Erstellt am: 8. 5. 2015 - 15:20 Uhr
The daily Blumenau. Friday Edition, 08-05-15.
#musik #medienkompetenz
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Eigenlob stinkt zwar, aber die Kollegen von orf.at haben hier wirklich ein best practice-Beispiel zustande gebracht.
In die hiesigen Medien hatte sich das ganze nur noch als Kurzmeldung niedergeschlagen: "Studie belegt: HipHop wichtiger als Beatles" stand da, in offensichtlich unzulässiger Verkürzung. Wovon genau musste unklar bleiben, da weder Erklärungen noch Quellen angeführt wurden. Wie's halt so ist bei den bunten Meldungen der Marke "Neue Studien belegen, dass...", die als schnelle, wirre, unhinterfragte News aus dem 24/7-Echtzeit-Trubel diskontermäßig rausgeschleudert werden.
1) how come
Dabei war die originale Meldung der heimischen Nachrichtenagentur APA, aus der alle österreichischen Einspalter entstanden sind (das ist legitim, die heimischen Medien halten sich zu genau diesem Zweck die auch im internationalen Vergleich exzellente, seriöse, prompte und gut funktionierende Agentur; das ist trotzdem peinlich, weil Agentur-Futter immer nur als Anstoßgeber für Eigenrecherche dienen sollte; das ist aber heute der Standard - copypasten bis die Schwarte kracht) ganz anders überschrieben: "Mitte der 1980er-Jahre war eintönigste Phase der Popmusik".
Die zweite Erkenntnis der Arbeit des Electronic, Engineering & Computer-Science-Insituts an der Queen Mary Uni in London: es gab drei große Pop-Umbruchjahre: 1) die british invasion (Beatles/Stones) 1964; 2) die Drumcomputer/Synthlastige New Wave (z.B. Duran Duran) 1983; 3) HipHop goes Mainstream 1991.
Und die dritte: die Veränderungen, die der HipHop-Boom nach sich brachte, waren die dramatischsten: "Dies sei in den USA sogar die größte Chart-Revolution seit 1960 gewesen", steht da, ohne mitgeführte Begründung.
Und genügte dem Copypaste-Einspalter-Redaktionen für die reißerische Headline.
Gegen die ja nichts einzuwenden wäre, würde man sich auf die tatsächlichen Aussagen der Studie (oder die Interviews der Autoren) stützen.
Tut die vorgenommen Print-Verschlagzeilung aber nicht. Erst (vereinzelt) die (teilweise längere) Web-Version.
So ist aber alles billig. Und reflektiert den Stand heimischen Medienschaffens recht gut.
2) das Verfahren
Wie immer, wenn "eine neue Studie" etwas Bahnbrechendes hervorbringt, ist Vorsicht geboten. Am Besten man besorgt sich den Text (eine Frage weniger Minuten in unserer vernetzten Online-Welt), sieht sich die entsprechenden Primär-Publikationen durch und verfolgt die Rezeption in den (eh nur wenigen) Qualitätsmedien. Im deutschsprachigen Bereich geht das über diesen Artikel hier eh nicht hinaus.
Denn: die Resultate jeder quantifizierbaren Studie sind von ihrem Setting abhängig. Die nämliche Studie nimmt etwa die Billboard Hot 100 als Basis und untersuchte 17.000 Songs, was auch wieder nicht alle, sondern nur 86% der Charts-Songs sind, die nicht zur Gänze, sondern jeweils nur in 30 Sekunden-Ausschnitten untersucht wurden. Das klingt gefährlich, ist aber bei Charts-Futter vernachlässigbar - Charts-Musik muss innerhalb weniger Sekunden sein Profil entwickeln und die inhaltlichen Ausreißer (von wegen nur 86%) halten sich ohnehin in engen Grenzen.
Problematischer ist die Wahl der untersuchten Basis: die Billboard-Charts waren immer die deutlich amerikanischsten, quasi isolationistischsten Charts der Pop-Welt. Wenn anderswo (auch in anderen US-Charts) schon längst internationale Einflüsse spürbar waren, dominierte bei Billboard immer noch sehr eng gesetzte, genuin US-amerikanische Musik. Country etwa ist dort ebenso immer überrepräsentiert gewesen wie AC-Rock oder Schmuse-Soul. Das ist/war vor allem in Zeiten, in denen die Musikindustrie die Charts nach Belieben manipulierte (entweder direkt oder über Payola) ein direkter Gegenläufer zu realen weltweiten Trends. Die Billboard-Charts hinkten dementsprechend hintendrein; ihre Reaktionszeit entsprach letztlich der der großen Companys - weshalb wichtige Entwicklungen dann auch komplett verschlafen wurden.
