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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

2. 5. 2015 - 13:00

"Thumbs up für den freien Journalismus"

Anchorwoman Christina Siganidou über die Wiedereröffnung des griechischen öffentlichen Rundfunks

Vor zwei Jahren hat die damalige griechische Regierung über Nacht den nationalen öffentlichen Rundfunk E.R.T. aufgrund des Sparzwanges und der Auflagen der Troika abgedreht. Offizielle Begründung: Intransparenz und Verschwendung. Alle 2600 MitarbeiterInnen haben ihren Job verloren. Eine Welle des Protests und der Solidarität waren die Folge. Viele JournalistInnen haben in den Rundfunkgebäuden ohne Lohn weitergearbeitet und Programm übers Internet und terrestrische Sender auf den Bergen verbreitet. 2013 hat die Polizei dann den Athener Rundfunk gestürmt und geräumt.

Vor einem Jahr hat die mittlerweile abgewählte Regierung den umstrittenen Mininachfolger NERIT mit 500 Angestellten installiert. In Thessaloniki (und auch in anderen Landesteilen) besetzen JournalistInnen bis heute den einstigen öffentlichen Rundfunk, verwalten ihn selbst und senden ERT Open. FM4 Korrespondentin Chrissi Wilkens hat berichtet.

In der Nacht auf Mittwoch hat das griechische Parlament nun unter der neuen links-rechts Regierung von Premierminister Alexis Tsipras die Wiedereröffnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschlossen. Es ist ein Paukenschlag und die Einlösung eines Wahlversprechens der Syriza Partei. Schon im Juni soll wieder aufgesperrt werden.

Ich habe nach der Parlamentsentscheidung mit TV Anchorwoman Christina Siganidou aus dem selbstverwalteten Rundfunk in Thessaloniki telefoniert und sie nach ihrer Reaktion auf die bevorstehende Wiedereröffnung gefragt. Zwei Jahre haben sie und ihre KollegInnen ohne einen Cent Bezahlung den Betrieb aufrechterhalten und Stellung gehalten.

ERT

ORF Radio FM4 | Claus Pirschner

Im Oktober 2014 habe ich noch vom Studio bei ERT Open in Thessaloniki ein FM4 Auf Laut moderiert und mit Christina, FM4 Korrespondentin Chrissi Wilken, der Studentin Zacharaoula Vesiri und Anrufenden über die Situation in Griechenland, die humanitäre Krise und Auswege, diskutiert.

Claus Pirschner: Wie war die Reaktion von dir und deinen KollegInnen in der Redaktion als das griechische Parlament in der Nacht auf Mittwoch die Wiedereröffnung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks E.R.T. beschlossen hat?

Christina Siganidou: Freundinnen und Freunde auf Facebook waren voller Begeisterung, es wurden Fotos jubelnder, im Parlament anwesender BesucherInnen gepostet. Es war ein Moment großer geteilter Freude und eines Gefühls von Gerechtigkeit, die erteilt wurde. Ich habe alle in der Redaktion auf die Wange geküsst, bevor ich an dem Abend aus dem Studio gegangen bin. Es war ein historischer Moment. Es war sehr berührend, denn wir wussten, diese Zeit geht nun zu Ende. Es ist nun offiziell beendet. Ich habe die Abendnachrichten ein letztes Mal in dieser Phase moderiert und kurz danach hat eine Mehrheit im Parlament für die Wiedereinsetzung des öffentlichen Rundfunks gestimmt.

Welche Bedeutung hat diese Entscheidung für die Demokratie und den Journalismus in Griechenland?

Es ist ein riesiger Daumen hoch für freien Journalimus. Es ist eine große Ermutigung für Menschen, zu wissen, dass sie in der Lage sind für etwas zu kämpfen und wenn sie recht haben, daß sie dann gewinnen können. Es ist eine fantastische moralische Lektion, nicht nur für den Journalismus sondern für alle Menschen, die die Ungerechtigkeit des Neoliberalismus zu spüren kriegen.

E.R.T wurde aber in der Vergangenheit dafür kritisiert, dass es der Regierung zu nahe stand . Wie könnt ihr das jetzt nach der Wiedereröffnung verhindern? Ihr habt ja jetzt die letzten zwei Jahre einen sehr anderen, sehr unabhängigen Journalismus gemacht - nach der offiziellen Schließung im dann selbst weitergeführten und selbst verwalteten Rundfunk ohne Löhne.

Das stimmt. Es ist keine Lösung , welcher Regierung auch immer nahe zu stehen. Es ist nicht die Weise, wie wir nun denken. Wir haben bereits eine gewisse emotionale Distanz zur Regierung seit der Debatte über das Gesetz zur Wiedereröffnung. Wir sind enttäuscht, seit klar ist, dass unser Modell der Selbstverwaltung nicht Teil des neuen Gesetzes ist. Wir wollen einfach unsere Arbeit machen und sonst nichts.

Wie siehst du Situation derzeit in Griechenland, wo die neue Regierung es schwer hat, Sozialprogramme zu starten, um die humanitäre Krise zu lindern, weil die Verhandlungen mit den Kreditgebern (Europäische Zentralbank, Europäische Kommission, Internationaler Währugnsfonds) sich nach wie vor spießen?

Es ist sehr kompliziert. Jeder hofft natürlich das Beste und wir wollen einen erfolgreichen Verlauf. Jeder wünscht sich, dass es zu einem Deal kommt. Gleichzeitig hat man Angst vor Maßnahmen, die beschlossen werden könnten, um zu einem Deal zu kommen. Einige schätzen, dass es zu einem Referendum über den Deal kommen wird . Es ist derzeit so offen, so instabil, ich kann es nicht voraussagen.