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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

7. 5. 2015 - 16:38

The daily Blumenau. Thursday Edition, 07-05-15.

Pep Guardiola ist der beste Fußball-Coach der Welt. Und warum das am Tag nach seiner größten Niederlage betont werden muss.

#fußballjournal14

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Wahre Größe zeigt sich in der Stunde der Niederlage.
Triumphe mit Schalmeien-Klängen umschmeicheln kann jeder.
Deshalb jetzt: Pep Guardiola ist der beste Fußball-Coach der Welt; allen anderen um Jahre voraus.

Kein Was-Wäre-Wenn-Gewinsel; keine ablenkende Analyse individueller Fehler. Fakt ist: Bayern München hat gestern Abend zurecht verloren und seinen Meister im FC Barcelona und in Messi gefunden. Und das hätte auch mit Ribery. Robben und Alaba passieren können.

Pep Guardiola

APA/EPA/PETER KNEFFEL

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Denn das was Barca den Bayern voraus hat, sind Jahre, fast schon Jahrzehnte an kontinuierlicher aufbauender Arbeit was Philosophie und System betrifft, die von Johan Cruyff gestartet und von Coaches wie eben auch Guardiola selber weitergetragen wurde.

Luis Enrique tut aktuell gut daran, an nur ganz wenigen Schrauben zu drehen, um die Weltmarktführer-Ablösung der spanischen Nationalmannschaft nicht auf den Erfolgslauf der spanischen Spitzenklubs (und ihrer nicht unähnlichen Grundphilosophie) übergreifen zu lassen. Der Ballbesitz-Fetisch ist geschwunden, mit dem Abgang-auf-Raten von Xavi ändert sich auch die primär auf superexakte Kurzpasses eingeschworene Grundeinstellung hin zum flexibleren Spiel der Aufbauer auf die außerirdischen drei im Angriff (Messi - Suarez - Neymar).

Dass derlei Nuancierungen genügen um die Macht-Position von Barca zu halten, zeigt wie grundgefestigt Guardiola das Team hinterlassen hat.

2

Bayern München ist zwar seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten der deutsche Dominator, verstand es aber nie über längere Zeit hin, eine solch grundsätzliche Philosophie aufzubauen, sondern richtete sich nach jeweils mächtigen Trainern. Und weil Van Gaal, Heynckes, Klinsmann oder Hitzfeld jetzt nicht gerade unendlich viel gemeinsam haben, konnte sich in den letzten zehn Jahren auch kein durchgehender, übernehmbarer Stil entwickeln.

Bayern agierte immer auf hohem Niveau, gewann auch die Champions League und stabilisierte sich als Halbfinal-Dauergast - die ganz ganz große Nummer, die Real und Barca wirklich in die Augen schauen konnte, wurde man aber nicht.

Es bedurfte einer inhaltlichen Kraftanstrengung, die nur nach dem endgültigen Machtverlust des tumben Toren Beckenbauer funktionieren konnte und der die persönliche Krise des Uli Hoeneß, der sein Ego gern als Hindernis dorthinstellt, wo es niemand braucht, entgegenkam. Eine Anstrengung, die die Handschrift von Mathias Sammer trägt und von Karlheinz Rummenigge gehalten wird. Eine Anstrengung, die langfristige Ziele verfolgt und ihre Früchte zwar auch sofort erntbar machen, aber auch noch in zehn Jahren tragen soll.

Und in der Barçocracy des modernen Fußballs, wie Jonathan Wilson es in dieserr brillanten Analyse nennt, kam halt nur einer für einen solchen Philosphieaufbau in Frage: der Pep-Gott selber.

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Guardiola übernahm ein blendend funktionierendes Bayern-4-2-3-1, das in vielerlei Varianten hin variabel war, dabei aber nur die Normalität des europäischen Spitzenfußball-Betriebs wiederspiegelte. Ein eigenes Gesicht hatte Bayern nicht durch seine Ideen, sondern nur durch Neuer, Lahm, Schweinsteiger oder Müller, also individuelle Klasse.

Guardiola begann zu schrauben und zu justieren, dachte das Noch-Nicht-Gedachte und experimtierte mit dem Unerhörten. Lahm ins Mittelfeld, Dreier-Kette, Neuverteilung der Flügel-Aufgaben. Dazu holte er einen Spanier nach dem anderen, vor allem Xabi Alonso und Thiago Alcantara, also Leute für die Schaltstelle in der Zentrale, wo die deutsche Öffentlichkeit immer noch eher Matthäus und Effenberg sieht.

