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Alexandra Augustin

West Coast, wahnwitzige Künste und berauschende Erlebnisse. Steht mit der FM4 Morningshow auf.

10. 5. 2015 - 17:27

Biennale in Venedig: Must See. Or not. Part 1

Bei einem Ausflug auf die Biennale in Venedig kann man was erleben. Zwischen Lifestyle-Event, schlechtem Schampus, Kunst, Arbeit, Geld und Revolte.

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Von 9. Mai bis 22. November findet die 56. Biennale in Venedig statt.

Kurator ist Okwui Enwezor, das Thema lautet "All The World's Futures".

136 KünstlerInnen aus 53 Ländern präsentieren mehr als 700 Werke in der Hauptausstellung. Fast 90 Nationen sind mit Länderpavillons in den Giardini und im Arsenale vertreten.

Am 14. Mai gibt es in der FM4 Homebase eine Spezialstunde zur Biennale in Venedig zu hören. 21 Uhr.

Mit der Biennale, der wichtigsten Kunstausstellung der Welt, verhält es sich wie bei einem Musikfestival: Tausende Menschen strömen über das Gelände zu den Länderpavillons. Die Stimmung ist übertrieben heiter, alle tragen schicke Stoffsäcke um den Arm, die die einzelnen Pavillons als Geschenk gratis verteilen, und das Gelände ist voller gestylter Menschen und Gestalten mit Hang zur Selbstdarstellung. Gespräche hier gehen selten über ein "Hi..." hinaus. Jeder muss weiter. Weiterhetzen, weiterschauen. Der Schwarm drängt.

Längst hat die Biennale den Ruf, nicht nur die wichtigste Kunstausstellung der Welt zu sein, sondern auch ein Lifestyle-Event. Wer Abends bei einer Party auf der Gästeliste steht, ist wichtig. Wer nicht auf der Liste steht, stürzt sich auf eines der Gratis-Buffets bei den Eröffnungen. Soll es das schon gewesen sein?

Willkommen im Kunst-Dschungel

136 KünstlerInnen aus 53 Ländern präsentieren mehr als 700 Werke in der Hauptausstellung. Fast 90 Nationen sind mit Länderpavillons in den Giardini und im Arsenale vertreten. Bis 22. November läuft die Biennale und mehr als eine halbe Million Besucher werden erwartet. Allein 4.500 JournalistInnen treiben im Vorfeld bei den Presse-Previews an den drei Tagen vor der Eröffnung ihr Unwesen.

Man muss sich das herauspicken, wovon man glaubt, dass es unbedingt sehenswert ist. Das meinte im Vorfeld Biennale-Kurator Okwui Enwezor bei der Pressekonferenz: "Sie müssen Ihren eigenen Weg finden. Sie müssen herausfinden, was bedeutsam für Sie ist."

Ein paar Schritte weg von der hippen Crowd schaut die Welt gleich anders aus: Es sind politisch äußerst brisante Positionen, in denen Themen wie Arbeit, Migration und Revolte künstlerisch verhandelt werden. "All The World's Futures" lautet in diesem Jahr das Thema der Hauptausstellung. Was ist die Zukunft, was die Gegenwart, was Vergangenheit? Die Grenzen verschwimmen, vor allem der politische Status Quo findet in den Positionen Platz. The Future is Unwritten, die Zukunft wird aber auch in jedem einzelnen Moment Gegenwart und Vergangenheit.

Der deutsche Pavillon: Arbeit, Migration, Revolte

Absolut am Puls der Zeit befindet sich der deutsche Pavillon. Das Wort "Fabrik" prangt außen an der Pavillonwand. Tobias Zielony zeigt im Inneren seinen Fotoessay "The Citizen". Jasmina Metwaly & Philip Rizk beschäftigen sich mit den neoliberalen Prozessen in Ägypten.

Tobias Zielony präsentiert Bilder von afrikanischen Flüchtlingen und FlüchtlingsaktivistInnen, die er in Hamburg und Berlin fotografiert hat. Dazu bat er die Flüchtlinge selbst und afrikanische AutorInnen & JournalistInnen, sich mit den Geschichten der Menschen auf den Fotos auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse sind Zeitungsartikel, die in den Heimatländern der Menschen erschienen sind, etwa in der Zeitung "Citizen" im Sudan - daher auch der Name der Schau.

