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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

12. 5. 2015 - 15:54

Was hat die Wurst gebracht?

Über den Conchita-Effekt ein Jahr nach dem Sieg.

Conchita Wurst performt "Rise like a Phoenix" am Songcontest vor einem Jahr - mir wie Millionen anderen zieht es Gänsehaut auf. 13 mal "12 Points for Austria" beim Voting - ja ich gebe zu, ich gehöre zu denen, die sich die Punktevergabe auch heute noch gelegentlich anschauen.

Was bleibt vom Conchita-Hype?

Dienstag Abend in FM4 Auf Laut ab 21 Uhr und nachher für 7 Tage zum Anhören.

Eine Sängerin mit Bart, die Kunstfigur von Tom Neuwirth, gewinnt den Songcontest. "Ich glaube, Europa hat sich in jener Nacht ein Stück in Conchita verliebt", sagt meine Chefin. Conchita wird schnell zu einem Symbol, nicht bloß für Toleranz, sondern für Akzeptanz und Respekt. Spätestens bei der Pressekonferenz am Tag nach dem Sieg am Flughafen in Wien Schwechat wird klar: Sie hat eine Message, sie spricht eloquent, liebevoll, charmant, mit viel Humor, aber doch bestimmt über Menschenrechte. "Es war nicht nur ein Sieg für mich, sondern für alle Menschen, die an eine Zukunft glauben, die ohne Diskriminierung funktioniert. Das war länderübergreifend und hatte nichts mit Ost und West zu tun."

FM4 Auf Laut
    Conchita Wurst und Ban Ki Mun

    APA/ROLAND SCHLAGER

    Conchita Wurst mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon

    Bald darauf kritisiert sie in einem Ö1 Mittagsjournal die fehlende rechtliche Gleichstellung Homosexueller in Österreich: "Ich frage mich, warum die Gleichberechtigung noch nicht stattgefunden hat und was denn da so lange dauern kann." Monatelanger Jubel kommt auf um den neuen Star, Hasspostings wie vor dem ESC-Sieg, wie lächerlich sie für das Land sei, werden weniger. Wurst wird durch den Sieg im Mainstream populär. "Ich weiß natürlich, dass sich jetzt viele die gespielte Toleranz ans Revers heften. Aber das nehm ich fürs Erste auch. Wenn viele sich jetzt gezwungen sehen, nach außen tolerant zu sein, es aber gar nicht so meinen, ist es für mich nicht das beste Endergebnis, aber ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ohne Sieg hätte ich nicht soviele Schulterklopfer".

    Der Conchita-Effekt

    Conchita wurde zum Thema im Alltag. Kleine Kinder fragen ihre Eltern, ob das nun eine Frau oder ein Mann ist. Eine Situation in einem Amsterdamer Altersheim, wie ein Pfleger von dort erzählt, macht den Conchita-Effekt deutlich: Eine Frau findet Conchitas Performance beim Songcontest fantastisch und kommt ins Streiten mit anderen Heimbewohnerinnen, die die ESC-Performance daneben finden. Bis die Befürworterin argumentiert, dass es doch darum gehe, dass jede/r von uns das Recht habe, man selbst zu sein, so auszusehen und sich so zu geben, wie man das gerne möchte. Darauf konnten sich dann alle im Altersheim einigen.

    Die Wurst setzt ein bis heute wirkendes Zeichen für die Akzeptanz der Vielfalt von Identitäten und auch dem Spiel damit. Sie trifft UN Generalsekretär Ban Ki Moon, singt vor dem europäischen Parlament, tritt in der halben Welt auf. Sie verbreitet gleichzeitig ein neues, frischeres Bild von Österreich. Das Land ist nicht über Nacht derart liberal geworden, aber Conchita Wurst repräsentiert einen beträchtlichen Teil der Gesellschaft. In einer der letzten Ausgaben der TV-Show "Wetten dass..." trifft sie auf eine Popfigur, die die gegenteilige Haltung aus Österreich repräsentiert - Andreas Gabalier, der sich weigert, die aktuelle Version der Bundeshymne zu singen. Beide polarisieren und das führt zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Und Conchita Wurst stärkt das Gegengewicht, die Alternative zu einer Anschauung wie der des selbsternannten Volksrocknrollers.

    Ampel

    APA/ROLAND SCHLAGER

    In Wien haben 49 Ampeln zur Zeit um den Songcontest homo- und heterosexuelle Paare als Ampelfiguren. Eine sympathische Aktion, um verschiedene sexuelle Orientierungen sichtbar zu machen. Und nebenbei Futter für die angereisten Journalisten, die gerade in der Stadt auf der Suche nach Geschichten sind (hier, hier und hier zum Beispiel).

    Too much Conchita?

    Phasenweise scheint Conchita omnipräsent. Als sie dann auch noch Werbung für eine Bank macht, wird es einigen zu viel. BankkundInnen posten ihre Entrüstung, so eine Figur führe zum Imageverlust des Unternehmens. Die erste Sujetserie der Kampagne verschwand dann auch auffallend schnell aus den Schaufenstern.

    Und jetzt, kurz vor dem Songcontest, ist Conchita wieder beinahe überall, zumindest in Wien. Sie posiert als goldene Adele von Gustav Klimt auf den Lifeball-Plakaten, in den Wiener Öffis macht sie Durchsagen. In der Maiausgabe des Mickey-Maus-Comicmagazins kommt Conchita Duck vor. Amnesty International startet die Kampagne #RespectDiversity über die Rechte von LGBTI-Personen anlässlich Conchita Wursts Sieg und der ESC-Austragung in Wien.

    In FM4 Auf Laut diskutierten wir über die gesellschaftlichen Auswirkungen aufgrund von Conchitas öffentlicher Präsenz seit einem Jahr.

    FM4 Auf Laut: Was bleibt vom Conchita-Hype?

    In FM4 Auf Laut wurde am Dienstag (12.5.) von 21 bis 22 Uhr diskutiert: Haben Conchitas Sieg und ihr Auftreten gesellschaftliche Vorstellungen entstaubt? Welche Diskussionen hat sie in einem Land angeregt, in dem viele keine Töchter in der Bundeshymne singen wollen? Inwieweit ist Conchita Wurst eine Werbemarke geworden, gefährdet durch medialen Overkill?

    Wie stehst du dazu? Nervt dich Conchitas Allgegenwart? Oder macht sie dir Mut, dein Leben so zu leben, wie du es willst?