Erstellt am: 19. 5. 2015 - 15:37 Uhr
Hot Chip - Das sinnlose Album
Was Popmusik dem afroamerikanischen Musikerbe verdankt - nämlich so ziemlich alles - wurde dieser Tage einmal mehr sichtbar und zwar via Social Media. B.B. King, der Blues-Gigant mit den Riesenhänden hat für immer seine geliebte Stromgitarre Lucille abgestellt. Kurz nach der Todesnachricht wurden die Feeds von R.I.P.s, Ehrbekundungen und schlichter Dankbarkeit für die musikalische Hinterlassenschaft regelrecht geflutet.
Steve Gullnik
"Why Make Sense", das sechste Hot Chip-Album ist bereits auf Domino Records erschienen. Eine Bonus EP gibt es auch.
Auch die englischen Dance-Nerds von Hot Chip verneigen sich auf ihrem sechsten Studioalbum vor den Appetitanregern ihrer über 15-jährigen Karriere, freilich ohne dass dabei die Nickelbrille von der Nase rutscht. Dem neuen Album "Why Make Sense" liegen mehrere Fragen zu Grunde: Zunächst wollten die Mittdreißiger herausfinden, ob sie überhaupt noch ready for the floor sind, also den gegenwärtigen Standards von Pop enstprechen. Die Antwort haben sie sich auf der ersten Single-Auskopplung Huarache Lights selbst gegeben: In metaphernreicher Anspielung auf einen Turnschuh, der nicht zufällig aus den Neuziger Jahren stammt, erkennt Sänger Alexis Taylor, dass das Feeling noch immer da ist. Sobald die Lichter der Großstadt angehen und sich die Discokugel zu drehen beginnt, stellt sich die Gewissheit ein, dass diese Welt noch immer die richtige ist, auch wenn einem beim Tanzen womöglich ein wenig das Zickerl plagt.
Über eine hoffnungsfroh pulsierende Bassline, die im Midtempo-Bereich durch den Track spaziert, erhebt sich ein zartes Mantra: "When I see the beams of those Huarache Lights, I know every single thing will be just right". Doch ohweh, darüber dräuen dunkle Wolken: "Replace us with the things that do the job better", heißt es im Text weiter. Eine Restunsicherheit bleibt, weil man doch keine 25 mehr ist und das eindeutige Leben, das gibt es bei Hot Chip einfach nicht.
Nachhaltig funky
Die zweite Frage, die geklärt werden musste, leitet sich aus dem Titel des Albums ab. Auch hier geht es um Gewissen und Gewissheit.
"Der Titel 'Why Make Sense' bezieht sich auf eine Zeile aus dem Song 'Playboy' vom ersten Album", so Joe Goddart bei unserem Interview in Berlin. "Darin geht es um einen Cruise im Peugeot durch den Londoner Vorort Putney. Yo La Tengo plärrt aus der Anlage. Aber gleichzeitig stehst du total auf den Wu Tang Clan, also auf etwas, das überhaupt nichts mit deinem weißen Mittelklasseleben zu tun hat. Wenn du dann in diese fremde Erfahrung, die ja auch eine kollektive ist, eintauchst und sie dir zunutze machst, dann ergibt das eigentlich keinen Sinn. Aber natürlich haben wir uns trotzdem für diesen Widerspruch entschieden. Und wenn man älter wird, dann akzeptiert man mehr und mehr, mit diesen Widersprüchen zu leben und dazu zu stehen. Black music ist unser Fundament"
Durch die Einsicht in die ewige Popnarretei befreit, taten Hot Chip zunächst das gar nicht mal so Naheliegende: Sie vergruben sich nicht noch tiefer in ihre zuletzt etwas belanglos geratene Nerdwelt. Sie legten vielmehr die Laptops zur Seite und buchten ein richtig großes Studio am Rande von Oxford. Der Chefmusikus Goddard hatte zwar sicher den einen oder anderen Datenstick mit dabei, doch das neue Album spielten Hot Chip zum Großteil live als Band ein.
"Wir haben dieses Mal den Sound von der Bühne ins Studio übersetzt und nicht umgekehrt. Das war eine tolle Erfahrung. Mittlerweile sind wir sieben Leute auf Tour und spielen - so glaube ich - auch ganz passabel. Es hat sich also angeboten, es einmal so zu probieren."
Joe Goddard von Hot Chip im FM4-Interview
No Daft Punks
Soweit es die Hot Chip typische Melancholie zulässt, dampft und schwitzt "Why Make Sense" dementsprechend an vielen Stellen. Die Briten klingen wie eine abgespeckte, schärfere Version ihrer selbst. Besonders deutlich hört man das in so kleinen Funkmonstern wie "Love Is The Future" (mit Gastraps von De La Souls Posdnuos) oder "Started Right", das sich den Clavinet-Keyboardsound eines frühen Stevie Wonders einverleibt. Nach Daft Punk haben also auch Hot Chip ein richtiges Musikeralbum aufgenommen.
"Bis auf die Studiosituation und eine Vorliebe für den Sound der späten Siebziger Jahre haben unsere Alben aber nicht so viel gemeinsam", so Goddard.
Recht hat er, denn während Daft Punk sich auf "Random Access Memories" damit begnügten, eine Ära stilgerecht wiederaufleben zu lassen, spielen Hot Chip einmal mehr mit der DNA der zugrunde liegenden Genres. House, Funk, Gospel, sowie Synthpop und Electro werden nachhaltig, wenn auch nicht allzu forsch ineinander verschoben. So verschwindet der Vocoder-Sound, für gewöhnlich ein Synonym für Künstlichkeit und Retrofuturismus, im herrlichen Slow-Burner "White Wine And Fried Chicken" im Hintergrund eines sanften Gospelchors.
Es sind diese soundtüftlerischen Kleinode und ein wiedererstarktes Songwriting, das Hot Chip vor dem Abgleiten in den Altherrenfunk, Luluhouse oder Weichspülersoul bewahren. Die Beams der Huarache Lights werden wohl noch einige Zeit weiterleuchten.