Erstellt am: 22. 5. 2015 - 11:02 Uhr
Revolution für alle
Der Mann, der einmal Johnny Rotten war, sitzt im Designerjäckchen und mit akkurat nach oben geföntem Blondhaar der Guardian-Reporterin Polly Toynbee gegenüber und tut das, was er am besten kann: Er mosert, motzt und mault. In diesem Fall über Russell Brand und dessen öffentliches Bekenntnis zum Nichtwählen. Im Ton des „been there – done that“ parliert John Lydon also, angefeuert von Toynbees leuchtenden Augen, darüber, dass er aus dieser „Anarchy“-Phase ja längst rausgewachsen sei, und gibt auch sonst einige wohlfeile Langweilerstatements zum Besten, die in keiner moralinsauren Politiker- und PädagogInnenrede fehlen dürfen.
Hier die Debatte im Guardian über das Buch "Revolution", eingeleitet vom Video-Interview mit John Lydon.
Man muss sich darüber nicht wundern, dass der ehemalige Bürgerschreck, der längst dem britischen Kultur- oder zumindest Adabei-Establishment angehört, Russell Brands politische Botschaft so herablassend abqualifiziert. Nicht nur, weil er offensichtlich nicht versteht – oder sich gar nicht dafür interessiert – dass Russell Brands Nichtwählen kein unpolitisches, sondern im Gegenteil ein hochpolitisches Statement ist. Vor allem, weil für Russell Brand, im Gegensatz zu John Lydon alias Johnny Rotten, die Pose als Revoluzzer eben nicht nur Pose ist. Russell Brand meint es ernst – zumindest daran lässt sein Buch "Revolution – Anleitung für eine neue Weltordnung" keinen Zweifel.
Der Clown meint es ernst
Und eigentlich hat auch sein legendärer Auftritt in Jeremy Paxmans BBC Newsnight schon keinen Zweifel gelassen, dass es dem Mann ernst ist. Der Auftritt hat Brand nicht nur zu einer bis in den Mainstream hinein diskutierten politischen Figur gemacht, er hat ihn auch dazu angeregt, dieses Buch zu schreiben. Es ist – auch im Wortsinn – Russell Brands politisches Glaubensbekenntnis, so etwas wie eine Extended Version des Paxman-Interviews. „Revolution“ wirkt wie ein längenmäßig aus dem Ruder gelaufener Blog, in dem Brand sich und seine Aussagen aus dem Interview nochmal in Ruhe und ohne störende Zwischenfragen aller Welt erklären möchte.
APA-HERBERT NEUBAUER
Als ich arm war und über Ungleichheit gesprochen habe, wurde mir vorgeworfen, ich sei verbittert. Mittlerweile bin ich reich und spreche über Ungleichheit, und jetzt heißt es, ich sei ein Heuchler. Allmählich habe ich den Eindruck, dass irgendwer einfach nicht will, dass ich über Ungleichheit rede. (Russell Brand, "Revolution")
bbc
Und hier die legendäre BBC Newsnight Sendung, in der Russell Brand seine Haltung gegenüber dem gefürchteten Moderator Jeremy Paxman verteidigt.
Russell Brand begann seine Karriere in den Neunziger Jahren als Schauspieler und Stand-up-Comedian, moderierte die britische Big Brother-Ausgabe, wurde als Moderator diverser Fernseh- und Radioshows gefeuert, bevor er Ende der Nullerjahre in Hollywood aufschlug, als Rockstar Aldous Snow in mehreren Komödien großen Applaus bekam und Disney-Pop-Supersternchen Katy Perry ehelichte. Nebenbei hatte er sich ein zweites Standbein als Junkie aufgebaut – mit Alkohol- und Heroinsucht, Sex- und Kaufrausch – dem er Anfang der Nullerjahre mit der Hilfe von Yoga und Transzendentaler Meditation schließlich entkommen war.
Seit einigen Jahren ist Russell Brand auch auf jeder zweiten Occupy-Demo zu finden, er wird zu Fernsehdiskussionen als Widerpart von Nigel Farage und anderen Reaktionären eingeladen – und er wurde von den LeserInnen des linksliberalen britischen Politikmagazins Prospect in einer Liste der einflussreichsten politischen Denker des letzten Jahres an Nummer vier gereiht – hinter Thomas Piketty, Yanis Varoufakis und Naomi Klein. Verantwortlich dafür ist wohl vor allem dieses Buch.
