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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

13. 5. 2015 - 12:46

Die mazedonische Verschwörung

Vantsche versucht mich davon zu überzeugen, dass sein Land mitten in einer politischen Weltverschwörung steckt.

"Ihr seid schuld, Bruder! Ihr, die EU, habt es zugelassen, dass wir uns gegenseitig abschlachten!" Zum ersten Mal bezeichnet mich jemand so eindeutig als einen EU-Bürger. Das ist mein Freund Vantsche aus Mazedonien, mit dem ich manchmal Basketball spiele. In einer Spielpause sprechen wir über die Kämpfe im mazedonischen Städtchen Kumanovo, wo um die 30 Menschen gestorben sind, ein Drittel davon Polizisten. Die anderen wurden von den mazedonischen Behörden als "Terroristen" bezeichnet. Auf den Bildern aus dem Stadtteil, wo die Kämpfe stattfanden, sehen die Straßen wie nach dem Armageddon aus. Die Einheimischen, hauptsächlich ethnische Albaner, sagen, dass sie von keiner Terrorgruppe in Kumanovo Bescheid gewusst haben. Vantsche aber weiß alles ...

Er ist ein seltsamer Kerl: Einerseits ist er ein militanter mazedonischer Nationalist und erzählt gerne und eifrig, wie die Wurzeln der Mazedonier bis in die Antike reichen. Andererseits hat er "bulgarische Papiere". Um einen bulgarischen Pass zu bekommen, muss man aber seine bulgarische Abstammung nachweisen. Um also Bürger der verhassten EU zu werden, hat er "auf Papier" seine heilige mazedonische Herkunft verleugnet und sich als Bulgare gemeldet. In diesem Moment aber bin ich ein "Europäer" und er ist ein Mazedonier. Ich versuche, die Verantwortung für die Kämpfe in Kumanovo von mir zu weisen. Es stimmt, dass ich einen Ururopa habe, der im heutigen Mazedonien geboren wurde, aber das ist nicht Grund genug für mich, damit ich mit einem Gewehr in der Hand helfe, die Lage dort zu destabilisieren.

Die Staatsflagge Mazedoniens

Gemeinfrei

Vantsche aber hat seinen Sinn für Humor verloren. Er versucht mich davon zu überzeugen, dass sein Land mitten in einer politischen Weltverschwörung steckt. Einerseits hätten die Amerikaner Serbien angegriffen, um die Abspaltung des Kosovo zu provozieren. "Alles war wegen, wie hieß sie noch mal, ... Monica Lewinsky!" , ist sich Vantsche sicher. Danach beschreibt er unübersetzbar die ehemalige Praktikantin im Weißen Haus. "Wegen einmal Blasen haben sie dieses Land kreiert!"

Vantsche glaubt, wie viele andere, dass die NATO Serbien 1998 bombardiert hat, um die Aufmerksamkeit der Amerikaner von Clintons Sexskandal abzulenken. Vantsche ist sich sicher, dass der Kosovo kein Existenzrecht hat und dass seine Bevölkerung nur aus Drogen- und Organhändlern besteht. Ich versuche zu erwähnen, dass der mazedonische Staat auch mehr oder weniger künstlich entstanden ist, durch eine Entscheidung Stalins vor 70 Jahren, aber das wird von Vantsche überhört. Laut ihm sind die anderen Beteiligten in der Verschwörung gegen Mazedonien die Russen, die ihre "Turkish Stream"-Pipeline durch die Türkei, Griechenland und Mazedonien bauen wollen und somit Bulgarien und Rumänien umkreisen. An der Verschwörung sind auch die "Europäer" beteiligt, die die politische Lage in Mazedonien destabilisieren, um den Russen zu zeigen, dass es dort zu unsicher für eine Pipeline ist. Ich sage ihm, dass mir das alles zu kompliziert scheint, aber er lacht nur über meine Naivität. "Gott sieht alles und irgendwann gibt es Vergeltung! Schau dir die Griechen an, die uns daran hindern, der EU und der NATO beizutreten! Wie mies es denen jetzt geht!" Trotz seines jungen Alters, spricht Vantsche wie ein biblischer Prophet.

Am Ende spreche ich wieder seine Theorie an, dass der Kosovokrieg nur zur Ablenkung der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Kommt es ihm nicht komisch vor, dass diese "antiterroristische Operation" genau in einem Moment stattfindet, als es im Land große Demos gegen die Regierung gibt? Vantsche holt tief Luft. "In Mazedonien, Bruder, ist die Politik wie eine Sanduhr. Egal, wer oben ist, er rieselt irgendwann unausweichlich nach unten." Damit bin ich einverstanden. Es gibt nichts Zerbrechlicheres als den ethnischen Frieden. Nicht nur für Mazedonien. Auch in Bulgarien. Oder in Österreich.