Erstellt am: 15. 5. 2015 - 17:23 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 15-05-15.
#mediengegenwart #userrezeption #asylpolitik #acdc #eishockeywm
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
1) Printmedien-Erwähnungs-Distinktions-Verbot hinterfragen
Ein Reflex ist nur so lange gut, solange er nicht zum Automatismus erstarrt und damit zur Parodie seiner selbst wird. Auf diese Geschichte etwa kam der per se/im luftleeren Raum/irgendwann einmal durchaus berechtigte Reflex, dass doch eh niemand mehr Print-Produkte lesen würde - obwohl der Autor (im Wissen um Fakt und Reflex) ohnehin vordringlich nicht den Lesestoff, sondern die stadtbildprägenden Schlagzeilen zum Anklass für Reflexion und Analyse genommen hatte.
Im Übrigen könnte man angesichts des Standes im Match Facebook/Google vs. europäische Verlage durchaus davon ausgehen, dass die (zu immer noch 95% primär für Print verfassten) Online-Veröffentlichungen klassischer Medien wieder an Wert gewonnen haben.
2) Aufrechnung ordentlich durchdifferenzieren
Mit der Aufrechnung ist es ganz ähnlich wie mit dem Reflex. Je dünkelhafter der mitgelieferte Gestus, desto bedenkentragender.
Der Hinweis auf das problematische Prinzip hinter der grundsätzlich oft populistischen Idee der Aufrechnung ist in vielen Debatten mittlerweile auch zur folkloristischen Keule verkümmert - hier etwa wird ein (inhaltlich durchaus wesentlicher, begründeter und formal gut herausgearbeiteter) Hinweis auf gleichartige Denkmuster in verschiedenen Kulturen als Auswurf eines bewussten Medienhaltung definiert und somit in die zache Lügenpresse-Debatte verwickelt.
Dass sich die Kritik so in den Fängen ihrer eigenen Forderungen verliert und die Notwendigkeit einer von Fall zu Fall nötigen differenzierten Herangehensweise gleich mit wegkategorisiert, ist eine Ironie der Schicksals.
Dass die (Liebe zur) Kurzgegriffenheit von Vergleichen die Medien zu beliebten und berechtigten Angriffszielen der Feinde der Aufrechnung macht, kann nicht bedeuten, dass das (ausdifferenzierte) Nebeneinanderstellen von zu Vergleichendem als beelzebübische Medienkategorie des Grauens wegdiffamiert werden darf. Schon gar nicht, wenn diese und andere Verknüpfungs-Strategien, die den Zusammenhang von scheinbar nicht Zusammenhängendem offenlegen ein großer Teil der Zukunft des Journalismus sein wird/muss.
3) Covergestaltung ernstnehmen, Gedankenspiel zulassen
Diese Vorrede, weil ich jetzt aufrechne, natürlich nicht wirklich, aber sort-of.
Und die Vorrede von davor, weil es um ein Print-Produkt geht. Das ich nicht gelesen habe, dessen öffentlich quasi aushängendes Cover aber dazu einlädt.
Die obere Schlagzeile des offen ausliegenden, von seiner Schlagzeilenhaftigkeit lebenden Print-Produkts lautet: "1.000 Asylanträge pro Woche in Österreich!"
Mitschwingen tut: Bedrohung durch Masse. 1000 pro Woche, das sind über 50.000 im Jahr, ein Wahnsinn, nicht zu bewältigen. Dazu kommen die Bilder von Zeltlagern, in denen die Unwillkommenen aufgefangen werden müssen, weil normale Unterkünfte aus den Nähten platzen. Resultat einer vom Ministerium erdachten und vom Medium eilfertig transportierten Inszenierung.
Darunter, neben einem klassischen Gitarre-in-Exstase-und-Schuluniform-peinigenden-Angus-Young steht: AC/DC sorgen für Rekord: 115.000 Fans bei Konzert in Spielberg.
Eine Gesellschaft, die kein Problem damit hat, die Flüchtlingssituation im Land mit dem Bild eines Zeltlagers einerseits zu pseudoromantisieren, andererseits damit ihre nix-zu-verschenken-Verfasstheit zu illustrieren, ist bereit für eine glatzenperückige Zelebrierung längst vergangenener Frühlings-Gefühle vier Millionen (da ist die Gastro noch gar nicht eingerechnet) hinzublättern; problemlos. Denn es sind nicht die Jungen oder die Habenichtse, die sich die greisen Australier geben, sondern die in der mittigsten Mitte angekommenen Babyboomer, die, denen's am allerallerbesten geht.
Nichts gegen Parties, auch nichts gegen das Verklären der eigenen Geschichte, schon gar nichts gegen kollektive Mythen - alles legitim.
Mein Gedankenexperiment will nur die Leichtigkeit des Aufwands vergleichen. Für das AC/DC-Spielberg-Entrittsgeld könnte die laut Eigendefinition gute Hexe ein Andre-Heller-Zelt hinstellen. Weil wir's uns (gesamtgesellschaftlich gesehen) eben durchaus leisten könnten, da Flagge zu zeigen.
Aber das würde halt Aufwand und Erklärungsarbeit bedeuten, und das steht nicht auf der politischen Agenda der Regierungsparteien (und schon gar nicht auf der der Populisten). Nur im neuen, vorgestern verabschiedeten Parteiprogramm der ÖVP, da würde das implizit schon drinstehen.