"Die Medien haben ihre eigene Aufmerksamkeitsspanne, aber die Problematik existiert schon lange. Ich habe bewusst versucht, diese Mittelmeergeschichte auszuklammern. Ich habe nur in Deutschland fotografiert. Mir geht es darum unter welchen Bedingungen sie hier leben und politisch aktiv sind und darum, einen anderen Blickwinkel anzubieten."

Die Migrationsbewegungen unserer Zeit wurden gerade in den letzten Wochen oft auf die Tragödien auf dem Mittelmeer reduziert. Tragödien, über die europäische Journalisten schreiben. Tobias Zielony interessiert sich für das Leben der Menschen nach der Flucht: Wie wollen sie gesehen und verstanden werden? Wie und welche Geschichten erzählen sie selbst? Der Blickwinkel, aus dem heraus Geschichte geschrieben wird, ist das Thema von Zielony.

In der Biennaleausgabe seiner Zeitung liest man etwa die Geschichte von Ahmad Al-Nour, der als Flüchtling aus dem Sudan nach Deutschland kam und nun in der besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin lebt. Die Geschichte seiner Flucht über das Mittelmeer ist verstörend, wie haluzinatorisch fantastisch, etwa wenn er darüber schreibt, wie er und seine Kumpanen auf dem Meer treiben und Delfine ihnen den Weg zeigen.

Tobias Zielony, The Citizen, 2015

Tobias Zielony, 2015

Ebenso im deutschen Pavillon zu finden ist die Videoarbeit von den in Kairo lebenden KünstlerInnen Jasmina Metwaly und Philip Rizk:

Sie thematisieren die neoliberalen Prozesse in Ägypten. Jedoch nicht in Form einer dokumentarischen Bestandsaufnahme, sondern sie haben für ihre Videoinstallation "Out on The Street" eine Gruppe Arbeiter gebeten, in einem improvisierten Studio auf einem Hausdach in Kairo die fiktive Geschichte der Privatisierung einer Fabrik nachzuspielen. Ein Zelt wurde zum Studio, alle Szenen wurden ohne Skript und mit reduzierten Bühnenmitteln gedreht. Es entstand ein gruppendynamischer Prozess und die Situation im Film erinnert stark an Brechts episches Theater.

Mechanismen der Macht, die alltäglichen Demütigungen durch Vorgesetzte und die Polizei finden hier einen erschreckend real wirkenden Ausdruck.

Südkorea: Frauen in den Fabriken

Um das Thema "Arbeit" geht es auch im Werk des südkoreanischen Filmemachers Im Heung-Soon, der hinter die Fassade des drastischen ökonomischen Aufschwungs in Asien blickt.

In seiner Filmarbeit "Factory Complex" erzählen junge Frauen aus Südkorea, Vietnam und Kambodscha über ihr Leben in den Textilfabriken, in denen strenge hierarchische Strukturen herrschen. Interviews von Flugbegleiterinnen und Supermarkt-Mitarbeiterinnen zeichnen ein Bild über die katastrophalen Arbeitszustände. Diese Bilder werden mit bedrückenden Stimmungsbildern an den jeweiligen Arbeitsplätzen gegengeschnitten. Dazu sieht man Szenen von Protestmärschen auf der Straße.

Die Arbeiterinnen erzählen, wie sie in "Klassen" eingeteilt werden, je nach Arbeitsgeschwindigkeit. Flugbegleiterinnen berichten davon, wie sie selbst nach sexuellen Übergriffen durch Passagiere weiterlächeln und -arbeiten müssen, aus Angst, ihren Job zu verlieren. Für diese beeindruckend-beklemmende Arbeit hat Im Heung-Soon den Silbernen Löwen der Biennale erhalten.

Lettischer Pavillon: Die Arbeiter in der Garage

Was hat der Teddybär im Bauch? Das erfährt man in der Installation "Armpit" von Katrīna Neiburga and Andris Eglītis aus Lettland.

