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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

4. 5. 2015 - 16:44

"Mit eintausend Abbildungen!"

Das Fanalbum, das man nie angelegt hat: "Die Tocotronic Chroniken" zeigen zwei Jahrzehnte Bandgeschichte.

Für den Erwerb der Plüschente "Daphne", diesem offiziellen Maskottchen, war man 2013 definitiv zu erwachsen, und ein Starschnitt-Schnipselsammeln wäre einem vor sich selbst peinlich gewesen, geht es doch um Tocotronic. Macht nichts, denn andere haben sehr wohl gesammelt.

Buchcover mit der Aufschrift "Die Tocotronic Chroniken"

Aufbau Verlag

"Die Tocotronic Chroniken" sind bei Blumenbar erschienen.

Tocotronic öffneten das Bandarchiv für Martin Hossbach und ein Buchprojekt. Mit Jan Müller durchforstete der Kurator und Musikjournalist Hossbach Fotos, frühe Fanzines, Pressetexte und Poster, Entwürfe von Songtexten, einer davon gar verworfen ("Ein Abend im Rotary Club" war zuvor "Jeder Brief ist ein Liebesbrief"), ebenso wie Rezensionen und auch Merchandise. Eintausend Abbildungen finden sich im Buch "Die Tocotronic Chroniken", das damit nicht als strenge Bandbiografie erscheint, sondern als dichtes Fanalbum.

Zwei Jahrzehnte Tocotronic

Chronologisch anhand der Veröffentlichungen lässt der Autor Jens Balzer die Bandgeschichte Revue passieren, mit genauem Augenmerk auf die Songs. Dazu werden Fragen allgemeingültiger Art aufgeworfen, kurze philosophische Referenzen von Hegel und dem ersten Album "Digital ist besser" über Wittgenstein schließlich zu Theodor W. Adorno am roten Album angerissen. Die Interpretationen sind nicht aufwühlend, die Fanperspektive wird nicht verlassen.

Jan Müller, Dirk von Lowtzow und Arne Zank gehen munter auf die Kamera zu. Bild aus einer frühen Fotosession der Gruppe.

Aufbau Verlag | Foto: Henrik Peschel

Bild aus einer frühen Fotosession der Gruppe. Der Aufnahmeort war höchstwahrscheinlich das Hamburger Schanzenviertel.

FM4 Überraschungs- Konzert Spezial
Liebe wird das Ereignis sein! Tocotronic im B72.

Einen Mitschnitt des FM4 Überraschungskonzerts mit Tocotronic gibt es heute, Montag, 4.5. in der FM4 Homebase (19-22 Uhr) und danach auch für sieben Tage unter fm4.orf.at/7tage zu hören.

Auf den Fotos wechseln die drei Gründungsmitglieder von Trainingsjacken in Sakkos. Rick McPhail, erst als Merchandise-Stand-Betreuer der Band tätig, kommt 2002 erstmals als Gitarrist und Keyboarder mit auf die Bühne. Dass Hans Platzgumer ein Tocotronic-Album produziert und die Streicher dafür arrangiert hat, hatte man vergessen ("Es ist egal, aber"). Neu ist einem vielleicht, dass Tocotronic in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre auf antinationalen und Antifa-Veranstaltungen in Deutschland spielten.

Nachzulesen ist, was die Hamburger Schule war und was Tocotronic von ihr unterschiede („In sonderbarer Weise bemühte der Pop der Hamburger Schule sich ja nicht nur um den angemessenen Ausdruck individueller psychosexueller Befindlichkeiten, sondern auch um die Organisation von politisch irgendwie widerständigen Kollektiven im Anschluss an die linken Gegenkulturen der Siebziger- und Achtzigerjahre“). Schön ist die Zusammenstellung der Printinterviews und Rezensionen, die zwanzig Jahre Musikberichterstattung spiegeln.

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Blättern im Fotoalbum

Liebevoll - und interessanter als der Fließtext Balzers - sind die Bildunterschriften mit detailreichen Erklärungen von Jan Müller und Martin Hossbach.

Das Führerscheinbild von Lowtzows, aufgenommen in den frühen Achtziger Jahren und noch immer im aktuellen Ausweis. Die im Bleidruckverfahren hergestellte Einladung für das erste Konzert mit den vorangestellten Worten "Für junge Leute". Das Schweißband mit dem Schriftzug der Band als Fanartikel, 2013 das dritte Modell. Die Ausgabe der Spex mit den drei unterschiedlichen Covern – Müller, Zank oder von Lowtzow –, es fehlte gerade noch der "Sammel sie alle!"-Aufkleber. Das T-Shirt mit dem Print einer Comic-Ente mit Gitarre. Die selbstgezeichneten Comics. Dillon und von Lowtzow in gestreiften Leiberln wie im Partnerlook backstage zu "Schall & Wahn"-Zeiten. Besprochen wird in den Bildunterschriften etwa auch die grafische Gestaltung der Tocotronic-Produkte.

Privates wird so gut wie gar nicht erzählt. Das Höchste der Gefühle ist ein Foto von Müllers Frau Tanja Müller-Göttken zu Besuch im Studio. Und dass man erfährt, wer in "Gott sei Dank haben wir beide uns gehabt" gemeint ist.

Eine Selbstreflexion stellt sich beim Betrachten der Fotos ein.
Wohin die jugendliche Prägung auf Seitenscheitel auf Männerköpfen führte, Chokebore als Vorband des ersten erlebten Tocotronic-Konzerts ist lang nicht vergessen - so wild! - und Arne Zanks Solo mit "Ich mache meinen Frieden mit euch" auf einem der ersten FM4-Geburtstagsfeste fällt mir jedes Mal ein, wenn sich eine Person ungut verhält. Die Dauer der Liebe ließe sich in der Zahl besuchter Tocotronic-Konzerte benennen.

Analog ist in dem Fall besser

Analog ist definitiv besser: die "Tocotronic Chroniken" sind selbst auf hochauflösender elektronischer Gerätschaft nicht so satt anzuschauen wie in gedruckter, gebundener Form. Wie einen Bildband wird man das Buch nicht auf einmal konsumieren, sondern immer wieder mal zur Hand nehmen, bis man durch ist.