Rund um diese Spieler, die so denken und handeln können, wie Guardiola früher selber agierte, wuchs das Anforderungs-Profil: jeder Bayern-Star beherrscht seit Guardiola deutlich mehr als eine Position; die berühmte Automatisierung der Abläufe ist Voraussetzung, um darauf das ganz Spezielle aufzusetzen - den Bayern-Stil.

Nicht dass der schon ausgereift oder komplett entwickelt wäre: aktuell lässt er sich nur erspüren. Das hat auch damit zu tun, dass Guardiola sich mit einer Verletzungs-Misere konfrontiert sieht, die seine Nerven zerfetzt - deshalb auch der Krieg mit dem alten Vereins-Arzt.
Aber auch durch die wegen der Ausfälle erzwungenen Varianten (wenn etwa Robben und Ribery fehlen, dann muss das Flügelspiel komplett geändert werden; teilweise verzichtete Guardiola sogar fast komplett darauf) generieren immer einen Moment der Atemlosigkeit. Vor jedem Bayern-Match stellt sich jeder, der damit zu tun hat, die bange Frage, was dem Coach heute wieder eingefallen ist. Und es fällt ihm immer was ein. Auch weil ihm alles zuzutrauen ist.

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Gegen Barca begann Guadiola mit einer 1:1-Verteidungung - seine Dreierkette gegen die drei Mega-Angreifer Messi - Suarez - Neymar. Das ist so irre, dass es den Gegner verunsichern und im Gegenzug Räume freimachen kann. Es hat nicht geklappt, nach einer guten Viertelstunde switchte Guadiola auf eine Vierer-Abwehr zurück. Der Versuch war es aber wert. Nur mit einem Risiko wie diesem kann man einer in der aktuellen personellen Besetzung überlegenen Barca-Heimmannschaft beikommen.

Noch dazu genügte ein Handgriff, um auf ein grundsätzlich anderes System zu wechseln, reibungsverlustlos. Da liegt ein Ozean zwischen dem und österreichischen Trainer-Dilettanten, die unter "Dreier-Abwehr" das Einschlagen von drei (eigentlich fünf) Pfosten verstehen (und trotzdem Barcelona trainieren sollten, wenn es nach dem Jahrhundert-Kicker des Landes geht). Es liegt aber auch noch ein großer See zwischen Guardiola und den anderen Großen seiner Zunft, was Wagemut, Reaktionsschnelligkeit und Denk-Flexibilität betrifft.

Weil alles Erdenkliche schiefging (Neuers hektischer Abschlag, Bernats Fehlpass, Boatengs Ausrutscher, Benatias Stellungsfehler, Xabis Standards), weil einige Akteure (Thiago, Schweinsteiger, Lahm, Lewandowski) nicht genügend Fitness aufweisen, aber trotzdem spielen müssen, und weil der Gegner sein Momentum optimal nutzte, kam es zum 0:3.

Und trotzdem glost, schillert und glänzt dieses Spiel, war selbst im Kamikaze-Beginn und in der finalen Verzweiflung etwas spürbar: der Anfang einer fußballerischen Ideologie, die über Banalo-Schwachsinn wie mia san mia, den Bayern-Dusel und die anderen Hohlheiten der Vergangenheit hinausgeht. Auch in den schiefgegangenen Momenten war eine Verfasstheit zu spüren, auf deren Basis sich das, was Bayern die nächsten Jahre und Jahrzehnte ausmachen wird, aufbauen wird. Wenn man dranbleibt und Guardiola und Sammer machen lässt.

5

Joachim Löw, der fußballideologische Ping-Pong-Partner von Guardiola, der lange Zeit von dessen Ideen und Tempo überfordert war, traut sich jetzt - nach der Job-Garantie seines Titelgewinns - einen vergleichbaren systemischen Umbau zu; auch wenn das DFB-Team dabei nicht die erwarteten Resultate einfährt.

Guardiola riskiert jeden Spieltag sein sportliches Leben und hat bislang nur zwei Spiele wirklich verloren (das gestern und das eigentliche Remis gegen Dortmund im Cup; alles andere war egal). Weil er letztlich auch noch die Resultate einfährt. Auch wenn er jetzt, im vorweggenommenen Champions League-Finale wohl die Segel streichen wird müssen.

Guardiola steht mit der personell (auch wegen der Schwächungen) vielleicht nur fünftbesten Klubmannschaft der Welt, einer, die bis dato keinerlei Erdung aufweisen konnte, wie ein wurzelloser Baum im Wind torkelnd, da gleichauf mit der aktuell besten. Das geht sich aus, weil er methodisch so weit vorne ist. Er ist da, wo oben ist, ganz oben. Pep Guardiola ist der beste Fußball-Coach der Welt. Das kann am Tag nach seiner größten Niederlage nicht genug betont werden.