Erstellt am: 16. 5. 2015 - 16:20 Uhr
Pantomime gegen Party-Lärm
Die Simon-Dach-Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain ist eine jener Straßen, die von den Einheimischen inzwischen gemieden wird - ähnlich verhält es sich auf der anderen Spreeseite, bei der Gegend um das Schlesische Tor.
Friedrichshain-Kreuzberg hat viele Probleme, eines davon sind die sogenannten Party-Touristen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Touristen, die sich ständig nach Sehenswürdigkeiten umschauen, dabei dumm im Weg rumstehen, oder mittels der gefürchteten Fat-Tire-Fahrradtouren die Straßen versperren, sind die Partytouristen weniger stadtgeschichtlich als alkoholisch interessiert. Sie laufen oder torkeln vor allem nachts gerne grölend in Gruppen durch die Straßen, lassen ihren Müll überall liegen, die Männer pissen entweder wo sie gehen und stehen, oder in die Hauseingänge. Es ist schlimm dort.
Manche Leute können diese schlimmen Gegenden aber nicht meiden, denn sie wohnen dort. Und das führt natürlich zu Konflikten. Der gute alte Wassereimer, der aus dem Fenster auf die marodierenden Horden gekippt wird, ist ja auf Dauer auch keine Lösung und erfüllt außerdem den Strafbestand der Körperverletzung.
Rechtzeitig keine Ausschankgenehmigungen mehr zu verteilen und der Kneipenmonokultur einer Straße entgegen zu wirken, hat die Lokalpolitik verpasst. Was tun?
Während man auf Mallorca inzwischen gegen bier – und sangriaselige Ballermänner mit Geldbußen vorgeht, will man in Berlin die Goldesel der Gastronomie nicht mit Polizeieinsätzen und Repressionen verschrecken.Touristen sind ja ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die industriearme Stadt.
Die eigens gebildete Party-Lärm- Kommission ließ verlauten, man wollte das Problem charmant, auf „Berliner Art und Weise“ lösen und tritt diesen Sommer mit einem bahnbrechenden Pilotprojekt an: Pantomimen gegen Partylärm!
Fair.Kiez
Was sich zunächst wie ein Aprilscherz anhört, wurde schon in Barcelona, Paris und Brüssel erfolgreich probiert: Pantomimische Interaktion mit lärmenden Touristen als kreatives und dialogorientiertes
Angebot.
Zuerst mussten natürlich für Berlin die passenden Mimen gefunden werden, sie sollten laut Ausschreibung: „Selbstsicher, sympathisch und homophil“ sein. In einem komplizierten mehrstufigem Casting wurden 5 ausgebildete Pantomimen mit Straßentheatererfahrung plus 7 Kommunikatoren mit umfassenden Fremdsprachenkenntnissen ausgewählt, um die saufenden Partyhorden auf sanfte, Berliner Art und Weise von einem nachhaltigen und stadtverträglichen Tourismus zu überzeugen.
Letzte Woche waren die Pantomimen zum ersten Mal, ganz in weiß mit Hüten auf den Köpfen und den unvermeidlich weiß geschminkten Gesichter unterwegs
Sie setzten sich zu den Touristen an die Tische auf den Gehwegen, packten eine kleine Diskokugel aus, die sie mit ihren Taschenlampen anstrahlten. Eine hielt ein kleines Kopfkissen ans Ohr und mimte: „Kann nicht schlafen, alles so laut“, legte dann ermahnend den Finger auf den Mund und so weiter.
Ein festgetretener Kaugummi auf der Straße bot die nächste Spielvorlage. Wie es bei Pantomimen üblich ist, wurde er erst umständlich entdeckt, dann verzerrte Gesichter, übertriebenes Gestikulieren, Grimassen, Entsetzen, stummer Ekel. Der Kaugummi wird ausgeleuchtet und untersucht... Das waren die Bilder die man im Regionalfernsehen vom ersten Einsatz der Truppe sah. „Erstaunlich positiv“ lautet das Fazit des ersten Einsatzes.
Viele der Touristen hielten die pantomimenden Ordnungshüter allerdings für Straßenkünstler, die zur Erheiterung der touristischen Massen unterwegs waren und freuten sich, dass diese gar kein Geld für ihre Performance wollten. Manche glaubten gar eine Taubstummenperformance gesehen zu haben.
Viele Menschen lassen sich ja von Pantomimen, aber auch von Feuerspuckern, traurigen und lustigen Clowns in allen Facetten, Diabolospielern, Einradfahrern und Stelzenläufer total verzaubern. Nur verhärtete Menschen, wie die Autorin, sind allergisch gegen jede Art von Hippie-Performances, sehen die Pantomime als eine Kunstform die gleichzeitig sterbenslangweilig und total nervig ist. (In dem Genre wurde seit dem unsterblichen Marcel Marceau ja einiges falsch gemacht und wenig weiter entwickelt).
Fair.Kiez
Aber der gemeine Tourist denkt anders - sonst würden ja die Pantomimen eine allergische Massenreaktion hervorrufen und die Menschen würden schreiend davonlaufen, wenn sich die weißem Mimen nähern. Das wiederum würde den Anwohnern gefallen, aber nicht den Wirten und der Stadt Berlin. Denn die Touristen sollen ja bleiben und konsumieren, nur irgendwie nachhaltiger, ohne Urinlachen, Müll und Radau.
An 15 Tagen sind die stummen, weißen Gestalten noch bis am 11. Juli auf den Berliner Straßen zu sehen. 100000 Euro kostet das Pilotprojekt, der Bezirk trägt eine Hälfte, die andere kommt aus EU-Geldern.