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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

20. 5. 2015 - 13:27

Das Denkmal

In Sofia ist das Monument "1300 Jahre Bulgarien" aus der kommunistischen Ära übrig geblieben und bröckelt vor sich hin.

Die Spraycans klappern in seinem Rucksack. Mitan sucht eine Farbe aus. Sein Rucksack hängt an seiner Schulter und er selbst hängt auf einer riesigen Metallkonstruktion in etwa sieben, acht Meter Höhe. Er zeichnet ein Krokodil auf die Granitblöcke. Das Krokodil hat sein Maul weit offen um das vorher dagewesene Graffiti, einen gesprayten Apfel, aufzuessen. Es ist ein Uhr nachts. Ich mache mit in den Graffitikriegen von Sofia, ich halte Ausschau, ob die Polizei kommt.

Das Denkmal 1995

CC BY-SA 2.0 Sludge G via Flickr

Das Denkmal 1995, CC BY-SA 2.0 Sludge G via Flickr

Jeder Graffitimeister sucht sich einen möglichst ungewöhnlichen Platz für sein Kunstwerk. In diesem Fall ist es das Denkmal "1300 Jahre Bulgarien" im Zentrum von Sofia. Seine drei "Türme" ragen vor dem dunklen Himmel der bulgarischen Hauptstadt auf. Wir fühlen uns wie die Protagonisten von Victor Hugo: Gavroche und seine Freunde im Bauch des Elefanten im Zentrum von Paris. Wir sind durch eine Zaunlücke zum Denkmal gekommen. In der Luft liegt ein starker Uringeruch. Auf dem Boden, neben zerfallenden Granitteilen, liegen Spritzen und Klebstofftuben. Neben den Graffitikünstlern ist das Denkmal auch Habitat für Junkies.

Das alles hat sich vor ungefähr zehn Jahren zugetragen. Damals war das Denkmal 25 Jahre alt, aber durch seine Zerstörung erschien es uns älter als die Pyramiden. Das Denkmal "1300 Jahren Bulgarien" wurde 1981 in der Rekordzeit von acht Monaten gebaut. Er sollte gleichzeitig mit dem pompösen kommunistischen Gebäude "Nationaler Palast der Kultur" fertig werden. Die beiden Gebäude waren die Krönung der Feierlichkeiten zum 1300-jährigen Bestehen des ersten bulgarischen Staates. Und der kommunistische Staat empfand sich als Krönung der Entwicklung dieses antiken Staates.

Das zerbröckelnde Denkmal 2007

CC BY 2.0 emdees via Flickr

CC BY 2.0 emdees via Flickr, Das zerbröckelnde Denkmal 2007

Vor dem Bau des Denkmals standen dort Kasernen und ein Militärdenkmal für Soldaten, die in den beiden Balkan- und im ersten Weltkrieg gefallen waren. Es war vom bulgarischen Zaren Boris III eingeweiht worden, was noch ein Grund für die Kommunisten war, es zu entfernen und ein eigenes zu bauen. Das Denkmal "1300 Jahre Bulgarien" besteht aus drei Säulen (die höchste davon 35 Meter hoch), die die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der bulgarischen Nation symbolisieren. Auf jeder waren Zitaten aus Bronze von berühmten Bulgaren zu lesen. Die meisten Bürger von Sofia mögen das Denkmal nicht. Sie nennen es spöttisch "der sechseckige Fünfschwanz". Selbst der Anführer der kommunistischen Partei, Todor Schiwkow, mochte und verstand das Denkmal nicht.

Denkmal "1300 Jahre Bulgarien" in Sofia

Mark Ahsmann - CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Mark Ahsmann - CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Nach dem Fall des Kommunismus in Bulgarien fing das Denkmal "1300 Jahren Bulgarien" langsam an, zu zerfallen. Zuerst verschwanden die bronzenen Zitate. Man sagt, dass sie geklaut und als Alteisen verkauft worden sind. Danach begannen die Granitplatten zu fallen. Das Denkmal wurde umzäunt, da der Besuch lebensgefährlich geworden war.

Jahrzehntelang streitet man schon, was mit dem Denkmal passieren soll - zerstören oder restaurieren? Für diejenigen, die die Demontage verlangen, ist das Denkmal hässlich und es passt ästhetisch nicht in die neue Epoche. Außerdem erinnert es an die verhasste kommunistische Herrschaft. Die anderen meinen, dass man über das Denkmal und über den Kommunismus denken kann, was man will, aber es ist einfach Teil der bulgarischen Geschichte, die man nicht einfach so ausradieren könne. Auf jeden Fall vermeiden es die Bürger von Sofia, das Denkmal ihren Gästen zu zeigen. Für viele ist es eine Metapher der bulgarischen Staatlichkeit der letzten 25 Jahre: falsch konstruiert und sich von selbst zerstörend.

Die neuste Idee der Stadtverwaltung von Sofia ist, das Denkmal zu demontieren und das alte Militärdenkmal wieder herzustellen. Die Erbauer von "1300 Jahre Bulgarien" kämpfen gegen diese Entscheidung vor Gericht. Die letzte Entscheidung ist, das Denkmal hinter einem 12-Meter-Zaun zu verstecken. So wird es da sein, gelichtzeitig sieht man es nicht.

Das von Mitan gezeichnete Krokodil ist mittlerweile unter vielen neuen Graffiti verborgen. Heute arbeitet Mitan als Denkmalrestaurator in Wien. Seine Hauptaufgabe ist es, Graffiti von Denkmälern verschwinden zu lassen. Falls er in Sofia gebraucht wird, steht er zur Verfügung.