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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

11. 5. 2015 - 11:16

Boob Quake, Ass Quake, Brain Quake

Flimmern - der assoziative Wochenrückblick.

Flimmern

Der assoziative Wochenrückblick

Der Iran ist ein Erdbeben-Hochrisiko-Gebiet. Im April 2013 erschütterte zuletzt ein schweres Erdbeben die Grenzregion zwischen dem Iran und Pakistan. Der ehemalige Präsident Mahmud Ahmadinedschad übte sich gern in prophetischen Vorhersagen, zu welcher Erdenzeit Teheran mit dem Big Quake zu rechnen hätte. Leider hat die iranische Filmindustrie nicht darauf reagiert und ihre Version von Snake Plissken auf eine "Escape from Teheran"-Mission geschickt.


Diese Woche erschütterten die Berichte einer Predigt des iranischen Iman Kazem Sedighi der LeserInnen des britischen Blattes Independent, und infolge dessen all die LeserInnen der Publikationen, die von dem Blatt abgeschrieben haben.

Am 6. Mai 2015 wurde publiziert, dass der Iman unkeusch gekleidete Frauen für Erdbeben verantwortlich macht. Er wurde wie folgt zitiert:

"Viele Frauen, die sich nicht angemessen kleiden, verführen junge Männer zur Unkeuschheit und verbreiten Unzucht in der Gesellschaft, was letztendlich zu Erdbeben führt. Eine göttliche Autorität riet mir, die Leute zu einer allgemeinen Umkehr aufzufordern."

Frau mit Kleinkind vor Ruinen

APA/EPA/DIEGO AZUBEL

Das haben sie davon, diese ruchlosen Nepalesinnen. Aber diese Perle des Wahnsinns ist alt und war nicht auf Nepal gemünzt, sie passte nur so gut. Am 19.4.2010 hielt der Iman diese Predigt, und so absurd sie ist, es riecht schon nach Propaganda, sie jetzt wieder auszugraben und als neu zu präsentieren.

Als Protest gegen Sedighi riefen in London lebende iranische Feministinnen 2010 den Brain Quake ins Leben, der dazu auffordert zu hinterfragen, wie Iran und Gender-Themen in westlichen Medien verknüpft und behandelt werden, und sich gegen eine Vergegenständlichung und Viktimisierung iranischer Frauen stellt.

Der Iman ist übrigens nicht der Einzige, der eine Verbindung zwischen Unkeuschheit und Erdbeben sieht.

Im Jahr 2010 meinte der ehemalige republikanische US-Präsidentschaftskandidat und Fernsehprediger Pat Robertson, das verheerende Erdbeben von Haiti sei eine Konsequenz des Pakts mit dem Teufel, der darin bestehe, dass in Haiti Voodoo die Staatsreligion ist.

Einigen HipHop-Artists ist die Verbindung von Erdstößen und unkeusch wackelnden Geschlechtsmerkmalen und Reproduktionsorganen auch seit langem klar.


Und somit kommen wir zur zweiten Propaganda-Meets-Unkeuschheit-Meldung der Woche.


Im Mai 1995 veröffentlichten Pulp die Nummer "Common People", in der die Zeilen zu finden sind: "She came from Greece she had a thirst for knowledge. She studied sculpture at Saint Martin's College, that's where I caught her eye. She told me that..."

Eine reiche Industriellen-Tochter, die parallel zum Kunststudium herausfinden will, wie die gewöhnlichen Menschen leben. Ein nicht unbedingt positive Geschichte über eine junge Frau, die kein Klassenfeind mehr sein will und den finanziellen Rückhalt hat, um Revolution zu proben.

Britische Medien meinten letzte Woche, in Anlehnung an eine griechische Zeitungsmeldung herausgefunden zu haben, wer die junge Dame ist, die 1995 wissen wollte, wie die gewöhnlichen Menschen leben, und Jarvis Cocker als Repräsentanten der Arbeiterklasse zum Geschlechtsverkehr aufgefordert hat:

Danae Stratou, die Frau des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, die auf diesem Weg als naive, der Arbeiterklasse-Romantik verfallene Industriellentochter diffamiert werden soll. Was ist der Subtext dieser als Tratsch camouflagierten Meldung? Menschen mit Geld und Bildung sind unglaubwürdige Voyeure, wenn sie sich für die gewöhnlichen Menschen interessieren? Die Politik des griechischen Finanzministers, die für die gewöhnlichen Menschen eintritt, ist genau so unglaubwürdig wie das Interesse der Kunststudentin in dem zwanzig Jahre alten Pulp-Song? Schuld an Erdbeben wurde Frau Danae Stratou - trotz der in dem Song kolportierten Aufforderung zum Geschlechtsverkehr - nicht gegeben.