Erstellt am: 13. 5. 2015 - 22:00 Uhr
Der Löwe aus dem Beserlpark
Ari Rath ist heute Früh, am 13.1.2017 im Alter von 92 Jahren verstorben. 2015 hat ihn Elisabeth Scharang zu einem FM4 Doppelzimmer getroffen:
Ari Rath ist 90 Jahre alt. Ich erreiche ihn per Email auf dem Weg von Wien nach New York. Es ist 2 Uhr 7 Ortszeit bei ihm, als er mir antwortet. Die über dreißig Jahre, die er als politischer Berichterstatter gearbeitet hat, die prägen offenbar immer noch seinen Lebensstil, seine Rastlosigkeit und seine Neugierde auf die Welt. "Politischer Berichterstatter" – ich könnte auch "Journalist" schreiben. Aber das passt nicht zu Herrn Rath und zu der Zeit, in der er das Weltgeschehen für die Jerusalem Post zusammengefasst und kommentiert hat.
FM4 Doppelzimmer mit Ari Rath, am Donnerstag, 14. Mai 2015, von 13 bis 15 Uhr.
Clemens Fantur
Alte Menschen haben wenig Zeit, oder anders gesagt: sie gehen mit ihrer Zeit sparsam um. Und vieles dauert natürlich auch länger, die Kräfte wollen eingeteilt sein. Im hohen Alter möchte man keine Zeit mit langweiligen und dummen Menschen verschwenden, so kenne ich das von meinem Vater, der seit Jahren ein strenges Regiment über die Stunden führt, die abseits seiner Arbeit für anderes und andere übrig bleiben. Mir gefällt dieser Geiz mit der eigenen Lebenszeit; es bewirkt eine Radikalität, die von manchen als Altersstarrsinn bezeichnet wird und in der belanglose Höflichkeit keinen Platz hat.
Ari Rath trinkt schwarzen Kaffee. Das hat er sich seit den langen Nächten in der Zeitungsredaktion nicht mehr abgewöhnt. Mit diesem Beruf und dieser Zeitung war er verheiratet, sagt er. Mit ein bisschen Bedauern in der Stimme, die von verpassten Familienfreuden erzählt; aber alles geht sich nicht aus in einem Leben. Und so hatte er sich schließlich für die Zeitung entschieden. 31 Jahre lang war er bei der Jerusalem Post, einer englischsprachigen israelischen Zeitung. Die letzten 15 Jahre als Chefredakteur und Herausgeber. Er war beim ersten Zusammentreffen der deutschen und israelischen Staatsspitze nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in New York dabei, er hat in den 60iger Jahren über den Eichmann-Prozess in Israel berichtet und vertrat in seinen politischen Kommentaren stets die Zwei-Staatenlösung mit den Palästinensern. Die aktuelle Situation in Israel nach den letzten Wahlen lässt seine Stirn in tiefe Falten legen. Der geplante, weitere Ausbau der jüdischen Siedlungen in der Westbank ist nur ein Punkt, mit dem die israelische Regierung zunehmend die ganze Existenz des Staates Israel gefährden würde, kritisiert Ari Rath.
Ari Rath hat Österreich lange die kalte Schulter gezeigt. Ab dem Tag im November 1938, als er mit seinem älteren Bruder Wien verlassen und vor den Nazis fliehen musste, haben die beiden nie mehr ein deutsches Wort miteinander gesprochen. Aris Vater wurde kurz nach dem Anschluss in das KZ Dachau deportiert und konnte dort von seiner Familie freigekauft werden. Er emigriert über Kuba nach New York, wo er seine beiden Söhne viele Jahre später, nach dem Ende des Krieges, wieder sieht. Viele andere haben diese Flucht nicht geschafft, haben die Zeichen nicht früh genug gelesen oder hatten schlichtweg die finanziellen Mittel nicht aufbringen können.
Als Bub die Umgebung, in der man aufgewachsen ist, den Beserlpark, in dem man Fußball gespielt hat, die Schule, die Freunde, die Großmutter zu verlassen; auf ein Schiff zu steigen und an einem fremden Ufer an Land zu gehen - ich höre ihm zu bei diesen Erinnerungen, die so präsent scheinen. Sechzehn Jahre in der Kibbuz-Bewegung, viel harte Arbeit und dann doch ein Studium, das damals in Israel weniger galt als die beiden Hände, die zupackten und halfen, das Land aufzubauen.
Sein Leben hat Ari Rath in eigene Worte und in ein dickes, gebundenes Buch gefasst: "Ari heißt Löwe: Erinnerungen", erschienen 2012 im Paul Zsolnay Verlag. Es ist ein spannender Teil unserer eigenen Geschichte: die österreichischen Juden und Jüdinnen, die Israel aufgebaut haben und die ein Teil sind, der bei uns fehlt. Wie gut, dass einige von ihnen in den letzten zwei Jahrzehnten wieder regelmäßig zu Besuch kommen und mit uns zu tun haben wollen.