Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "This is the Rhythm of the Night"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

20. 5. 2015 - 08:45

This is the Rhythm of the Night

Das erste Semifinale beim Eurovision Song Contest 2015.

Das Kreuzfahrtschiff ist angekommen. Ein Love Boat, auf dem es nicht um die Herstellung von interessanter Kunst geht, sondern um Party-Animation und die überdeutliche Übermittlung einer schönen Togetherness. Musik wird hier so gut imitiert, wie man sie eben versteht, Pop kennt man aus der Karaokebar. Man kann sich diesem Spektakel öffnen und in Wunder vor ihm stehen. Wenn man die Message von einem gemeinsamen Europa, einer gemeinsamen Welt und einer Freiheit für alle nur oft genug wiederholt, wird sie Realität werden.

Das erste Semifinale des Eurovision Song Contests gestaltete sich am Dienstagabend in der Wiener Stadthalle vergleichsweise unpeinlich und schlug teils auch hinsichtlich Inszenierung und Musik sensiblere Töne an. Vergleichsweise. Man ist sich bewusst, was man hier tut, die "ironische" Betrachtung dieser wunderbar schrulligen und seltsamen Veranstaltung ist längst schon fünfmal um die Ecke gedacht und in der Ödnis versandet.

Eduard Romanyuta

ORF.at/Dominique Hammer

Eduard Romanyuta, Moldawien

Nach dem obligatorischen Eröffnungsauftritt von Conchita Wurst – die sich auch als Zwischenmoderatorin recht souverän schlug, selbst wenn ihre Energy und Strahlkraft während der gesamten Show zu angestrengt bemüht wurden – machte die Darbietung von Moldawien dann noch einmal klar, dass wir uns hier beim Song Contest befinden: Eduard Romanyuta nahm in seinem Song so ziemlich alles mit, was die Charts anzubieten haben.

Ohne Sinn und Ziel zusammengewürfelt, R'n'B und EDM, dargeboten mit der frechen Rocker-Attitude eines Mannes, der unter einer Lederweste nichts anhat. Dazu tanzten Tänzer in Village-People-hafter Polizisten-Montur, der Song hieß: "I Want Your Love". Moldawien sollte dann am Ende den Einzug ins Finale auch nicht schaffen.

Estland

ORF.at/Dominique Hammer

Elina Born und Stig Rästa, Estland

"I Want Your Love" – so heißen die Lieder beim Song Contest natürlich auch. So gab es "One Last Breath" von Griechenland oder "A Million Voices" von Russland, beide Male dargebracht von Solo-Diva im Celine-Dion-Modus. Oder auch "Wars For Nothing" von Ungarn, fast schon rührend in seiner großäugigen Fußgängerzonengutherzigkeit, oder "Goodbye To Yesterday" von Estland.

Im Finale:

Armenien
Belgien
Griechenland
Estland
Serbien
Ungarn
Russland
Albanien
Rumänien
Georgien

Letzteres war trotz des schon gut ausgeleierten Titels ein klarer Höhepunkt. Schüchterner Singer/Songwriter-Pop, der – auch wenn es darum nicht geht, es ist alles nur Schall und Rauch – außerhalb der Seifenblase des Song Contests existieren kann. Die Gruppe Genealogy aus Armenien verhandelte in ihrem Stück "Face The Shadow" das schwierige Thema Völkermord und entkräftete alle mögliche vorhandene gute Intention durch eine grotesk theatralische Inszenierung: In Kutten bzw. Capes im Nebel stehend gaben Genealogy ihren Song als mystisch verspukten Hexen-Sabbath bzw. mit Operettenlack besprühtes Fantasy-Musical. Kate Bush weinte.

Ausgeschieden:

Niederlande
Finnland
Dänemark
Weißrussland
Moldawien
Mazedonien

Daniel Kajmakoski

ORF.at/Dominique Hammer

Daniel Kajmakoski, Mazedonien

Neben Momenten der Nachdenklichkeit und dem dominanten Mode-Thema "Cape" waren aber freilich die gemeinsame Freude und der Tanz und die Party die Motoren der Nacht: Auffallend häufig wurden der Rhythmus, die Drums in den Lyrics beschworen. "Your heart is like a beating drum", so war es im russischen Beitrag zu vernehmen, "My heart is beating like a million drums", hieß es im Beitrag von Mazedonien. Sänger Daniel Kajmakoski mühte sich da redlich an einer Justin-Timberlake-Darsteller-Darstellung, zur Glaubwürdigkeits-Steigerung durfte die in die Jahre gekommene R'n'B-Gruppe Blackstreet im Hintergrund agieren – ein unwürdiges Schauspiel.

Der belgische Beitrag kündete im Text von dem "Sound of thunder" und nennt sich auch gleich vollmundig "Rhythm Inside". Es ist der Puls der Nacht, wir müssen immer mit. Dem Interpreten Loic Nottet ist mit diesem Lied ein Favorit des Contests geglückt, elektronischer Soul, mit hochpoliertem Pop-Poststep- und HipHop-Unterbau, angelehnt an Produktionen der aktuellen Crossoverdurchstarterinnen Sia und Lorde und so auch eines der wenigen Stücke des Abends, die sich gut informiert darüber zeigen, was denn momentan so los ist in der Außenwelt.

Nina Sublatti

ORF.at/Dominique Hammer

Nina Sublatti, Georgien

Ebenfalls erfreulich: "Beauty Never Lies" von der serbischen Sängerin Bojana Stamenov; ein Lied, in dem sich Rock'n'Roll-Geknödel und Eurodisco-Wumms (überraschend rar dieses Jahr) wunderlich mischen. Nach wie vor schwer scheint es die Gitarrenmusik im Bandformat zu haben: Weder die finnischen Punks von Pertti Kurikan Nimipäivät noch die dänischen Indiepop-Beatles Anti Social Media schafften den Einzug ins Finale am Samstag.

Ein Highlight markierte den Schluss der Nacht: Die georgische Sängerin Nina Sublatti zeigte sich da in Mad-Max-Domina-Montur aus Lack und Federn einsam auf weiter Flur als Donnergöttin und Kriegerin der Liebe. In ihrem Stück "Warrior" lädt sie altbekannte Durchhalteparolen mit dem Aroma von Mystery und Sci-Fi auf. Auch ein Lied, das vom Kampf erzählt, kann eine Brücke sein.