat mich Al Green. Das war so ein Moment mit 35. Ein Freund hat gesagt, dass das genau meins ist und es war tatsächlich der Schlüssel zu meinem musikalischen Herzen. Der Reichtum dieser Musik, die Emotionalisierung, die dich mit wenigen Akkorden kriegt, die Coolness und Deepness, das ist der Sound meines Lebens.