Einführung in den spirituellen Anarchismus
Heyne Verlag / Randomhouse
Russell Brand beschreibt darin seine Erfahrungen mit den Ungleichheiten und Ungerechtigeiten dieser Welt. Würde man, so schreibt er, die 85 reichsten Menschen dieser Welt in einen Bus setzen, so wäre in diesem Bus mehr Reichtum versammelt als außerhalb, am gesamten Rest des Planeten – eines Planeten, der, wenn nicht schnell etwas geschieht, allein schon aus ökologischen Gründen am Ende ist. Russell Brand ist alles andere als ein Wissenschaftler, aber er zitiert aus Studien, interviewt Ökonomen, Historiker und Anthropologen, stellt große Geister wie Naomi Klein, Noam Chomsky und David Graeber und ihre Ideen vor und integriert sie in seine Welt und sein politisches Credo. Revolution ist auch ein eklektisches Sammelsurium von Ideen, Sichtweisen und Interpretationen der heutigen Zeit, die Brand mit Verve vorgeträgt und zu einer konsistenten Philosophie verdichtet.
Dabei nutzt er sein im Stand-up geschultes Gespür für Timing, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Dinge zu sagen, das Komplizierte herunterzubrechen – und das Unangenehme und Unsagbare in Selbstironie und Gags zu verpacken. So wie er ein begnadeter Jesus- und Che-Guevara-Darsteller ist, ist Russell Brand ein ebenso begnadeter Demagoge, dem spürbar die Gefolgschaft seiner Arbeiterklasse mehr am Herzen liegt als der Applaus marxistisch geschulter Theoretiker aus den Universitäten.
Doch Russell Brand begnügt sich nicht mit dem Kapitalismus. Er hinterfragt auch seine Grundlage, den oberflächlichen Materialismus, die Idee, dass Besitz glücklich machen und das Streben nach materiellen Werten damit Erfüllung bedeuten kann. Hier bricht der meditationsgeschulte Yogi aus ihm heraus, der in Sex & Drugs & Rock'n'Roll ebensowenig Erfüllung gefunden hat wie im Promistatus oder an der Seite von Katy Perry in Hollywood.
Revolution durch Meditation
Dass er damit auch in die Rolle des linksradikalen Eso-Clowns schlüpfen muss, trägt er mit Würde. Russell Brands Revolution ist eine sprituelle, in der die Gier nach materieller Erfüllung durch die Liebe und die Kraft, die aus der inneren Mitte kommt, ersetzt wird. Das klingt bei ihm aber weit weniger nach Räucherstäbchen-Glückseligkeit, als es sich so verkürzt anhört, im Gegenteil. Wo bei Karl Marx Religion nur als Opium fürs Volk taugt, liest Brand sowohl Jesus als auch die fernöstlichen spirituellen Lehren als Grundlage für eine gerechte Welt und damit als Anleitung zum Aufstand. Und er argumentiert überzeugend, warum für ihn das Christentum nicht als Ausrede für reaktionäre Phobien passt: Jesus habe schließlich nicht die Schwulen aus dem Tempel gejagt, sondern die Geldwechsler, in Russell Brands Worten: die Finanzindustrie.
Russell Brand "Revolution – Anleitung für eine neue Weltordnung" ist in der Übersetzung von Kristof Hahn und Anke Kreutzer im Heyne Verlag erschienen.
Damit spricht er die auch z.B. von Michel Houellebecq und Slavoj Žižek gefühlte innere Leere des westlichen Wertesystems an, die sich durch die kapitalistischen Heilsversprechen wie Konsum, Drogen, Ruhm oder Sex nicht füllen lässt. Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe alles ausprobiert!, tönt es aus Revolution an allen Ecken und Enden.
Obwohl sich Russell Brand auch in seiner sprituellen Beseeltheit immer wieder gern selbst auf die Schippe nimmt, kann man die Absätze, aus denen der Patschuli tropft, getrost überlesen. Man hat dann immer noch eine überzeugend argumentierte, kämpferische, hochkomische Abrechnung mit Kapitalismus, Materialismus und Establishment, eine Anregung zum Denken jenseits der alltäglichen Grenzen, die uns mit den ewig gleichen Formeln (Wie soll das denn funktionieren? etc.) immer wieder aufs Neue eingehämmert werden. Unter anderem von ins Establishment aufgestiegenen Ex-Anarchisten, die sich mit ihrer Rolle als mosernde Farbtupfer in Designerklamotten begnügen.