4) Langsam glaub' ich Django ist mehr als nur ein Gag
Apropos ÖVP: beim vorhin indirekt verlinkten Bericht ist etwas recht auffällig. Und zwar schon zum wiederholten Mal. Ein ideologischer Wechsel nämlich. Aber das würde den Fenstertag-Rahmen sprengen. Mehr dazu nächste Woche.
5) ... und noch ein Hockey-PS: Panarin, Artemy
Gestern ist sich, trotz Feiertags- und Kindsbespielungs-Rambazamba, einiges ausgegangen, was die aktuell laufende Eishockey-WM betrifft. Und das war günstig, denn gestern war Viertelfinal-Tag, und das bedeutet, dass nur mehr die Großen übrig sind, "unglückliche" Österreicher (die zum sechstenmal in Folge absteigen, das kann also nur Pech sein und keine strukturellen Ursachen haben...) und (vor allem von deutschen Kommentatoren) überschätze Deutsche nicht mehr dabei sind.
Großmacht Kanada hatte mit dem Überraschungsteam aus Belarus (das immerhin einen halberten Großen, die Slowakei nämlich) aus dem Bewerb drängen konnte, überraschend wenig Mühe. Die andere Halbgröße, die Schweiz (die schon allein deshalb nur fünf bis sechs Käse hoch sein kann, weil sie gegen Österreich verloren hat, zurecht noch dazu...) spielte gegen die in der Vorrunde außergewöhnlich starken USA (die mit einer besseren Uni-Auswahl angetreten waren; was wieder einigen Anlass zum Überdenken von Ausbildungssystemen gibt) eine etwas bessere Rolle, war aber auch - und wieder zurecht - ohne Chance.
Im Abendspiel der bislang sehr enttäuschenden tschechischen Gastgeber gegen die bisher recht starken Finnen, gab es dann endlich eines dieser KO-Spiele auf Augenhöhe, ein Match das immer wieder in rauschhafein endlich verbessertes Heimteam und einen Siegestreffer durch den logischen Helden des Abends, ja, auch der Turniers: Jaromir Jagr, Legende, NHL-Superstar, 43 Jahre alt, mit der Nummer 68 am Rücken als Erinnerung an seinen während der Niederschlagung des Prager Frühlings verstorbenen Opa; Jagr, der nicht mehr aufwärmt oder trainiert, sondern nur mehr spielt um keine Substanz zu verlieren; Jagr, der nicht mehr antritt oder abbremst, weil dafür die Kraft nicht reicht, sondern bei seinen Kurzzeit-Einsätzen wie ein Raubvogel kreisend übers Eis fetzt und seine Technik und Übersicht nutzt um das Spiel seines Teams zu organisieren - dieser Jaromir Jagr gewann seiner Mannschaft das Match. Und in Tschechien ist Eishockey kein Schas, sondern sportliche Staatsreligion.
Meine Entdeckung war im Match davor, im dritten Viertelfinale zu sehen, als Russland, Titelverteidiger, aber in seiner Wankelmut auch für ein schnelles Aus in der KO-Runde gut, gegen die immer und ewig gefährlichen Schweden (die im Hockey sowas wie die Italiener im Fußball sind, wohingegen die Russen am ehesten die Brasilianer wären, was wiederum die Kanadier zu den Deutschen machen würde, schiefe Metaphern ich weiß) schnell (und gerecht) 3:0 führte, sich dann aber an den Rand einer Niederlage pressen ließ.
In einem Spiel übrigens, das mich streckenweise allein wegen seiner Atemlosigkeit, der technischen und artistischen Klasse seiner Protagonisten daran hinderte das Klo jenseits der kurzen Pausen aufzusuchen.
Es war nicht der Matchwinner Evgeni Malkin, der nach einer verkackten NHL-Saison und mäßigem Auftakt bei der WM das russische Team erst in diesem Viertelfinale in Normalform brachte, sondern ein junger Kollege, den ich erstmals wahrgenommen habe: Artmey Panarin ist WM-Rookie, war 2011 U20-Weltmeister und Schütze des Entscheidungstors, aber weder weit vorne in der Scorerliste noch im All-Star-Team. Und mir ist nach dieser Erstbegegnung auch klar warum; und auch warum er mein Lieblingsspieler der nächsten Jahre werden könnte.
Panarin ist ein Eishockey-Poet, ein Tänzer, ein eigensinniger Flügel, dessen Körper selbstentrückte Moves fabriziert, wie ich sie einst von Sergej Makarov, Pekka Pamjamäki oder Zinetula Bilyaletdinov gesehen habe, einer, der noch stocktechnische Tricks auch in höchstem Tempo riskiert. Im gestrigen Spiel ging alles gut, weil Panarin alles auch zum Wohl des Teams veranstaltete, seine künstlerische Ausrichtung endzweckgerichtet war. Über kurz oder lang (er wechselt nach der WM zu den Blackhawks in die NHL) wird er aber zum Elchtest antreten müssen. Ein schlechter Coach wird ihn zurechtschleifen und zu einem guten russischen Crack formen, dessen Glanz aber nichts exklusives mehr haben wird. Ein wirklich guter Trainer wird seine Technik und seine Poetik nützen um (mit aufgepeppter Körperlichkeit und verbesserten spielstrategischen Skillz) zum nächsten Ovechkin oder Bure zu machen. Es wird ein enges Match werden.
Ovechkin lassen die Russen zu den nun anstehenden Medaillen-Spielen nachkommen. Und auch das wird spannend.