Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Monday Edition, 11-05-15."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

11. 5. 2015 - 18:12

The daily Blumenau. Monday Edition, 11-05-15.

Fernsehnachrichten sind sinnlos.

#medien #nachrichtenwert

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Okay, das ist ein Provokationstitel, der eigentlich so lauten müsste: "So, wie einige TV-Nachrichtensendungen (vor allem private, populistisch agierende aber auch klassische, verlautbarende und verkürzende) derzeit noch vorgehen, werden sie nicht weitermachen können."

Versuchsanordnung, unfreiwillig: weitgehend medienfreies Wochenende, kein Handy-Gedrücke, keine aktuellen Nachrichten bis zur sonntäglichen Heimkunft, dann Zufallslandung bei einer klassischen, deutschen Nachrichtensendung. Es könnte aber auch fast jedes andere ähnlich geartete Programm sein.

Erstes Objekt: die polnischen Präsidentschaftswahlen. Die Infos, die ich aus dem Kurzbeitrag bekommen habe: der rechtskonservative Kandidat (ein Parteigänger der Kaczynski-Brüder mit Namen Duda - leicht zu merken) hat überraschend den Amtsinhaber (Komorowski, der war irgendwo abgespeichert) abgehängt. In Prozent, das erklärt die bei den aus dem polnischen TV übernommenen Bildern mitlaufende Infografik, ist das Rennen in etwa 38 zu 32 ausgegangen. Jetzt müssen die beiden in eine Stichwahl. Dazu ein paar Zitate und die übliche Wahltags-Folklore.

Ich habe also zwei Namen und ein Standbild bekommen; und eine kleine Kontextualiserung, weil man die Kaczynski-Zwillinge kennt/kannte und mit ihnen eine Haltung verbindet. Sonst nichts.

Reicht das aus? Erfüllt das die Mindeststandards?
In einem herkömmlichen, kontext- und assoziationsfreien medialen Raum durchaus, also dem im Zustand des 20. Jahrhunderts, als die Nachrichten staatstragend verlesen wurden und deren tatsächliche Bedeutung nur einer Bildungselite klar war und das auch erst in den vertiefenden, später folgenden Radioprogrammen und meist erst überhaupt Tags darauf, in den entsprechenden aufklärerischen Zeitungen oder im schlimmeren Fall erst Tage später in Magazinen bekanntgemacht wurde.
Im aktuellen alles-mit-allem-verbindenden digitalen Medienzeitalter ist dieser alte Standard nur mehr eine Parodie, letztlich eine Verhöhnung der Userschaft.

Um mich mit mehr als nur mit der Schlagzeile zu versorgen, bräuchte ich nämlich die Informationen, die mir helfen, das tatsächlich wichtige Ereignis, das dieser politischen Vorstufe zu einer Entscheidung folgen wird, zu verstehen, der Stichwahl nämlich, die in zwei Wochen folgen wird.

Dazu brauche ich letztlich nur eine Info: Wer ist der Drittplatzierte, der 20 Prozent bekommen hat (der Rest der Kandidaten hatte nämlich, das ließ der Grafikbalken, auf den man sich konzentrieren konnte, während die folkloristischen Stehsätze abgesondert wurden, erkennen, allesamt vier Prozent und weniger). Je nachdem, wie man den einordnen kann, dorthin wird das Pendel wohl ausschlagen, konservativ oder liberal. Ohne diese Information fehlt die Basis für die Einordnung völlig.

TV-Nachrichten, wie sie aktuell in den Köpfen ihrer Macher verankert sind, sparen aber genau diesen einen weiterführenden Satz zugunsten offiziellen Blablas aus. Regelmäßig und gewerbsmäßig. Als ob es ein Handbuch dafür geben würde.

Um die Wissenslücke aufzulösen: dritter wurde ein ehemaliger Rockstar namens Pawel Kukiz, eine schillernde, irrlichternde Figur, der nach liberalen Anfängen mittlerweile zu einem rechtspopulistischen Zerrbild mutierte, so eine Art Düringer-meets-Gaballier-Figur. Ein auch hochinteressantes europäisches Phänomen also. Und 20 Prozent sind kein Lercherlschas.

Letztlich wäre die angerissene Ausleuchtung dieses Phänomens die eigentliche Nachricht aus Polen gewesen.