Deshalb sind Jahreszahlen-Angaben, die auf den Billboard-Hot-100 basieren mit einiger Vorsicht zu genießen. Den Durchbruch von HipHop (der im echten Leben ab etwa 1988 seine weltweite Kraft entfaltete) mit 1991 zu verorten, ist absurd - ein Blick auf das, was Billboard unter Hot RnB/HipHop versteht, erklärt den Irrtum aber.
Womit wir schon beim nächsten Problem sind: die Benennung. Da sind die vier Autoren (federführend ist der deutsche Student Matthias Mauch, der in der Bibliografie zur Studie die hochproblematischen Adorno-Essays zur populären Musik an die erste Stelle setzt, nicht sonderlich wissenschaftlich vorgegangen, sondern haben ihre (etwas vage konstruierten) 13 Style-Cluster mit Last.fm-Tags gegengecheckt. Das gefällt mir zwar privat, weil Last.fm vom ehemaligen FM4-Kollegen Martin Stiksel miterfunden wurde, öffnet aber definitorischer Willkür Tür und Tor. Im weiteren (sehr technischen) Prozess der Analyse definieren die Autoren die Diversität der untersuchten Musiken dann zwar wieder sehr stimmungsorientiert und originär - der gesamte Prozess wird aber allzu sehr an vom Kommerzradio erfundenen Unbegriffen begleitet.
3) die Interpretation
Auch wenn Technik-Unis manchmal die ethische Dimension abgeht - die Evolution-of-Pop-Studienmacher (Informatiker, Evolutionär-Biologen etc.) wissen um emotionale Beschränktheit ihrer Herangehensweise und gehen damit auch offensiv (und wie es sich für eine britische Arbeit über amerikanische Verhältnisse gehört, auch mit Ironie) um.
Weshalb sie ihre Interpretationen dann auch mit Vorsicht äußern.
Schließlich haben sie nicht den politischen Impact untersucht, den Beatles/Stones 63/64 ausgeübt hatten, sondern den auf die Beweglichkeit von Mainstream/Kommerz-Pop. Und weil die Charts auch schon vor der ersten Beatles-Hitsingle mit melodiegetriebenen Songs mit Strophe und Chorus dominiert wurden und weil die britische Invasion eher die Tonalität als die Tonart änderte; und weil die ab diesem Zeitpunkt autorengetriebene Rockmusik sich zwar inhaltlich und im Umfeld dramatisch vom klassischen Star-Making-Machinery-Umfeld, das an der Produktion von Pop-Starlets interessiert war, unterschied, nicht so sehr aber im Sound - deshalb schlagen sich die Beatles dann in dieser Studie, die schlicht die strukturellen Veränderungen der Musik misst, nicht wirklich nieder.
Schon eher tut das die produktionstechnische Revolution Anfang/Mitte der 80er (Stichworte Synth, Drummaschine, Trevor Horn...) und vor allem dann die Rap/HipHop-Revolution Anfang der 90er, die nicht wie bis dorthin fast jegliche Charts-Musik akkordgetriebene Stücke entwickelte.
Will man das journalistisch zuspitzen, dann ist die Formulierung, dass die Beatles keine musikalischen Neuerer waren, sondern bereits existente Trends weiterzogen - wie etwa im Guardian angemerkt - legitim. Schließlich haben gerade die englischen Superstars immer korrekt und brav auf ihre Wurzeln hingewiesen und die alten Blueshelden referenziert. Und gerade angesichts schwindender inhaltlicher Bedeutung des Genres ist es - wie hier in der LATimes geschehen - durchaus angebracht die Bedeutung von HipHop als musikalischer Revolution herauszustreichen.
4) die Sinnhaftigkeit
Ich will jetzt nicht zu einem Studien-Bashing verführen. Nicht einmal angesichts einer Studie, die den Impact von Musik tatsächlich (ganz schön naiv) auf den reinen Sound reduziert. Alles, was hilft Eingefahrenes aufzubrechen, längst schon Unhinterfragtes neu sortieren zu wollen, alte Kanon-Pakete wieder aufzuschnüren, darf und muss einer neugierigen Gesellschaft willkommen sein.
Ich will zum fähigen Umgang mit solchen Materialien aufrufen. Zur Untersuchung der Untersuchungen. Und dabei ist es egal, ob es um eine Revolutions-Vergleichs-Diskussion Beatles/HipHop, also um wirklich Wichtiges, oder ein neues Parteiprogramm geht.
Ich würde mir da auf Expertisen gestützte Relativierungen wünschen, die mir eine in ihren Fachbereichen firme Berichterstattung vorsetzt. So wie hier - in einem ganz anderen Bereich - als tagesaktuelles best practice-Beispiel. Und für eine solche Geschichte pro Tag die Zeit/das Geld, das sämtliche bunten copypaste-News des gesamten Jahres gekostet haben, eintauschen. Würde sich rechnen.