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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

17. 5. 2015 - 14:11

Zurück in die rasende Zukunft

"Mad Max – Fury Road" schließt mit hypermodernen Mitteln an die ungebrochene Naivität und den Wahnwitz des Actionkinos der Achtziger an.

Es passt perfekt, dass Francis Ford Coppola 1979 sein verstörendes Epos "Apocalypse Now" in die Kinos bringt. Der Film arbeitet nämlich nicht nur die düstere Ära des Vietnamkriegs auf, er bündelt in gewisser Weise auch den Zeitgeist seines Erscheinungsjahrs.

Ende der siebziger Jahre hat man sich in der westlichen Welt von humanistischen, weltverbessernden Utopien verabschiedet, Terrorismus gehört ebenso zum Alltag wie die Warnungen vor ökologischen Katastrophen oder nukleare Bedrohungen.

Das Kino regiert vielfältig auf die Apokalypse, die unaufhaltsam heranzudämmern scheint. Neben Coppolas fiebriger Vision vom Untergang zivilisatorischer Werte im kriegerischen Mündungsfeuer verpackt etwa George A. Romero den vorherrschenden Kulturpessimismus in den metaphorischen Zombieschocker "Dawn Of The Dead". Und auch in Australien destilliert ein Regisseur die Atmosphäre von Gewalt und Chaos, die beklemmend in der Luft zu liegen scheint, in einen spottbilligen Genrefilm, der zum Massenphänomen mutiert.

George Miller führt 1979 in "Mad Max" den nahenden Untergang auf die Verknappung von Treibstoff zurück. Beeinflusst von der Ölkrise der Siebziger, aber auch von den Schlagzeilen rund um gefährliche Straßengangs und deren illegale Rennen, zeigt sein Spielfilmdebüt ein Australien an der Grenze zur totalen Anarchie. Der junge Cop Max Rockatansky versucht sich mit seiner Familie auf das Land zu flüchten. Aber der Horror holt ihn ein, in Gestalt einer brutalen Rockerbande, die keine Gefangenen hinterlässt.

Mad Max

Warner

Mad Max (1979)

Road(-Warrior) To Nowhere

Wenn sich "Mad Max" hinter das Steuer seines Nitro-Polizeiwagens der Marke Interceptor klemmt und in einem gnadenlosen Rachefeldzug die Mörder von Frau und Kind jagt, schließt der Film zwar scheinbar an einschlägige Vigilantenstreifen an. Aber George Miller steigert nicht nur die Action in einem Ausmaß, dass der Film wie eine bizarre Hymne an die Destruktion wirkt.

Der Titelheld, gespielt von einem hitzköpfigen Newcomer namens Mel Gibson, steht, im Gegensatz zu vielen überlegenen Rächerfiguren, am Ende gebrochen vor dem Nichts, als Schatten seines einstigen Selbst.

1981, in einem Jahr, in dem der Postpunk die Popkultur mit dunklen Botschaften prägt, schickt George Miller seinen Protagonisten wieder auf die Straße zurück. "Mad Max 2: The Road Warrior" verschmilzt visionäre Science Fiction und epochale Action zu einem atemberaubenden Endzeitwestern. Der Ex-Officer Rockatansky, den Mel Gibson mit abgewetzter Lederjacke ikonografisch verkörpert, streift als Fremder ohne Namen, auf den Spuren von Clint Eastwood und Sergio Leone, durch ein sonnenverbranntes Niemandsland, in dem nur mehr das Recht des Rücksichtslosen herrscht.

Der einsame Wanderer wird auf der Road to Nowhere mit einem Arsenal exzentrischer Bösewichte konfrontiert, stellt sich dabei aber auch, wie es sich für einen wortkargen Antihelden gehört, auf die Seite braver Siedler. Nicht nur der Showdown, eine Orgie aus Blech, Glas und brennendem Benzin, schreibt Filmgeschichte.

Mad Max

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Mad Max 2: Road Warrior (1981)

We don’t need another hero

Wenn George Miller mit "Mad Max 2" das postapokalyptische Actionkino erfunden hat, inklusive durchgeknallter Mohawk-Punks, die irre Motorrad-Stunts vollführen, dann überzeichnet er es im finalen Teil der Original-Trilogie bis hin zum Fantasy-Kitsch. Mit einem fetten Hollywood-Budget auf maximale Zuschauerzahlen ausgerichtet, verzichtet "Mad Max Beyond Thunderdome" leider auch auf die kompromisslose Härte der Vorgängerstreifen.

Immerhin ein großartiges Setdesign bietet der Film, einige fast schon surreale Einfälle und unvergessliche Frisuren, von Mel Gibsons wucherndem VoKuHiLa bis hin zu Tina Turners martialischem Irokesenschnitt. Der Abschied von seinem Ausnahmeheroen fällt George Miller jedenfalls nicht schwer, dirigiert er doch ohnehin nur mehr die Actionsequenzen und gibt den Rest an den unbekannten George Ogilvie an.