Nur zur Ehrenrettung der TV-Nachrichten - auch in seriösen Print-Artikeln, die Kuzik erwähnen, erfahre ich nichts über seine Ausrichtung - das ist ebenso wertloser Journalismus.

PS: die Wahlbeteilung lag bei 48,8%; dazu kommen wir noch.

Zweites Objekt: die Ansprache des türkischen Allmachtsträgers Erdogan in Karlsruhe. Zugegeben, die Meldung war nur im News-Überblick - sie blieb aber trotzdem in der flachen Vermeldung der Tatsache der Rede und der Erwähnung von Pro- und Gegendemo hängen. Schade um jede Sekunde. Und: ein Rückfall in die 50er und 60er Jahre, in die Zeiten der Verlautbarungs-Medien.

Vor allem war dann, in einer anderen, interessanterweise österreichischen Nachrichtensendung in einer ebenso kurzen Meldung zumindest eine inhaltliche Schlagzeile. Und zwar das Zitat, dass er die Auslandstürken als unsere Macht außerhalb des Landes sehe. Angriffige Rhetorik also, eine klassische Positionierung angesichts der türkischen Parlamentswahlen im Juni, für die Auslandstürken schon ab jetzt ihre Stimme abgeben können. Und deutlich wichtiger als die Bekanntgabe der Tatsache der Rede.

Im übrigen fehlten diese beiden Fakten (Wahl, Auslands-Stimmabgabe) im News-Bericht. Die inhaltliche Headline und die kontextgebende Info hätte genausoviel Text gebraucht wie die Verlautbarung der Veranstaltung und der Erwähnung der beiden Demos - aber deutlich mehr Nutzen und Sinn gebracht.

Drittes Objekt: die Wahl zur Bremer Bürgerschaft. Die war in den deutschen TV-Nachrichten natürlich durchaus umfangreich in Bild und Ton zu sehen und zu hören - bloß wurde die zentrale Information in erstaunlich geringem Maß erläutert. Nicht die geringe Wahlbeteiligung (für die es keine verlässlichen Zahlen gab, die aber - im Gegensatz zur auch ganz schwachen aber ungemeldeten Wahlbeteiligung in Polen - Anlass zu großer, fast schon Klestil'scher Sorge war) sondern der knappe Mandatsstand von 42 zu erwartenden Sitzen für die rotgrüne Regierung. Ich kann mir vorstellen, dass es selbst in Bremen selber Menschen gibt, die die Anzahl der Bürgerschaftssitze nicht parat haben - außerhalb Bremens werden die Wissenden im ganz schmalen Promille-Bereich sein: trotzdem wurde das nie erwähnt. Erst nach mühsamen Teletext-Geknipse konnte ich's mir zusammenrechnen. Und gleichzeitig Gewissheit darüber erlangen, welche andere Koalition sich überhaupt ausgehen würde; eine ohne SPD jedenfalls nicht.

Worauf ich hinaus will: in einer TV-Nachrichtenlandschaft, die es nicht und nicht schafft, deutlich zu machen, dass eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene auch eine schöne Mehrheit hätte und durchaus gegen die CDU/CSU regieren könnte, sondern die Unabwendbarkeit der GroKo betont, hat den Sinn der wertfreien Graphik nicht kapiert. Und wenn ich von einer solchen Nachrichtensendung keine Grafik (von mir aus auch nur erzählt) bekomme, kann ich der Nachricht keinen Wert entnehmen.

Wenn bei den Prozentangaben auch die Vergleichswerte zum letzten Resultat fehlen, dann ist auch dieser Teil der Nachrichten sinnlos.

Die Ausrede, dass Nachrichten an sich ohne Vertiefung auskommen, und man diese dann eben im Netz oder später in den Magazinen nachchecken muss, hat ihre Geltung verloren. Auch, weil in Zeiten des vernetzten Denkens, des digitalen Handelns und des angewandten Datenjournalismus jedem Menschen, der sich heute als Journalist bezeichnet, klar sein muss, dass der Stehsatz und die Alibibestandsmeldung vergangener Tage mit einfachen verknüpfenden Informationen zu einer nutzbringenden Nachricht umgebaut werden kann. Und dass das jede/r kann; können muss.