Die beiden haben sich mit einem besonderen Phänomen beschäftigt: In den Bedroom Communities, in kleinen, fast verlassenen Dörfern in Lettland nahe der russischen Grenze, werkeln ältere Männer in ihren Garagen herum. "Garage Elves" werden sie genannt. Sie bauen in diesen Mikrokosmen ganz für sich eigenartige Apparaturen zusammen. Sie schweißen an kaputten Motoren herum und entwickeln Gerätschaften, die scheinbar keinen Zweck haben. Was tun diese Männer hier?

Katrina Neiburga & Andris Eglitis: "Armpit"

Katrina Neiburga & Andris Eglitis

Im lettischen Pavillon, der ebenso in D.I.Y.-Manier zusammengeschraubt worden ist, geht man durch eine abstrahierte Garage, dann landet man in einem Zimmer, dessen Mosaikwände aus alten zersägten Sowjetmöbeln zusammengebaut worden sind und Lampen aus Waschmaschinentrommeln leuchten den Raum aus. Überall sind Bildschirme mit diesen bastelnden Männern zu sehen.

Es handelt sich um ehemalige Fabrikarbeiter, die im Zuge der neoliberalen Reformen ihre Jobs verloren haben. Mit großer Begeisterung vertreiben sie sich nun ihre überflüssige Zeit in den Garagen mit ihren Fantasiegebilden. Eine Arbeit, die unser Verhältnis zur Welt der Technologien hinterfragt - und gleichzeitig spannend anzusehen ist.

Kanada: Wirf doch dein Geld beim Fenster raus!

Der wahrscheinlich unterhaltsamste Pavillon ist heuer der kanadische.

Stell dir vor, du bist gefangen in den Giardini mit tausenden hippen Menschen und dir gehen die Zigaretten aus. Du bist durstig. Hey, super, da vorne ist ein kleiner Minimarkt! Lottoscheine gibt es hier auch, fantastisch. Aber halt! Irgendwie sieht es hier aus wie in einem Supermarkt, aber irgendwas ist anders. Alle Sachen sind äußerst sorgfältig sortiert, die Verpackungen der Lebensmittel sind verschwommen und zu kaufen gibt es leider nichts. Willkommen in der Installation "Canadassimo" des kanadischen Kunstkollektivs BGL.

BGL

Alexandra Augustin/ FM4

Lustige Typen: BGL = Jasmin Bilodeau, Sébastien Giguère & Nicolas Laverdière

Biennale auf FM4

Von 9. Mai bis 22. November

Die drei Avantgarde-Prankster Jasmin Bilodeau, Sébastien Giguère & Nicolas Laverdière aus Quebec haben ihren Pavillon unter einem hässlichen Baugerüst versteckt und einen spacigen Supermarkt hineingebaut. Es gibt hier aber nichts zu kaufen. Sehr unterhaltsam:

"Wir lieben es, Menschen zu verwirren. Wir haben das ganze Zeug aus Kanada mitgebracht, aus einem Bankrott gegangenen Supermarkt. Drei Schiffscontainer voll Zeug. Leider durften wir keine Lebensmittel importieren und die Verpackungen sind leer oder mit Schaum befüllt. Wobei, das stimmt nicht: Das Toilettenpapier ist echt!"

Ein Haufen leerer Lebensmittelkartons und Billigware eines Pleite gegangenen Supermarkts wurde also im Namen der Kunst einmal quer über den Atlantik verschifft: Eigentlich ist ja schon das ein ziemlich beeindruckender performativer Akt. Hinter dem Shop befindet sich ein ziemlich unaufgeräumtes Atelier, von dem man nicht weiß, ob es zur Ausstellung gehört oder hier nur der Müll vergessen worden ist.

Das Herzstück des Pavillions befindet sich am Dach: Eine Geldschleuder! Man blickt über die Giardini und ist eingeladen seine Münzen in der Hosentasche in die "Money Factory" zu legen. Die Münze rollt durch ein schepperndes Labyrinth, fährt über ein absurdes Laufband einen "Aufzug" rauf und wird mit voller Wucht gegen die Scheiben des Pavillon geschleudert. Eine heitere Konsum- und Kapitalismuskritik.

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Vorschau: Die Biennale in Venedig, Morgen in Part 2: Amerika, Großbritannien, Norwegen, Frankreich. Außerdem mit dabei: Der Pizza Pavillon!