Möglichst weit weg bewegt sich der Regisseur dann in seiner folgenden Karriere von den staubigen Gewaltszenarien der "Mad Max"-Saga. George Miller spezialisiert sich höchst erfolgreich auf tierische Charaktere wie Schweinchen Babe oder die Pinguine im animierten "Happy Feet", belanglos oder zynisch ist sein Ansatz dabei aber nie.

Ganz im Gegenteil. Mit dem unterschätzen Sequel "Babe: Pig in the City" dreht der Australier ein Schweinchenabenteuer, wie von Disney und Fellini im gemeinsamen Fieberrausch erdacht. Eine subversive Tragikomödie, die möglicherweise eine Generation von Kindern im guten Sinn traumatisiert.

Mad Max

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Mad Max: Fury Road (2015)

Comeback des ungezügelten Wahnsinns

Apropos Zynismus: In den Jahrzehnten, die seit dem Abschied von Max Rockatansky von der Leinwand vergehen, verändert sich das Spektakelkino enorm. Der herrlich naive Spirit, der in den Achtzigern noch ungezügelten Wahnwitz erlaubte, lässt sich nach dem Einzug der Postmoderne längst nicht mehr ungebrochen aufrechterhalten.

Überclever und bewusst smart kommen viele Genreabenteuer der Gegenwart daher, siehe etwa das Marvel-Comickino. Oder sie verschreiben sich, wie die „Transformers"-Blockbuster von Michael Bay, gänzlich der Technokratie und den Rechenleistungen der Maschinen.

Gleich nach der ersten Viertelstunde von „Mad Max: Fury Road" wird klar: George Miller, der nach unglaublichen 30 Jahren seinem durchgebeutelten Titelhelden ein Comeback verschafft, versucht nahtlos an die Vergangenheit anzuschließen. Auch wenn statt Mel Gibson jetzt Tom Hardy in der verdreckten Lederjacke steckt.

Die Raserei durch das postapokalyptische Wüsten-Wasteland ist zwar punkto Aufwand, Schnitt und Sounddesign mit modernsten Blockbuster-Treibstoffen aufgepimpt. Aber im Grunde donnert Miller in die Zeit vor der abgeklärten Ironie zurück, als Popvideos sich herrlichen Größenwahn erlaubten, avantgardistische Theatertruppen noch Industrial-Opern aufführten und Tattoos und Piercings statt dem Fußgängerzonen-Mainstream als stolze Insignien einer Modern-Primitives-Subkultur galten.

Mad Max

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Mad Max: Fury Road (2015)

Fliegende Körper, rasende Maschinen, Sand im Getriebe

George Miller begnügt sich aber keineswegs mit knalligem Retrofuturismus und nostalgischen Zitaten, er verdichtet seinen Mad-Max-Mythos zu einem gewalttätigen Leinwand-Poem. Oder soll man besser sagen, zu einer Mischung aus verrücktem Todestanztheater und Zerstörungsfetischismus, die sich vor Alejandro Jodorowsky und Shinya Tsukamoto ebenso verbeugt wie vor AC/DC und Slipknot.

Konventionelle Dramaturgie spielt keinerlei Rolle mehr, das Handlungsgerüst rund um den einsamen Überlebenden Max, der sich mit einer Gruppe Frauen gegen einen infernalischen Diktator verbündet, dient nur als Aufhänger. Es geht um Bewegung und Kinetik in diesem Film, um fliegende Körper, rasende Maschinen, um Schmutz in den Augen, Sand im Getriebe, um Benzingestank und Motoröl. Trotz einer gewissen Ermüdung zum Ende hin, die mit radikaler Reizüberflutung automatisch einhergeht, wirkt der zweistündige 3D-Action-Overkill aber niemals sinnentleert.

Denn Miller unterwandert, wie schon öfter in seiner Laufbahn, aufsässig die Erwartungshaltungen. Er macht den wortkargen Max zur Nebenfigur in seinem eigenen Film, stellt stattdessen die Rebellion von Imperator Furiosa (die toughe Charlize Theron) ins Zentrum, konfrontiert Machismo mit Feminismus, feiert Weiblichkeit aller Altersstufen, auch die im Hollywoodkino verpönten Falten und Furchen reifer Frauen.

Mad Max

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Mad Max: Fury Road (2015)

Es brauchte einen 70-jährigen Menschen- und Tierfreund wie George Miller, um uns dieses Blockbuster-Unikat zu bescheren, halb Théâtre de la cruauté, halb entgrenzter Spaß, ein wildes Actionmonster mit sensibler Seele und pochendem Herzen.